Kurt Beck hat schon gut eineinhalb Stunden ausgesagt, als er erst so richtig gesprächig wurde. Beim Weißbier mit seinem früheren Staatskanzleichef in einem Koblenzer Lokal. Personenschützer und Vize-Regierungssprecher mit etwas Abstand am Nachbartisch platziert, mampfen und plaudern die beiden recht gelöst. Ein paar Meter weiter, einige Minuten früher, im großen Schwurgerichtssaal des Koblenzer Landgerichts, hatte Beck noch ganz anders ausgesehen, angespannt, nicht aufgeregt, aber manchmal ein bisschen erregt.
Der 64-Jährige hatte im Nürburgring-Prozess als Zeuge auszusagen. Sechs Angeklagte, darunter Becks früherer Finanzminister Ingolf Deubel (SPD), müssen sich wegen des Vorwurfs der Untreue verantworten. Sie sollen beim 330 Millionen schweren Ausbau des Rings von einer Rennstrecke zu einem gigantischen Komplex mit Museum, Hotels, Feriendorf, Freizeitpark und Hubschrauberlandeplatz, allzu freigiebig mit öffentlichen Geldern hantiert haben. Spaß, das war Beck anzumerken, kann ihm dieser Auftritt zwei Wochen nach seinem Geburtstag nicht gemacht haben.
Ahnungslosigkeit und Ausweichen
Gefallen daran könnte vor allem jemand finden, der wissen will, wie man vor Gericht aussagt, ohne groß was zu sagen. Seit gut einem Monat ist der langjährige rheinland-pfälzische Ministerpräsident und ehemalige SPD-Bundesvorsitzende im Ruhestand, doch der Politiker in ihm ist noch schwer aktiv. Mit einer Doppelstrategie aus Ahnungslosigkeit und Ausweichen lavierte sich Beck durch die Vernehmung, und es wurde ihm leicht gemacht: Auf konkrete, präzise Angaben nagelten ihn weder die Staatsanwälte noch einer der Verteidiger fest, und auch der Vorsitzende Richter Winfried Hetger fragte kaum konsequent nach.
Dabei hatte Hetger noch zu Beginn der Verhandlung moniert, die dem Gericht vorliegenden Protokolle der Kabinettssitzungen enthielten „wenig Erhellendes“, deshalb sei Beck hier überhaupt geladen. Doch die frühere Lichtgestalt der SPD brachte kaum Licht ins Dunkel um die Rennstrecke. Was wusste Beck über die später so spektakulär gescheiterten Pläne seines Finanzministers Deubel, eine Privatfinanzierung für den Ausbau des Nürburgrings zu besorgen? Wann wusste er es? Was wusste das Kabinett? Welche Hinweise hatten die Regierungsmitglieder, dass die angeblichen Financiers, die mit Millionen aus Dubai oder den USA lockten, doch bloß Scharlatane sein könnten? Wann wussten sie, dass der von Deubel als Privatinvestor vorgestellte Düsseldorfer Unternehmer Kai Richter Millionen als stille Beteiligungen von landeseigenen Banken erhielt?
Becks Vernehmung beantragt hatte der Verteidiger des früheren Chefs einer Landesförderbank. Er wollte wissen: Handelte die Bank eigenständig, oder setzte sie nur die Wünsche der Regierung um?
Wenig Antworten
Antworten auf all diese Fragen gab es nur partiell. Zum Beispiel, was die Unterstützung für den klammen Projektentwickler Richter anging. Er warnte vor einem drohenden Baustopp und bekam für seine Projekte in elf Tranchen insgesamt 85 Millionen Euro an stillen Beteiligungen. Es habe einen „politischen Konsens zwischen allen Kräften im Landtag“ gegeben, dass ein Baustopp verhindert werden müsse, sagte Beck. Dann seien auch Finanzierungswege geebnet worden. Wie das genau lief, mit den elf stillen Beteiligungen, der Bürgschaft des Landes hierfür, und was dem Kabinett jeweils vorher mitgeteilt wurde? „Im Einzelnen kann ich das nicht mehr sagen“, erklärte Beck. Immerhin so viel: „Insgesamt war klar, dass das Land hinter diesen Maßnahmen steht.“
Breite Zustimmung also, aber keine klare Zuständigkeit. Eine diffuse, nicht greifbare Verantwortung von niemandem. Damit konnten sich die Verteidiger der angeklagten Banker durchaus anfreunden. Bernd Schneider, der Rechtsanwalt, der Becks Vernehmung beantragt hatte, ließ den Ex-Ministerpräsidenten auch bestätigen, dass er zu einem Zeitungsinterview aus dem vergangenen November bis heute stehe. Darin hatte Beck gesagt, er sei überzeugt davon, dass keiner der Beteiligten die Absicht gehabt habe, Landesinteressen zu schädigen.
Das Nürburgring-Desaster
Die legendäre Rennstrecke in der Eifel ist für ihre Eigentümer seit Jahren ein Millionengrab. Die Nürburgring GmbH – sie gehört zu 90 Prozent das Land Rheinland-Pfalz und zu zehn Prozent der Landkreis Ahrweiler – ist seit 2006 bilanziell überschuldet und kann sich nur dank immer neuer Landes-Millionen über Wasser halten. Haupt-Verlustbringer ist die Formel 1, die von 2003 bis 2009 ein Loch von 55 Millionen Euro in die Kasse riss. Für das Rennen 2011 kalkuliert das Land mit einem Minus weiteren 13,5 Millionen Euro. Der Landesrechnungshof geht von höheren Kosten aus.
Um aus den Miesen zu kommen, wollten der damalige Nürburgring-Geschäftsführer Walter Kafitz (SPD) und die damalige SPD-Alleinregierung von Kurt Beck mit dem riesigen Erlebnispark „Nürburgring 2009“ zusätzliche Besucher anlocken. Die Einnahmen sollten die Verluste aus der Formel 1 decken. Der Park besteht aus zwei Bauabschnitten: Die Nürburgring GmbH baute ein Erlebniszentrum mit Rennsportmuseum (Ringwerk), eine Achterbahn, eine überdachte Shoppingmeile (Boulevard) sowie zwei Veranstaltungshallen. Der zweite Abschnitt, entwickelt von Kai Richters Firma Mediinvest, umfasst zwei Hotels mit Personalwohnhaus, einen Ferienpark und das Eifeldorf „Grüne Hölle“, in dem sich eine Disco und diverse Restaurants befinden.
Die Baukosten stiegen von ursprünglich geplanten 215 auf 330 Millionen Euro. Der erste Bauabschnitt sollte zur Hälfte, der zweite komplett privat finanziert werden. Bei der Suche nach Investoren für den ersten Bauabschnitt fielen Land und Nürburgring GmbH auf dubiose Finanzvermittler herein. Die für den zweiten Bauabschnitt zuständige Firma Mediinvest von Kai Richter erhielt 85,5 Millionen Euro von der Rheinland-Pfälzische Gesellschaft für Immobilien und Projektmanagement mbH (RIM). Die ist eine hundertprozentige Tochter der Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz (ISB), welche wiederum zu hundert Prozent dem Land gehört. Die MSR wurde später mitsamt der Gebäude von Landesgesellschaften übernommen.
Ab Mai 2010 vergab die Nürburgring GmbH den Betrieb des kompletten Parks inklusive der Rennstrecken an die private Nürburgring Automotive GmbH (NAG), die je zur Hälfte Kai Richters Mediinvest und der Düsseldorfer Lindner-Hotelgruppe gehört. Im Februar 2012 kündigte das Land den Betreibern wegen ausstehender Pachtzahlungen. Die NAG geht juristisch gegen die Kündigung vor. Nach ihrer Sicht der Dinge schuldet das Land den Betreibern noch Geld, diese Forderungen habe man mit der Pacht verrechnet. Streit gibt es um die von den Betreibern angekündigte Entlassung von einem Viertel der Belegschaft. Die EU-Kommission prüft nach mehreren Beschwerden von Konkurrenten, ob das Land bei der Verpachtung an die NAG gegen Vergaberecht verstoßen hat.
Die erhofften Besuchermassen bleiben aus. Die als schnellste der Welt geplante Achterbahn funktioniert bis heute nicht. In der „Grünen Hölle“ ist von Oktober bis März nur ein einziges Restaurant durchgängig geöffnet, der Rest ist die meiste Zeit dicht. Das Land wirft den Betreibern zudem vor, die Gebäude vernachlässigt zu haben. In mehreren Restaurants ist Schimmel aufgetreten. Der Landesrechnungshof schätzt den zusätzlichen Investitionsbedarf des Landes in den nächsten 20 Jahren auf bis zu 420 Millionen Euro.
Wegen ihrer Rolle bei der gescheiterten Privatfinanzierung hat die Staatsanwaltschaft Koblenz im Februar 2012 Anklage wegen Untreue gegen den ehemaligen rheinland-pfälzischen Finanzminister Ingolf Deubel (SPD) erhoben. Auch der frühere Nürburgring-Hauptgeschäftsführer Walter Kafitz und zwei weitere ehemalige Manager der Nürburgring GmbH wurden wegen Untreue angeklagt. Der frühere ISB-Chef und ein RIM-Manager wurden wegen Beihilfe zur Untreue angeklagt. Die Ermittlungen wegen des Verdachts der Untreue gegen Kai Richter dauern an.
Die Geschichte des Scheiterns
Auf die Frage eines beisitzenden Richters, ob auch nach dem Scheitern der Privatfinanzierung noch eine realistische Aussicht bestanden habe, dass das gesamte Projekt wirtschaftlich tragfähig sein könnte, redete Beck über die Geschichte des Scheiterns - obwohl der Richter noch nachfragte und deutlich machte, dass es ihm um die Zeit nach dem Formel-1-Rennen 2009 ging und nicht um die davor. An anderer Stelle ließ Beck in Grundsatzerklärungen zur Regionalpolitik und Strukturförderung Beck sogar die wunderbare Eifellandschaft und den hervorragenden Wein einfließen, da müsse man einfach auch die volkswirtschaftliche Bedeutung eines solchen Investments sehen.
Irgendwann muss Beck dieses Herumlavieren selbst ein bisschen peinlich geworden sein. „Ich will hier nicht den Eindruck der tumben Inkompetenz stehen lassen“, sagte der SPD-Mann, aber als Ministerpräsident könne er sich nun mal nicht zu tief in alle Themen einarbeiten. Da war es für Kurt Beck schon fast geschafft. Noch ein Hinweis auf eine Wette mit einem Schriftsteller, gegen den er darauf gesetzt habe, dass der Ring nach fünf Jahren ganz anders bewertet werde. Die Schlussrechnung solle man erst auf machen, wenn wieder Normalität eingekehrt ist.
Kein gutes Ende in Sicht
Die wird wohl so aussehen, dass der Ring europaweit ausgeschrieben und verkauft wird. Das haben die Insolvenzverwalter, die seit Mitte 2012 das Sagen haben, so anklingen lassen. Von den fünf Jahren, die Beck in der Wette genannt hat, sind schon bald drei vergangen – doch ein gutes Ende für das Land ist nicht in Sicht. Wie viel von den investierten 330 Millionen Euro das Land durch den Verkauf wieder sehen wird, ist völlig ungewiss. Obwohl zusätzlich zu den Neubauten auch noch eine der traditionsreichsten Rennstrecken der Welt mit verscherbelt wird.
„König Kurt“ allerdings kann sich sicher sein, dass das Land fürstlich für ihn sorgen wird. Er bekommt weiterhin ein Büro, einen Dienstwagen, Mitarbeiter bezahlt. Nach über 30 Jahren als Landtagsabgeordneter und fast 20 Jahren als Ministerpräsident bittet selbst die Pressestelle der Staatskanzlei auf Nachfrage um Zeit, um auszurechnen, wie hoch Becks Versorgungsansprüche sind.
Gute Nachrichten vom Nürburgring
Es ist erstaunlich, wie konsequent Beck – der in seiner politischen Laufbahn über Jahre hinweg immer wieder eine stärkere Managerhaftung gefordert hatte – sich in Koblenz um Verantwortung drückte. Mit Begründungen, die jedes Vorstandsmitglied sofort als Argumente gegen eine Managerhaftung unterschreiben würde. Er, Beck, der Regierungschef, könne nicht jedes Detail kennen, es sei nur um Überblicke über die Gesamtentwicklung gegangen, er müsse auf die Ressortverantwortlichkeit der Kabinettsmitglieder vertrauen können. Nur, dass er nicht früher die Reißleine gezogen habe, müsse er sich vorwerfen lassen, das habe ihn selbst geärgert. Allerdings: „Man sieht das im Nachhinein.“ Als die Entscheidungen anstanden, sei die Sicht noch eine andere gewesen.
Das ist die Linie, mit der sich Beck schon lange rechtfertigt, in Interviews, aber auch im Untersuchungsausschuss. Bisher hat er sich damit erstaunlich erfolgreich aus der Affäre gezogen und sogar im Landtag ein Misstrauensvotum nach der Rennstreckenpleite überstanden.
Und auch am Dienstag im Gericht klappte es recht gut, das aufmunternde Nicken, das sein Ex-Staatskanzleichef noch im Gerichtssaal Richtung Beck schickte, sprach für eine gewisse Zufriedenheit. Dann ging es gemeinsam ins Lokal.