Der Nürburgring erlebt an diesem Wochenende eines der imposantesten Rennspektakel auf der Eifelstrecke. Tonnenschwere Lastwagen donnern beim Truck-Grand Prix des ADAC über den „Ring“ und locken zehntausende Zuschauer. Doch das Röhren und Dröhnen der Motoren könnte nur ein zartes Rauschen sein im Vergleich zu dem Knall, mit dem sämtliche Illusionen und Fantastereien der rheinland-pfälzischen Landesregierung womöglich kurz darauf in die Luft fliegen: Die Nürburgring GmbH, die zu 90 Prozent dem Land Rheinland-Pfalz und zu 10 Prozent dem Landkreis Ahrweiler gehört, steht dicht vor einer Pleite.
Noch in diesem Monat droht der Nürburgring GmbH das Geld auszugehen. Nach Informationen der WirtschaftsWoche haben die beiden Geschäftsführer Gerd Weisel und Hans-Joachim Koch die Belegschaft am vergangenen Dienstag bei einem Treffen mit Mitarbeitern bereits auf eine mögliche Insolvenz Ende Juli hingewiesen, wenn die EU-Kommission es dem Land bis dahin nicht erlaubt, die Rennstrecke mit weiteren Millionenhilfen zu retten. Die Landesregierung will sich auf Nachfrage zur Liquiditätssituation bei der Nürburgring GmbH nicht äußern. „Mit Blick auf die laufenden Verfahren und das Geschäfts- und Betriebsgeheimnis“, wie der Sprecher des zuständigen Innenministeriums mitteilt.
Insolvenz ist das Letzte was Beck gebrauchen kann
Ein Kollaps der Nürburgring GmbH wäre für den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck (SPD) ein Desaster erster Güte. Gerade verdichten sich in Mainz die Anzeichen, dass der seit 18 Jahren amtierende Regierungschef nach dem missratenen Versuch, einen Generationenwechsel einzuleiten, im Herbst selbst noch einmal für den Posten als SPD-Landeschef kandidieren will. Eine Insolvenz der Nürburgring GmbH wäre das letzte, was er gebrauchen kann.
Beck führte zwischen 2006 und 2011 eine SPD-Alleinregierung an, die beim Projekt „Nürburgring 2009“ 330 Millionen Euro in den Bau von Hotels, Restaurants, Veranstaltungshallen und einen Freizeitpark investiert hat – eigentlich gedacht, um die seit 2006 bilanziell überschuldete Nürburgring GmbH aus den roten Zahlen zu bringen, um Arbeitsplätze zu sichern und die strukturschwache Eifelregion zu fördern. Doch die Neubauten produzierten bisher nur neue Verluste. Und ausgerechnet die vermeintliche Zukunftsinvestition könnte das Prestigeprojekt nun aus der Kurve werfen.
Nachdem eine Privatfinanzierung für „Nürburgring 2009“ gescheitert war, hatte die landeseigene Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz (ISB) einen Kredit von 330 Millionen Euro bereitgestellt. Ende Juli werden rund sechs Millionen Euro an Zinszahlungen für den 330-Millionen-Kredit fällig, die die Nürburgring GmbH nicht aufbringen kann. Schon die im April fällige Rate von etwa drei Millionen Euro war ihr gestundet worden.
Der Sprecher des Innenministeriums will sich auch zu den Zinszahlungen nicht äußern. Klar ist jedenfalls: Beck und seine Mannschaft wollen den Nürburgring retten – und weitere Millionen nach Nürburg tragen.
Steile Vermögensvernichtung
Die Landesregierung hat bei der EU-Kommission beantragt, so genannte Rettungsbeihilfen zahlen zu dürfen. Das Land will der Nürburgring GmbH die Zinszahlungen für den ISB-Kredit weiterhin stunden und zusätzlich in den kommenden beiden Jahren 13 Millionen Euro an Gesellschafterdarlehen aus dem Landeshaushalt in die Nürburgring GmbH pumpen.
Dafür allerdings ist erst die Freigabe der EU-Kommission nötig. Sie hat im März bereits ein Beihilfeverfahren eröffnet. Die Nervosität in Mainz und Nürburg ist hoch. Man rechne „jederzeit“ mit einer Entscheidung der Kommission, heißt es aus dem Innenministerium. Von mit dem Verfahren vertrauten Personen ist dagegen zu hören, dass man sich in Brüssel schwer tue, die Rettungsbeihilfen freizugeben, und eine Entscheidung noch Zeit brauche. Zeit, von der die Nürburgring GmbH nicht mehr viel hat.
Schulden in Höhe von 413 Millionen Euro
Immer klarer wird derweil, wie irrwitzig die Nürburgring-Pläne von Beck und seiner Mannschaft von Anfang an waren. Der Antrag für die Rettungsbeihilfen zeigt die Absurdität erstmals in Zahlen. Der Unternehmenswert der Nürburgring GmbH wird darin nach einer aktuellen Beurteilung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young im Auftrag des Landes mit nur noch 126 Millionen Euro taxiert. Darin sind nicht nur die 330 Millionen Euro teuren Neubauten enthalten, sondern obendrein die profitablen Filetstücke – die beiden Rennstrecken Nordschleife und die Grand-Prix-Strecke. Eine steile Vermögensvernichtung.
Die Schulden der Nürburgring GmbH liegen den Zahlen zufolge bei 413 Millionen. Neben dem 330-Millionen-Kredit bei der ISB hat die Nürburgring GmbH noch weitere Verbindlichkeiten in Höhe von 83 Millionen Euro. Dieses Geld kam aus dem Landeshaushalt und wurde von der Regierung als Gesellschafterdarlehen in den Nürburgring gesteckt.
Möglicherweise sind auch die in der Verschuldungsbilanz angegebenen Vermögenswerte noch zu hoch. So werden 13 Millionen an „werthaltigen Forderungen“ angegeben, die sich weitgehend gegen die private Betreibergesellschaft Nürburgring Automotive GmbH (NAG) richten. Die gehört der Düsseldorfer Lindner-Hotelgruppe und der Firma Mediinvest des Düsseldorfer Projektentwicklers Kai Richter. Seit Mai 2010 betreibt die NAG den Ring, hat sich aber inzwischen mit der Landesregierung verkracht und die Kündigung erhalten.
Die Betreiber halten Pacht zurück, weil die Landesregierung ihnen angeblich eine Spielbankabgabe von 3,2 Millionen Euro jährlich zugesagt habe. Ob die Forderungen der Nürburgring GmbH an die NAG tatsächlich werthaltig sind, ist fraglich. Wer welchen Anspruch gegen wen hat, wird juristisch geklärt. Das Land hat die ausstehende Pacht eingeklagt, aber bisher keine Räumungsklage gegen die Pächter eingereicht, weil man sich auf ein Schiedsverfahren einigen will. Ob es überhaupt ein solches Verfahren geben wird ist genauso offen wie die Frage, wie es ausgehen würde.
Schimmel im Lindner Hotel?
Und auch der Unternehmenswert könnte mit 126 Millionen Euro noch zu hoch angegeben sein. Denn inzwischen zeigen sich immer mehr Baumängel an den 330 Millionen Euro teuren Betonmonstern. NAG-Sprecher Karl-Hein Steinkühler ätzte schon im Februar, die Überlegungen der grünen Wirtschaftsministerin Eveline Lemke zu einem Rückbau am Nürburgring seien „das Eingeständnis, dass ihr Chef Kurt Beck mit seinem angeblichen Freizeitpark vor zwei Jahren eine Schrottimmobilie in die Eifel-Landschaft gestellt hat“.
Probleme bereiten derzeit allerdings auch diverse Bauten von Steinkühlers Klient Kai Richter. Im Partydorf „Grüne Hölle“ ist Medienberichten zufolge Schimmel in der Discothek sowie in zwei der sieben Restaurants aufgetreten. Wie die WirtschaftsWoche von Nürburgring-Mitarbeitern erfuhr, sei nun auch das noble Lindner-Vier-Sterne-Hotel von Schimmel befallen.
Diverse Veranstalter schlagen Alarm
Dazu teilte Steinkühler auf Nachfrage mit: „Die von Ihnen beschriebenen Bauschäden werden derzeit gutachterlich bewertet.“ Die NAG halte sich an den Sachverstand der Experten und erwarte die Vorlage des Ergebnisses. „Erst dann kann eine Bewertung erfolgen und über weiteres Vorgehen entschieden werden.“
Von Seiten der Nürburgring GmbH bestätigte Geschäftsführer Gerd Weisel ebenfalls, dass es Probleme gibt und die Nürburgring GmbH in den vergangenen Wochen mehrere Gutachten in Auftrag gegeben hat. „Das wird gerade von Bausachverständigen untersucht“, sagte Weisel, „ich gehe davon aus, dass es nicht mehr lange dauert, bis die Gutachten vorliegen.“
Die nächsten Wochen werden nicht nur deshalb spannend. Da wegen des Streits zwischen den gekündigten Pächtern und der landeseigenen Besitzgesellschaft des Nürburgrings Rechtsunsicherheit herrscht, mit wem man überhaupt noch gültige Verträge schließen kann, haben diverse Veranstalter Alarm geschlagen. Das Musikfestival Rock am Ring droht ebenso mit einem Abzug wie der ADAC mit seinen Rennveranstaltungen. Und am Nürburgring bleibt nur die Hoffnung, dass der Truck Grand Prix an diesem Wochenende nicht der letzte sein wird.