Ökonom Malcolm Schauf „Merkel ist Deutschlands großes Problem“

Kanzlerin Angela Merkel Quelle: AP

Von der Neuauflage der Großen Koalition ist nichts Gutes zu erwarten, sagt Malcolm Schauf. Der neue Präsident des Bundesverbands Deutscher Volks- und Betriebswirte sieht extreme Defizite bei Technologieförderung und Einwanderungspolitik.

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WirtschaftsWoche: Auf die Bundeskanzlerin und die Neuauflage der Großen Koalition sind Sie, so hört man, nicht gut zu sprechen.
Zunächst einmal muss man feststellen, dass Deutschland am Scheideweg steht. Wir profitieren immer noch von der Politik von vor fünfzehn Jahren.

Sie meinen die Agenda-Reformen unter Gerhard Schröder?
Ja. Merkel dagegen macht nichts. Oder sie tut Dinge, die Deutschland schaden. In Unternehmen ist das auch oft so, dass Vorstandschefs nur von dem profitieren, was ihre Vorgänger getan haben. Die negativen Auswirkungen der Politik Merkels spüren wir jetzt noch nicht. Aber wir werden sie in einigen Jahren schmerzlich spüren. Manche Wähler, habe ich den Eindruck, wollen geradezu belogen werden.

Wäre eine Jamaika-Koalition besser gewesen als die Fortsetzung der Großen Koalition?
Vielleicht. Aber dass es für die FDP als Partei besser gewesen wäre, glaube ich nicht. Jetzt kann die FDP Oppositionsarbeit machen, den Finger in die Wunden legen. Eine Koalition mit Merkel tut keiner Partei gut. Merkel ist Deutschlands großes Problem – für den Wirtschaftsstandort ebenso wie für die Gesellschaft. Sie ist der Grund dafür, dass die AfD so stark ist. Die CDU könnte ohne Merkel die konservativen Wähler abgreifen, was jetzt selbst der CSU nicht gelingt. Leider herrscht in der Union immer noch die Duckmäuserei. Wenn ich mit CDU-Politikern privat spreche, ziehen sie über Merkel her, doch in der Öffentlichkeit hört man von ihnen keinen Ton. Daher kann Merkel einfach weitermachen wie seinerzeit Helmut Kohl. Aber solche Rückgratlosigkeit tut nicht gut – nicht in Unternehmen und nicht an der Spitze von Staaten.

Malcolm Schauf ist Professor für Unternehmensführung an der FOM – Hochschule für Oekonomie und Management in Düsseldorf und Präsident des Bundesverbands Deutscher Volks- und Betriebswirte BDVB. Quelle: PR

Was sind für die kommende Regierung die wichtigsten ökonomischen Fragen, bei denen sie sich bewähren müsste?
Vorneweg: Sie wird sich nicht bewähren. In erster Linie ginge es um Technologie. Sogar einige osteuropäische Länder sind uns mittlerweile zum Beispiel im Bereich E-Government oder im Breitbandausbau überlegen. Es ginge also darum, viel Geld in die Hand zu nehmen, um den Ausbau der Glasfaser-Infrastruktur schnell voranzutreiben. Ich höre von Mittelständlern vor allem aus ländlichen Gebieten, dass sie ihre Firma wegen zu geringer Internet-Bandbreite verlegen müssen. Selbst in manchen Stadtteilen Düsseldorfs ist es nicht ratsam eine IT-Agentur aufzumachen. Was Digitalisierung bedeutet, das Ausmaß der Umbrüche haben viele Politiker schlicht noch nicht verstanden. Im Bundestag sitzen keine Digital Natives, keine Leute, die Trends identifizieren können. Bei der Innovationsförderung fehlt einfach die politische Strategie.

Die SPD, vor allem Parteichef Schulz selbst, legt besonderen Wert auf arbeitsmarktpolitische Forderungen, wie die Abschaffung der unbegründeten Befristung von Arbeitsverhältnissen oder das Recht auf Rückkehr in Vollzeit. Wären das Dinge, die deutsche Unternehmen schwer träfen?
Solange die Konjunktur so brummt wie jetzt, werden die Auswirkungen für Unternehmen gering sein. Aber das wird sich ändern. Rein ökonomisch schaden solche Maßnahmen Unternehmen, aber natürlich ist nicht alles, was ökonomisch sinnvoll ist, auch langfristig gesellschaftspolitisch richtig. Der gesellschaftliche Friede ist ein hohes Gut. Und langfristig ist der auch wieder ein wichtiger Standortfaktor für Unternehmen. Ich persönlich glaube, dass die meisten Unternehmen, gerade die mittelständischen, ihre gesellschaftliche Verantwortung sehr wohl auch ohne Gesetze wahrnehmen. Die brauchen eigentlich keine Gesetze, um mit ihren Mitarbeitern gute Lösungen zu finden.

Im Sondierungspapier kommt das Thema Europa zuerst. Da ist von der Stärkung des EU-Parlaments und „spezifischen Haushaltsmitteln für wirtschaftliche Stabilisierung“ die Rede. Ist das endgültig der Schritt in die Transferunion?
Ja, das ist die Transferunion. Ich fürchte, den meisten Deutschen ist überhaupt nicht klar, was das bedeutet. Nämlich die finanzielle Entmachtung der Nationalstaaten in der EU. Für Deutschland wird das sehr teuer. Der europäische Gedanke hat zwei Aspekte. Einerseits den kulturellen. Natürlich ist es wunderbar, nicht mehr nur in Nationalstaaten zu denken. Aber das Ökonomische muss man davon trennen. Die EU war von Anfang an eine Fehlkonstruktion. Viele Ökonomen haben das ja auch kritisiert. Überschuldete Staaten wie Griechenland oder Italien haben gar keine Anreize zu Reformen, wenn sie wissen, dass sie das fehlende Geld ohnehin kriegen. Warum wohl setzt sich Macron so sehr für die weitere Vergemeinschaftung ein? Weil Frankreichs Schulden weiter steigen. Frankreich wird demnächst sehr viel Geld brauchen. Viele Geschäftsleute und Ökonomen, die ich im Ausland spreche, sehen Deutschland als dummes Schaf. Kein Mensch kann verstehen, warum die Deutschen dieser europäischen Vergemeinschaftung der Schulden zustimmen.

„Der Preis droht noch höher auszufallen, als befürchtet“
Angela MerkelDie Bundeskanzlerin (CDU) zeigt sich erleichtert über das Ja der SPD zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen. Der CDU sei dabei wichtig, dass Deutschland eine stabile Regierung bekomme, die Lösungen für die Zukunftsfragen in Angriff nehmen könne, sagte Merkel am Sonntagabend vor Beratungen der Spitzengremien ihrer Partei in Berlin. „Das Sondierungspapier ist dabei der Rahmen, in dem wir verhandeln.“ Auf der Grundlage dieses Papiers müsse noch eine Vielzahl von Fragen im Detail geklärt werden. Quelle: dpa
Martin SchulzDer SPD-Parteichef ist zufrieden mit dem Abstimmungsergebnis. „Wir sind natürlich alle erleichtert. Wir werden nach dieser harten Diskussion (...) versuchen, die Partei zusammenzuführen“, sagte Schulz nach der Abstimmung. Quelle: dpa
Horst SeehoferFür eventuelle Nachverhandlungen des Sondierungsergebnisses steht die CSU nicht zur Verfügung. Parteichef Seehofer sagte nach einer Sitzung des CSU-Spitzengremiums: „Es gab keine Stimme, die dies für verhandelbar erklärt hat.“ Verträge müssten eingehalten werden, so Seehofer. Quelle: AP
Julia KlöcknerAuch von der CDU gab es Lob für das Abstimmungsergebnis der SPD. Die stellvertretende Bundesvorsitzende Klöckner schrieb auf Twitter: „Glückwunsch zur Entscheidung und Bereitschaft, sich doch in den Dienst des Landes zu stellen #SPD.“ Quelle: dpa
Christian LindnerDer FDP-Chef äußerte sich kritisch zu einer Neuauflage der Großen Koalition. „Wenn die gesamte Führung für den Regierungseintritt wirbt, aber nur eine knappe Mehrheit des Parteitags folgt, ist das eine Hypothek“, so Lindner. „Das Ergebnis lässt befürchten, dass in den Koalitionsverhandlungen nun Rückschritte zu erwarten sind. Widersprüche zwischen den Koalitionspartnern werden nach „Methode Merkel“ nun vermutlich mit noch mehr Steuergeld zugeschüttet“, sagte Lindner weiter. Quelle: dpa
Cem ÖzdemirNachdem er bereits an den gescheiterten Jamaika-Sondierungsgesprächen teilgenommen hat, kritisiert der Bundesvorsitzende der Grünen eine mögliche Neuauflage der Großen Koalition. „Stabil wird diese große Koalition, wenn sie denn zustande kommt, nicht“, so Özdemir. Die SPD sei „im höchsten Maße gespalten“, die Angst vor einer Neuwahl habe sich durchgesetzt. Ergänzend sagt er: „Man hat den Eindruck, als ob es irgendwie offener Strafvollzug wäre, Deutschland regieren zu dürfen.“ Quelle: dpa
Cem ÖzdemirDer niedersächsische Ministerpräsident zeigt sich erleichtert über die positive Abstimmung zur Aufnahme von Gesprächen mit der Union. „Ich bin erleichtert. Man hat gesehen, dass die SPD wirklich mit sich gerungen hat. (...) Das war ein extrem hartes Stück Arbeit“, sagte Weil. Quelle: dpa

Europäischer Idealismus?
Vielleicht bei einigen. Bei anderen ist es schlichtweg ökonomische Unkenntnis. Auch die Bundeskanzlerin hat den ökonomischen Sachverstand eines Grundschülers. Ihr scheint ja auch überhaupt nicht klar gewesen zu sein, welchen volkswirtschaftlichen Schaden sie mit der plötzlichen Energiewende verursacht hat. Leider sind regierende Politiker für ihre Taten nicht in persönliche Haftung zu nehmen. Ein Geschäftsführer einer GmbH müsste nach solchen Fehlentscheidungen vermutlich ins Gefängnis.

"Ich rechne mit einer stärkeren Belastung"

Ein Streitpunkt in der künftigen Koalition dürfte die Steuerpolitik werden. Kann man auf Steuersenkungen hoffen – als durchschnittlich verdienender Bürger und als Finanzchef eines mittelständischen Unternehmens?
Ich rechne eher mit einer stärkeren Belastung, auch für Unternehmen. Es gibt keinen Treiber, weder in der Union noch in der SPD, die steuerlichen Rahmenbedingungen zu verbessern. Vor allem nicht für Mittelständler und Familienunternehmen. Die SPD hat immer große Konzerne vor Augen, wenn von Unternehmen die Rede ist. Aber 99,7 Prozent sind kleine und mittlere Unternehmen. Für die müssten die Bedingungen verbessert werden.

Die Steuersenkungen durch Donald Trump in den USA dürften den internationalen Standortwettbewerb immerhin ankurbeln.
Ja, das wird so kommen. Einige amerikanische Unternehmen haben ja schon angekündigt, wieder Standorte in die USA zu verlegen. Auch europäische Länder haben sich steuerlich attraktiver gemacht, Portugal zum Beispiel. Die Vorstellung, Steueroasen austrocknen zu können, ist unrealistisch. Trump interessiert es überhaupt nicht, was die Deutschen oder Europäer zu seiner Steuerpolitik sagen.

Das brisanteste Thema ist wohl die Einwanderung. Haben deutsche Unternehmen ein Interesse am weiteren Familiennachzug und weiter offenen Grenzen für Flucht- und Asylmigration? Oder kann die CSU sich bei ihren Forderungen nach aktiver Begrenzung der Zuwanderung auf Rückhalt bei Unternehmen berufen?
Eigentlich interessiert die nur: Kriege ich genug Leute für mein Business. Ein Gefühl der gesellschaftlichen Verantwortung für das Land ist bei heutigen Konzernlenkern nicht weit verbreitet. Die sind international orientiert. Mir sagte neulich noch ein Vorstandschef, für ihn sei das ohnehin nicht so wichtig, was hier gesellschaftlich passiert. Wenn es schlecht läuft, zieht er privat eben weg. Mittelständler sind da anders. Und bei denen herrscht große Ernüchterung, was die Einwanderung angeht.

Natürlich brauchen wir aus ökonomischen Gründen Einwanderung, grundsätzlich egal woher. Aber es kommt auf die Qualifikation an. Ich habe mich schon vor zweieinhalb Jahren sehr gewundert, dass deutsche Unternehmen so euphorisch waren angesichts der Flüchtlingswelle. Es gab überhaupt keine empirischen Gründe dafür. Im Gegenteil. Es gab ja Informationen über die schwachen Bildungssysteme und den verbreiteten Analphabetismus in Syrien, Nordafrika und den anderen Herkunftsländern.

Deutschland schafft es aus vermeintlicher moralischer Verantwortung nicht, ganz klar festzustellen: Humanität ja, aber in Grenzen; wir haben nationale Interessen, unsere Unternehmen haben Interessen, daher gibt es einen ganz klaren Kriterienkatalog für Einwanderer. So wie zum Beispiel Australien das macht.

Und die Integration?
Ich spreche jetzt nicht als Ökonom, sondern als studierter Soziologe. Die Migrationsforschung zeigt eindeutig, dass Integration nur gelingen kann, wenn der Anteil der zu Integrierenden ein gewisses Maß nicht überschreitet. Wenn zu viele kommen, dann bleiben sie unter sich. Wenn wenige kommen, müssen sie sich mit den Einheimischen zusammentun. Darum hat die Integration der Gastarbeiter im Großen und Ganzen gut geklappt. 200 000 Zuwanderer jährlich – und selbst diese Grenze scheint ja vom Tisch zu sein – sind gesellschaftlich nicht integrierbar. Man muss sich klarmachen, dass das in zehn Jahren zwei Millionen Menschen sind – ohne Nachzug. Wir haben es ja nicht mal geschafft, einen Großteil der Asylsuchenden aus den 1980er und 90er Jahren zu integrieren. Denken Sie an die libanesischen Clans.

Merkel überfordert mit ihrer Flüchtlingspolitik Deutschland. Der soziale Friede ist daher gefährdet. Und der ist ein wichtiger Standortfaktor. Ich bin gespannt auf die nächste Statistik zum Wanderungssaldo bei Hochqualifizierten. Ich vermute, dass viele von ihnen Deutschland verlassen aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklung. Aus meinem persönlichen Umfeld zumindest höre ich oft von Auswanderungswilligen. Wenn wir die Eliten verlieren, sieht es für Deutschland nicht gut aus.

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