NSU-Prozess Beate Zschäpe auf der Anklagebank

Zehn Menschen sind tot, mehr als 13 Jahre lang konnten die Täter unerkannt im Untergrund leben. Nun beginnt der Prozess um die Verbrechen der Terrorzelle NSU. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

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Beate Zschäpe Quelle: REUTERS

Nach langen Querelen und mit knapp dreiwöchiger Verspätung beginnt der NSU-Prozess in München. Einige zentrale Fragen zu dem Verfahren, das schon jetzt als eines der wichtigsten der deutschen Nachkriegsgeschichte gilt.

Wer steht in München vor Gericht?

Hauptangeklagte ist Beate Zschäpe. Sie soll mit den Neonazis Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos die Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) gebildet haben. Zschäpe ist die einzige Überlebende des Trios; Mundlos und Böhnhardt töteten sich, um einer Festnahme zu entgehen. Die Anklage wirft der 38-Jährigen Mittäterschaft bei allen Taten des NSU vor: zehn Morde, zwei Bombenanschläge und zahlreiche Banküberfällen. Zudem sind vier mutmaßliche Helfer und Unterstützer der Gruppe angeklagt: Ralf Wohlleben und Carsten S. wegen Beihilfe zum Mord - sie sollen die Pistole vom Typ Ceska besorgt haben, mit der neun Menschen ermordet wurden; außerdem André E. und Holger G. wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.

Zschäpe wird Mittäterschaft vorgeworfen. Was bedeutet das?

Im Strafgesetzbuch heißt es: „Begehen mehrere die Straftat gemeinschaftlich, so wird jeder als Täter bestraft (Mittäter).“ Hierfür ist es nicht nötig, dass der Mittäter selbst am Tatort unmittelbar beteiligt war. Laut Bundesanwaltschaft betrachteten die NSU-Mitglieder ihre Verbrechen als gemeinsame Taten, die sie in einer aufeinander abgestimmten Arbeitsteilung verübten. Demnach hatte Zschäpe „die unverzichtbare Aufgabe, dem Dasein der terroristischen Vereinigung den Anschein von Normalität und Legalität zu geben“. Nach Einschätzung der Ankläger reicht das für die Mittäterschaft aus. Ob das Gericht dem folgt, wird eine der juristisch spannenden Fragen.

Welche Strafe droht Zschäpe?

Mittäter werden genauso bestraft wie unmittelbare Täter. Also droht Zschäpe lebenslange Haft. Zudem sind nach Einschätzung der Bundesanwaltschaft die Voraussetzungen für eine anschließende Sicherungsverwahrung erfüllt. Auch der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, fordert lebenslängliche Freiheitsstrafen für die Beschuldigten. „Das ist ein Jahrhundertprozess. Es reicht nicht, die Beschuldigten zu verurteilen“, sagte Kolat der „Mitteldeutschen Zeitung“. „Wir hoffen, dass es zu Höchststrafen kommt. Und die Höchststrafe ist lebenslänglich.“

Was ist, wenn Zschäpe keine Mittäterschaft nachgewiesen werden kann?

Denkbar ist auch eine Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord, der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie Brandstiftung und versuchtem Mord in drei Fällen. Zschäpe hatte laut Anklage die letzte Wohnung des Trios in Brand gesteckt - in einem Haus, in dem sich zu dem Zeitpunkt normalerweise drei weitere Menschen aufhielten.

Warum findet der Prozess in München statt?

Das konnte die Bundesanwaltschaft entscheiden - wobei sie praktisch auswählen konnte zwischen den Bundesländern, in denen die Taten begangen wurden. Weil fünf der zehn Morde in München und Nürnberg verübt wurden, hat sie sich für Bayern entschieden. Der im Freistaat für derartige Verbrechen zuständige Staatsschutzsenat ist am Münchner Oberlandesgericht (OLG) angesiedelt.

Wie lange dauert der Prozess?

Proteste vor dem Gericht Quelle: dpa

Warum musste der Prozessbeginn verschoben werden?

Weil es Streit um das erste Akkreditierungsverfahren für Journalisten gab. Eine türkische Zeitung, die beim ersten Verfahren leer ausgegangen war, legte erfolgreich Verfassungsbeschwerde ein. Nach der Intervention aus Karlsruhe startete das Gericht dann überraschend das ganze Vergabeverfahren noch einmal neu – und verschob den Prozessbeginn vom 17. April auf den 6. Mai. Auch beim zweiten Mal gab es großen Ärger um das Akkreditierungsverfahren: Zum einen wurde ein freier WDR-Redakteur aus dem Lostopf gezogen, der sein Akkreditierungsgesuch längst widerrufen hatte. Die zweite Panne: Berichten von ARD und Bayerischem Rundfunk zufolge landete die Bewerbung des MDR-Hörfunks versehentlich im Korb für die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender. Der MDR wurde nicht gelost. Und: Nach dem Losverfahren blieben große Medien außen vor. Die „FAZ“, „Welt“, „ZEIT“ und „taz“ können nicht aus dem Gerichtssaal berichten, dafür aber unter anderem „Brigitte“ und „Hallo München“.

Wie viele Richter gibt es?

Der Staatsschutzsenat besteht aus fünf Richtern: Dem Vorsitzenden Manfred Götzl und vier Beisitzern. Dazu gibt es drei Ergänzungsrichter, die einspringen, falls ein Richter ausfällt. Das soll sicherstellen, dass der Prozess nicht verzögert wird.

Medienvertreter warten im Gericht Quelle: REUTERS

Wer sind die Staatsanwälte? Wer hat die Anklage verfasst?

Für Terrorismus-Verfahren ist die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe unter Leitung von Generalbundesanwalt Harald Range zuständig. Sie hat die 488 Seiten starke Anklageschrift verfasst. Federführend waren dabei Bundesanwalt Herbert Diemer sowie die Oberstaatsanwälte Anett Greger und Jochen Weingarten. Es ist davon auszugehen, dass sie auch im Gerichtssaal die Anklage vertreten.

Wer sind die Nebenkläger, und wie sehen deren Rechte aus?

Als Nebenkläger treten vor allem Hinterbliebene der Mordopfer auf. Etwa 80 sind laut OLG zugelassen, sie werden von mindestens 60 Anwälten vertreten. Sie alle können sich aktiv ins Verfahren einbringen, können Fragen und Anträge stellen.

Wie viele Verhandlungstage gibt es, wie lange dauert der Prozess?

Nach der Verschiebung des Prozessbeginns sind zunächst 80 Verhandlungstage angesetzt, und zwar bis Januar 2014. Das Gericht rechnet aber selbst schon damit, dass dies bei weitem nicht ausreichen wird.

Gibt es eigentlich noch Ermittlungen gegen weitere Personen?

Ja. Die Bundesanwaltschaft ermittelt nach wie vor gegen einige weitere Personen, die den NSU in irgendeiner Weise unterstützt haben sollen. Ob es zu weiteren Anklagen kommt, ist aber noch offen.

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