OECD-Daten Arbeitnehmer fürchten die Globalisierung – zu Recht

Die Globalisierung hat Jobs der Mittelschicht vernichtet. Daten der OECD zeigen, dass neue Jobs meist besonders niedrig oder besonders hoch bezahlt sind – und gerade in Deutschland mit viel Stress verbunden.

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Die Lohnschere öffnet sich. Quelle: picture-alliance/ dpa

Berlin Auf den ersten Blick erscheint die Lage paradox: 2016 stieg in fast allen Industriestaaten Zahl der Arbeitsplätze, die Arbeitslosigkeit ging deutlich zurück. Gleichzeitig war 2016 das Jahr starker populistischer Bewegungen von rechts und links. Viele Bürger bezweifeln, dass demokratische Politiker tatsächlich ihre Interessen vertreten. Ein Vorwurf: Die Globalisierung nutzt Großkonzernen und wenigen Gutverdienern, während durchschnittlich bezahlte Arbeitsplätze wegfallen, weil sie zum Beispiel nach China verlegt werden.

Diese Wahrnehmung, sagt jetzt erstmals die Industrieländer-Organisation OECD, ist zumindest teilweise berechtigt. „Viele Sorgen, die der Gegenbewegung zur Globalisierung zugrunde liegen, sind real“, schreiben die OECD-Ökonomen in ihrem „Beschäftigungsausblick 2017“ über die Arbeitsmärkte der 34 Industriestaaten. Den Bericht stellen OECD-Chef Angel Gurria und  Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) an diesem Dienstag in Berlin vor. In fast allen OECD-Staaten schwanden demnach zwischen 1995 und 2015 Jobs der Mitte, während im Niedriglohnsektor, aber auch im Hochlohnsektor, neue Arbeitsplätze entstanden.

In Deutschland – und auch in den USA – war dieser Trend schwächer ausgeprägt als im Schnitt der Industriestaaten: Der Anteil von Jobs mit mittlerer Qualifikation an allen Arbeitsplätzen ging um acht Prozentpunkte  zurück. Der Anteil der Niedriglohnjobs stieg um drei Prozentpunkte, der Anteil der Stellen für Hochqualifizierte sogar um knapp fünf Prozentpunkte. Am heftigsten war der Effekt in Österreich, in dem der Anteil der Mitte-Jobs um 17 Prozentpunkte zurückging – allerdings vor allem zugunsten hochqualifizierter Jobs, die ihren Anteil um 13 Prozentpunkte verbesserten. Der Niedriglohnsektor-Anteil legte nur in Griechenland um mehr als fünf Prozentpunkte zu.

Zur Globalisierungsangst vieler Menschen beitragen dürfte die Tatsache, dass Menschen mit niedriger und mittlerer Qualifikation beim Verlust ihres Arbeitsplatzes wesentlich schlechtere Chancen auf Weiterbildung haben als Hochqualifizierte. Die OECD vermutet, dass neben der Globalisierung auch der technische Fortschritt, vor allem die Digitalisierung, dazu geführt hat, dass sich die Schere zwischen guten und schlechten Jobs öffnet.

Welcher der beiden Effekte stärker war, können die Ökonomen nicht sagen, sie empfehlen aber:  „Arbeitskräfte, die ihren Arbeitsplatz aufgrund des wirtschaftlichen Wandels verlieren, müssen effektiver unterstützt werden, sich weg von absteigenden Sektoren hin zu Sektoren zu orientieren, in denen neue Arbeitsplätze entstehen.“ Digitale Grundbildung für Erwachsene etwa sei dringend geboten.


Mindestlohn war die richtige Maßnahme

Deutschland mit seiner niedrigen Arbeitslosenquote von vier Prozent bekommt vergleichsweise gute Noten von der OECD: Der neue Mindestlohn seit 2015 hat keine Arbeitsplätze gekostet, im Gegenteil: Er hat den steten Rückgang der Arbeitslosigkeit seit der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 nicht einmal unterbrochen. Mindestlöhne lobt die OECD generell als Mittel gegen ausufernde Unzufriedenheit im Niedriglohnsektor. Die Arbeitslosigkeit in Deutschland werde in diesem Jahr weiter auf 3,7 Prozent sinken.

Allerdings sehen die OECD-Ökonomen auch für Deutschland ein großes Aber: Das Lohnwachstum blieb verhalten, trotz des überall beklagten Fachkräftemangels. Eine hohe Zahl Älterer und Frauen musste Mini-Jobs annehmen. Zudem ist der Stress am Arbeitsplatz höher als im Durchschnitt der OECD-Länder. Woran dies genau liegt, sagten die Ökonomen leider nicht. Schlecht schneidet Deutschland auch bei der Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen ab: Sie verdienen weniger, meist weil sie weniger Stunden arbeiten. Und das liege am noch immer zu geringen Angebot an Kinderbetreuungsplätzen.  

Die Wahrnehmung von Ungerechtigkeit am Arbeitsmarkt hält die OECD deshalb für berechtigt. „Der Anteil der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter mit niedrigen Einkommen ist höher als in Frankreich oder der Schweiz und doppelt so hoch wie in Island“, bemängelt die Studie. Deutschland müsse dringend die Beschäftigung und die Löhne von benachteiligten Gruppen fördern: Deren Beschäftigungsquote liegt um 20 Prozent unter der von Männern.

Der SPD-Wahlkämpferin Nahles jedenfalls bietet die Studie reichlich Themen: Es gibt in Deutschland zwar viele Arbeitsplätze, aber auch viele stressreiche und schlecht entlohnte. So super wie die Arbeitslosenquote aussieht ist die Job-Wirklichkeit nur für hochqualifizierte Männer.

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