Die Bundesregierung muss die geheime Liste mit den NSA-Spionagezielen nicht an den NSA-Untersuchungsausschuss herausgeben. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Das Geheimhaltungsinteresse der Regierung überwiege das Informationsinteresse des Ausschusses, heißt es in dem Beschluss von Mitte Oktober, der am Dienstag bekannt wurde. Eine Herausgabe ohne Einverständnis der USA könne die Funktionsfähigkeit der Nachrichtendienste und damit die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands beeinträchtigen.
Geklagt hatten die Fraktionen von Linken und Grünen im Bundestag sowie die Obleute der beiden Parteien im Ausschuss. Auf der Liste stehen Suchmerkmale wie Telefonnummern, E-Mail- oder IP-Adressen, die der US-Geheimdienst NSA dem Bundesnachrichtendienst (BND) geliefert haben soll. Der BND soll den Amerikanern damit über Jahre geholfen haben, europäische Unternehmen und Politiker auszuforschen.
Die Bundesregierung hatte die Herausgabe der Liste verweigert. Stattdessen wurde mit Koalitionsmehrheit der Verwaltungsrichter Kurt Graulich als „Vertrauensperson“ bestellt. Dieser wertete die Liste aus und unterrichtete anschließend den Untersuchungsausschuss.
Der neue Skandal um BND und NSA
Der BND soll dem US-Geheimdienst NSA jahrelang geholfen haben, Ziele auch in Europa auszuforschen. Es geht dabei um große Datenmengen, die der BND an seiner Abhörstation in Bad Aibling abgreift und die die NSA nach europäischen Unternehmen und Politikern durchforstet haben soll. In Bad Aibling belauscht der BND internationale Satellitenkommunikation, angeblich vor allem aus Krisenregionen wie Afghanistan oder Somalia. Es ist aber nicht ganz klar, was dort tatsächlich alles abgefischt wird.
BND und NSA vereinbarten vor Jahren, dass die Amerikaner nach bestimmten Suchmerkmalen (Selektoren) Zugriff auf diese Daten bekommen - zur Terrorbekämpfung und unter Einhaltung deutscher Interessen. Die Amerikaner hielten sich aber wohl nicht an diese Vereinbarung, sondern nutzten die Daten keineswegs nur für den Kampf gegen den Terror, sondern möglicherweise auch zur Wirtschaftsspionage und für andere Zwecke, die deutschen und europäischen Interessen zuwiderlaufen.
Um aus den großen Datenmengen relevante Informationen herauszusuchen und die Kommunikation von Verdächtigen aufzuspüren, filtern sie diese nach bestimmten Suchmerkmalen - zum Beispiel E-Mail-Adressen, Telefonnummern oder IP-Adressen von Computern. Die NSA hat dem BND massenhaft solche Suchkriterien übermittelt, damit dieser die Daten aus Bad Aibling danach maschinell durchkämmt und anschließend an die USA weitergibt. Wie viele Selektoren die Amerikaner geliefert haben, ist unklar. Die Rede ist von mehreren Hunderttausend oder mehr als einer Million. Sie werden ständig überarbeitet und ergänzt.
Der BND prüft nach eigenen Angaben durchaus, was die NSA an Daten anfragt und welche Suchkriterien sie übermittelt. Und der Geheimdienst beteuert, dass er Selektoren, die deutschen Interessen widersprechen, aussortiert und keine Daten dazu liefert. Angesichts der riesigen Mengen an Daten und Selektoren sind die Prozesse aber computerbasiert. Der Grünen-Obmann im NSA-Ausschuss, Konstantin von Notz, geht deshalb davon aus, dass alles grundsätzlich automatisiert und ohne Prüfung der einzelnen Suchmerkmale abläuft. „Dieses System ist unkontrollierbar“, sagt er. „Und der BND wusste das auch.“
Der BND bemerkte schon 2005, dass die NSA in dem Wust an abgehörten Daten auch nach europäischen Zielen suchte - nach den Firmen EADS und Eurocopter und nach französischen Behörden. Nach den Enthüllungen der NSA-Affäre 2013 schaute sich der BND die Suchanfragen noch genauer an und stieß auf rund 2000 kritische Selektoren der NSA. Insgesamt hat der BND über die Jahre rund 40 000 solcher Suchkriterien der USA abgelehnt. Nach eigenen Angaben fischten die BND-Mitarbeiter diese heraus, gaben den Amerikanern dazu also keine Daten.
Doch die Linke-Obfrau im NSA-Ausschuss, Martina Renner, glaubt nicht an diese Version. „Wir gehen davon aus, dass ein Teil der Selektoren auch eingesetzt wurde.“ Wen genau die Amerikaner alles ausforschen wollten und bei welchen Stellen ihnen das in welchem Umfang gelang, ist noch unklar. Das Kanzleramt erfuhr angeblich erst vor ein paar Wochen von der ganzen Sache - nachdem der NSA-Untersuchungsausschuss nachhakte.
Aus dem Beschluss geht hervor, dass die Verfassungsrichter durch dieses Vorgehen das Recht des Ausschusses auf Vorlage nicht erfüllt sehen. Sie halten der Bundesregierung aber zugute, dass diese Auskünfte erteilt hat. Die Kenntnis der Selektoren sei „eher von allgemeinem politischen Interesse“ und „nicht in einem Maße zentral, um gegenüber den Belangen des Staatswohls und der Funktionsfähigkeit der Regierung Vorrang zu beanspruchen“.
Grüne und Linke im NSA-Untersuchungsausschuss sind enttäuscht von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. „Weite Teile der jahrelangen, rechtswidrigen BND-Praxis werden jetzt im Dunkeln bleiben“, sagte der Grünen-Obmann Konstantin von Notz. „Weitere Skandale und massive Grundrechtsverletzungen sind vorprogrammiert.“
Die Obfrau der Linken im Aussschuss, Martina Renner, ergänzte: „Diese Entscheidung signalisiert, dass die Geheimdienste weiter machen können, was sie wollen, ungestört von parlamentarischer Kontrolle.“ Wenige Tage nach der Wahl Donald Trumps zum neuen Präsidenten der USA sei dies „ein fatales Zeichen“.