Herr Straubhaar, wie sehen Sie die Lage der Reichen und Spitzenverdiener in Deutschland?
Thomas Straubhaar: Ich habe sehr viel Verständnis für die kritischen Stimmen, die sagen, dass bis 2008 Gewinne privatisiert und danach die Verluste der Finanzmarktkrise sozialisiert wurden. Dieses Argument ist schwer widerlegbar. Aber nicht alle Reichen sind gleich. Es sind nur einige wenige, die mit ihren Vermögen in Steueroasen ausgewichen sind oder Cum-Ex-Geschäfte gemacht haben. Trotzdem haben sie damit den Ruf der Wohlhabenden pauschal beschädigt – und das spiegelt die Realität nicht wider. Eliten dürfen sich aber nicht anmaßen, dass für sie andere Gesetze und moralische Maßstäbe gelten als für andere. Ein moralisches Verhalten und soziale Verantwortung sind für eine soziale Marktwirtschaft genauso unverzichtbar wie individuelle Freiheitsrechte.
Diese 36 Deutschen besitzen zusammen so viel wie die Hälfte der Deutschen
Der aktuelle Bericht der Entwicklungshilfeorganisation Oxfam-Bericht zeigt: Im Jahr 2016 besaßen die acht reichsten Männer der Welt zusammengenommen 426 Milliarden Dollar und damit mehr als die gesamte ärmere Hälfte der Weltbevölkerung (3,6 Milliarden Menschen mit insgesamt 409 Milliarden Dollar). Es gibt jedoch auch eine Liste reicher Deutscher, deren Vermögen dem der ärmeren Hälfte der deutschen Bevölkerung entspricht.
Platz 36 der reichsten Deutschen belegt Traudl Engelhorn mit einem Vermögen von insgesamt 3,8 Milliarden Dollar. Demgegenüber steht die Summe von 299,2 Milliarden Dollar: So viel besitzt die ärmere Hälfte der deutschen Bevölkerung zusammen an Immobilien, Bargeld, Kunst, Autos, Aktien und sonstigen Wertgegenständen.
Ebenfalls je 3,8 Milliarden Dollar beträgt das Vermögen der Brüder Herz, deren Familie mit Tchibo verbunden ist. Michael Herz und Wolfgang Herz sind Anteilseigner an Maxingvest.
Auch das Vermögen des im Mai 2016 verstorbenen Heinz-Georg Baus beläuft sich auf insgesamt 3,8 Milliarden Dollar. Der gelernte Schreiner und Glaser gründete 1960 das Unternehmen Bauhaus.
Ralph Dommermuth, Gründer, Vorstandsvorsitzender und größter Aktionär der United Internet AG, kommt auf ein Vermögen von 4,2 Milliarden Dollar.
Bernard Broermann , Gründer der Asklepios Kliniken, besitzt ein Gesamtvermögen von 4,3 Milliarden Dollar.
Die Unternehmerfamilie Reimann ist eine der wohlhabendsten Familien Deutschlands. Den Kern der Gesellschafterfamilie bilden Renate Reimann-Haas, Holdingsprecher Wolfgang Reimann sowie die Cousins Matthias Reimann-Andersen und Stefan Reimann-Andersen. Jeder der vier besitzt ein Vermögen von 4,4 Milliarden Dollar.
Die Gesellschafterin der Schaeffler AG, Maria-Elisabeth Schaeffler, kommt auf ein Vermögen von 4,5 Milliarden Dollar.
Milchmagnat Theo Müller besitzt ebenfalls 4,5 Milliarden Dollar.
Der in Heidelberg geborene Unternehmer Hans Peter Wild, zu dessen Unternehmen die Marke Capri-Sonne gehört, besitzt ein Vermögen von 4,7 Milliarden Dollar. Mittlerweile lebt Wild in der Schweiz.
Auf exakt fünf Milliarden Dollar beläuft sich das Vermögen des ehemaligen Eigentümers der Massa-Märkte, Karl-Heinz Kipp.
Ludwig Merckle, Sohn von Ruth und Adolf Merckle, ist Geschäftsführer der Merckle Unternehmensgruppe und sitzt bei diversen Unternehmen im Aufsichtsrat. Merckles Vermögen beläuft sich auf 5,1 Milliarden Dollar.
Günther Fielmann, Mehrheitsaktionär der Fielmann AG, besitzt 5,3 Milliarden Dollar. Damit belegt er Platz 20 unter den reichsten Deutschen.
Bernhard Aloys Wobben gilt als Pionier im Bereich Windenergie. Der Gründer des Windenergieanlagenherstellers Enercon kommt auf ein Gesamtvermögen von 5,4 Milliarden Dollar.
Heinrich Otto Deichmann, Leiter des Schuheinzelhändlers Deichmann, besitzt ein Vermögen von 5,6 Milliarden Dollar.
Wolfgang Marguerre ist Gründer, Eigentümer und CEO der Octapharma AG. Er besitzt ein Vermögen von 6,1 Milliarden Dollar.
Der im Oktober 2016 verstorbene Curt Engelhorn war bis 1997 Mitgesellschafter des Pharma-Unternehmens Boehringer Mannheim, das seine Familie an Hoffmann-La Roche verkaufte. Engelhorns Vermögen beläuft sich auf 6,2 Milliarden Dollar.
Walter Droege kommt auf ein Vermögen von 6,4 Milliarden Dollar. Er ist Gründer und Leiter des Beratungs- und Investmentunternehmens Droege International Group AG mit Sitz in Düsseldorf.
Der Investor und Bankier, August von Finck, kommt auf ein Gesamtvermögen von 7,6 Milliarden Dollar.
Der SAP-Mitgründer Dietmar Hopp besitzt ein Vermögen von 7,9 Milliarden Dollar.
Schraubenkönig Reinhold Würth besitzt 8,1 Milliarden Dollar.
Udo und Harald Tschira sind die Söhne von Klaus Tschira, einem der Mitgründer des Softwareunternehmens SAP. Ihr Vermögen beläuft sich auf 9,3 Milliarden Dollar.
Ebenfalls ein SAP-Mitgründer ist Hasso Plattner. Sein Vermögen beläuft sich auf 9,5 Milliarden Euro. Damit ist er der zehntreichste Deutsche.
Klaus-Michael Kühne ist Verwaltungsratsmitglied und größter Einzelaktionär des Logistikdienstleisters Kühne + Nagel. Außerdem ist er Anteilseigner des HSV. Kühne besitzt ein Vermögen von zehn Milliarden Dollar.
Heinz Hermann Thiele ist Eigentümer der Knorr-Bremse AG und steht bei Vossloh dem Aufsichtsrat vor. Er besitzt ein Vermögen in Höhe von 11,7 Milliarden Dollar.
Michael Otto, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Otto Gruppe, besitzt ein Vermögen von 15,4 Milliarden Dollar.
Stefan Quandt, BMW-Großaktionär, besitzt 15,6 Milliarden Dollar.
Dieter Schwarz, Gründer und Eigentümer der Schwarz-Gruppe, besitzt ein Vermögen von 16,4 Milliarden Dollar. Damit ist der Lidl- und Kaufland-Chef der fünftreichste Deutsche.
Auf Platz vier folgt der bereits verstorbene Unternehmer Georg Schaeffler. Sein Vermögen beläuft sich auf 18,1 Milliarde Dollar.
Susanne Klatten, Tochter von Herbert und Johanna Quandt, ist mit einem Vermögen von 18,5 Milliarden Dollar die reichste Frau Deutschlands
Theo Albrecht, Gründer von Aldi Nord, ist posthum der zweitreichste Deutsche. Sein Vermögen beläuft sich auf 20,3 Milliarden Dollar.
Der verstorbene Aldi-Gründer Karl Albrecht Jr. und seine Tochter Beate Heister, geborene Albrecht, sind die reichsten Deutschen. Zusammen besitzen sie ein Vermögen in Höhe von 25,9 Milliarden Dollar.
Glauben Sie, dass das ökonomische Trickle-Down-Argument der Ära Reagan – kurz gesagt: dass es allen besser geht, wenn es den Reichen gut geht – auf Deutschland zutrifft?
Um diese Frage zu beantworten, ist es ganz wichtig, zwei Zustände zu trennen: vor und nach der sozialstaatlichen Umverteilung. Wenn wir nur die Primäreinkommen im Auge haben, dann gilt für Deutschland, dass es zu einer Polarisierung der Einkommen gekommen ist - und gerade nicht zu einem spürbaren Aufhol-Effekt.
Gilt das generell?
Nein. Wenn wir nur absolute Größen im Auge haben, dann hat ein Trickle-Down weltweit sehr gut funktioniert. Es ist unstrittig, dass sich die Lebensqualität in den vergangenen dreißig Jahren – seit Beginn der Globalisierung also – verbessert hat, zum Teil gewaltig. In China und Südostasien sind hunderte Millionen Menschen aus der Armut in die Mittelschicht aufgestiegen. Dort ist der Satz gültig: Die Flut hebt alle Boote. Aber gleichzeitig gilt auch: Nicht alle profitieren gleichermaßen vom Wachstum.
Haben Sie ein Beispiel?
Natürlich. Thomas Piketty kann überzeugend zeigen, dass Kapitaleinkommen schneller gewachsen sind als die Wirtschaft insgesamt. Das heißt, dass diejenigen, die Kapitaleinkommen beziehen, zum Beispiel über Zinsen, Dividenden oder Unternehmensgewinne, viel stärker von diesen Wachstumseffekten profitiert haben als die mit Arbeitseinkommen.
Organisationen wie der IWF oder die OECD kommen mittlerweile zu dem Schluss, dass zu viel Ungleichheit Wachstum hemmt. Warum ist das so?
Die Theorie geht bis auf den amerikanischen Ökonomen Simon Kuznets zurück. Stellen Sie sich eine umgekehrte U-Kurve vor: Wenn alle nichts oder wenig haben, ist die Ungleichheit klein, aber das Elend groß. Totale Gleichheit aller wäre schädlich, weil es sich nicht lohnt, etwas für sein eigenes Fortkommen zu tun. Aber wenn Ungleichheit zu groß wird, steigen Unzufriedenheit und Widerstandkraft derjenigen, die nicht zur begüterten Elite gehören. Sie glauben dann, dass sie nicht zu den Profiteuren von Globalisierung und Digitalisierung gehören. Wenn die Ungleichheit zu groß ist, dann grassiert die Steuervermeidung und dann leidet irgendwann die gesellschaftliche Stabilität. Wie immer in der Ökonomie gilt: es kommt auf das rechte Maß an.
Diejenigen, die sich abgehängt fühlen, investieren dann auch weniger in ihre Gesundheit oder Ausbildung. Dadurch wird die Ungleichheit noch gravierender und führt zur politischen und ökonomischen Instabilität.
Absolut, das ist der Teufelskreis. Denn gerade wer am ärmsten dran ist, hätte den größten Bedarf für Investitionen in Ausbildung und Gesundheit, aber am wenigsten Geld und frei verfügbare Zeit, um dies zu finanzieren.
Wie kann man dem entgegenwirken?
Nehmen wir ein Beispiel: Eine ungelernte alleinerziehende Verkäuferin an der Supermarktkasse könnte großes Interesse daran haben, weiterzukommen, etwas anderes zu machen und sich weiterzubilden. Aber sie hat die finanzielle Kapazität nicht; sie kann es sich schlicht nicht leisten, für zwei Jahre im Job auszusetzen und kein Einkommen zu erwirtschaften, weil sie dann ihre Familie nicht mehr ernähren könnte. Was wäre die Lösung? Man muss diese Menschen mit Kaufkraft ausstatten.
"Wir müssen über das bedingungslose Grundeinkommen diskutieren"
Kaufkraft heißt: ein Grundeinkommen?
Genau. Man muss die Menschen, die wollen und können, ermächtigen, sich weiterzubilden und aus diesen – in vielen Fällen ungewollten – Lebenslagen zu befreien. Da hat das Trickle-Down-Paradigma meines Erachtens komplett versagt. Denn gerade in Deutschland werden Lebenschancen immer noch vererbt. Mein Vorschlag ist, radikal umzudenken. Ich verstehe, dass damit nicht alle Probleme gelöst werden können, es werden auch viele andere und heute noch völlig unbekannte Herausforderungen auf uns warten. Aber an diesem Modell müsste man jeden alternativen Reformvorschlag messen.
Sprechen wir konkret über Zahlen. In Finnland läuft gerade ein Grundeinkommensversuch mit 560 Euro pro Monat.
Viel zu wenig!
Laut Umfragen sind zwei Drittel der Befragten für das Experiment mit dem Grundeinkommen. Welchen Betrag schlagen Sie denn vor?
Für Deutschland sind 560 Euro für ein Grundeinkommen gar keine Diskussionsgrundlage. Hartz-IV-Empfänger erhalten bereits 409 Euro. Mit Wohn- und Heizgeld sind sie bei weit über 600 Euro, ohne erwerbstätig zu sein. Ich habe es mir ganz einfach gemacht: Ich habe die heutigen Gesamtausgaben des Sozialstaat genommen, das sind rund 900 Milliarden Euro pro Jahr, und sie durch 80 Millionen geteilt. Dann kommen sie auf Größenordnungen von rund 1000 Euro pro Person pro Monat.
Wie ließe sich das finanzieren?
Die Nettowertschöpfung in Deutschland beträgt etwa zweieinhalb Billionen Euro. Wenn ein 50-prozentiger Steuersatz auf alle Wertschöpfung erhoben wird, kann man den Sozialstaat gerade so finanzieren. Dann bleibt noch genügend Geld übrig für alle anderen öffentlichen Güter, wenn die Mehrwertsteuer bei 19 Prozent bliebe.
Halten Sie dieses Modell für durchsetzbar?
Um das Grundeinkommen politisch durchzusetzen, gilt es, viele Gegner zu überwinden, das ist wahr. Aber wir müssen darüber diskutieren! Unser heutiges Steuer- und Abgabensystem ist leistungsfeindlich und hat keine nachhaltig tragfähigen Antworten auf die Fragen der Zukunft.
Kommen wir noch einmal zur Gegenwart zurück. US-Präsident Donald Trump will die Unternehmenssteuer von 35 auf 15 Prozent und den Spitzensteuersatz von 40 auf 33 Prozent senken. Was würde es bedeuten, wenn er damit erfolgreich ist?
Unter Ronald Reagan war die Lage ganz anders: Da lagen die Spitzensteuersätze bei heute unvorstellbaren 70 Prozent und mehr. Da würde ich schon sagen, dass die Reaganomics mittel- und längerfristig zielführend und richtig war. Heute sprechen wir in den USA von einer vergleichsweise geringeren Steuerlast, die noch etwas gedämpft werden soll. Wenn daraus folgt, dass das Unternehmensklima verbessert werden könnte und mehr Arbeitsplätze geschaffen würden, wäre das ein Schritt in die richtige Richtung.