Ökonomen zur Flüchtlingsintegration „Wir müssen ehrgeiziger werden“

Der Ökonom Herbert Brücker fordert eine bessere Integration der Flüchtlinge. „Nach fünf Jahren müssten 70 Prozent einen Schulabschluss haben“, sagt er. Was die Wirtschaftswissenschaftler sonst noch empfehlen.

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Deutsche Ökonomen sehen den Zuzug der Flüchtlinge sehr unterschiedlich. Quelle: dpa

Augsburg Deutschlands führende Ökonomen fordern eine bessere und schneller Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt, auch wenn mangelnde Sprachkenntnisse und eine geringe Qualifikation die Aufgabe sehr viel schwerer machen als bei anderen Zuwanderern. Dass die jüngste Zuwanderungswelle die Probleme lösen hilft, die mit der alternden Gesellschaft verbunden sind, glaubt nur eine Minderheit. Unternehmensvertreter betonen wie schwer die Integration von Flüchtlingen ist.

„Es dauert sehr, sehr lange, bis Flüchtlinge am Arbeitsmarkt ankommen. Da müssen wir ehrgeiziger werden.“ Mit dieser Forderung stieg Herbert Brücker, Forschungsbereichsleiter am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ein in eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion unter den Chef von Wirtschaftsforschungsinstituten bzw. deren Migrationsexperten. Die Debatte fand während der Jahrestagung des Ökonomenverbands „Verein für Socialpolitik“ in Augsburg statt.

„Nach zwei Jahren müssten 70 Prozent ein gutes deutsches Sprachniveau erreicht haben und nach fünf Jahren 70 Prozent einen Schulabschluss haben.“ So könnten nach Brückers Vorstellungen konkrete Zielsetzungen aussehen. RWI-Präsident Christoph Schmidt warnte allerdings vor übereilter Arbeitsmarktintegration in niedrig qualifizierte Jobs. „Für die gesellschaftliche Integration ist ein gewisser Bildungsstand nötig. Bevor dieser erworben ist, ist Integration in den Arbeitsmarkt zu früh“, sagte er.

Der Chef des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle, Reint Gropp, begab sich mutig in eine Minderheitsposition, indem er den Flüchtlingszustrom als eine positive Entwicklung einordnete, die den sonst bevorstehenden Bevölkerungsrückgang kompensiere und dazu beitrage, die langfristige Finanzierbarkeit der Renten sicherzustellen. „Die Leute, die kommen, bringen gesellschaftlich und ökonomisch etwas mit und wir sollten diese Potentiale nutzen“, sagte er.
Dem hielten Schmidt und andere entgegen, wegen der durchschnittlich geringen Qualifikation der Flüchtlinge, der geringen Erwerbsquote und der hohen Abhängigkeit von Sozialleistungen müsse man langfristig froh sein, wenn die Sozialversicherungen nicht übermäßig zusätzlich belastet werden.

Man müsste ziemlich unplausible Annahmen treffen, um zu dem Ergebnis zu kommen, dass die Tragfähigkeit der Sozialsysteme besser wird, stimmte Matthias Lücke, Migrationsexperte des Instituts für Weltwirtschaft, zu. Gleichzeitig betonte Schmidt aber auch, dass man nicht in die Diskussion zurückfallen dürfe, ob Flüchtlinge mehr kosten als sie bringen oder umgekehrt. „Hier geht es nicht um eine ökonomische Frage, hier geht es um eine humanitäre Verpflichtung“ betonte er.

Dem widersprach allerdings Ifo-Chef Clemens Fuest ungewöhnlich vehement. „Wir müssen die Frage stellen, ob sich das rechnet. Nur so können wir auch die Frage stellen können, ob es Verlierer gibt, etwa weil die Löhne sinken“, warf er ein. Diese müssten dann eventuell kompensiert werden. Ein klares Ergebnis der Wissenschaft zur Frage, ob eine Zuwanderungswelle die Löhne bestimmter Gruppen von Einheimischen senkt, konnten die Ökonomen allerdings nicht präsentieren.


Formulare auf Englisch und Arabisch

Die Handlungsempfehlungen der Ökonomen reichten vom kleinen pragmatischen Schritten bis zum großen Abstrakten. „Es wäre schon viel geholfen, wenn die Jobcenter Formulare nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Englisch und Arabisch hätten“, sagte Fuest. „Die Bringschuld des Staates liegt zuallererst in schnelleren Asylverfahren“ betonte Schmidt, das sei die beste Integrationsmaßnahme. Im gleichen Sinne forderte Brücker mehr Sprachkurse und Rechtssicherheit für Flüchtlinge und Unternehmen. Gropp dagegen betonte die Notwendigkeit einer Liberalisierung des Arbeitsmarkts, um Zugangsbarrieren zu senken, zum Beispiel im Handwerk.

Die Integration stellt Unternehmen vor große Probleme Welche Schwierigkeiten Unternehmen die berufliche Integration von Flüchtlingen bietet, machten sehr eindrucksvoll die Teilnehmer einer weiteren Diskussionsrunde deutlich. Johanna Strunz, Mitglied der Geschäftsführung des Familienunternehmens Lamilux, stellvertretende Vorsitzende von „Die Jungen Unternehmer“, hatte zwar die positive Botschaft, dass der Bedarf eigentlich da sei.

„Viele Ausbildungsstellen und einfache Tätigkeiten lassen sich kaum noch besetzen“, sagte sie. Gleichzeitig betonte sie aber auch die sehr großen Schwierigkeiten, die für Unternehmen damit verbunden sind, Flüchtlinge einzustellen. Florian Wurzer, Leiter der Personalgewinnung von DB Mobility Networks Logistics, bestätigte diese Einschätzung. „Wer keine deutschen Warnschilder und Handbücher lesen kann, den kann man sehr wenig tun lassen“, gab er zu bedenken.

„15 erwachsene Flüchtlinge in ein Unternehmen voll zu integrieren ist extrem viel Arbeit“, betonte Wurzer. Der Staat ist dabei aus seiner Sicht nicht immer hilfreich. So habe sein Unternehmen hohe Kosten gehabt, habe Sprachkurse bezahlt, und dann seien viele der Teilnehmer abgezogen worden, weil sich die Regeln änderten, zum Beispiel im Hinblick auf sichere Herkunftsländer.
Hurzer wandte sich gegen die Vorstellung, man könnte die Integration am schnellsten bewerkstelligen, indem man die Flüchtlinge in möglichst einfache Tätigkeiten bringt. „Mit zu einfachen, schlecht bezahlten Tätigkeiten gelingt die gesellschaftliche Integration nicht“, sagte er. Es sollten schon Berufe mit Gehaltsperspektive sein – Fachkräfte also, die von Arbeitgebern auch gesucht werden.

Um die Dimension des Problems deutlich zu machen, fragte Hurzer das Publikum, wer sich zutrauen würde, innerhalb eines halben Jahres Aramäisch oder eine andere arabische Sprache zu lernen. Keine Hand hob sich.

Im ersten Halbjahr 2016 verursachte die Flüchtlingsbetreuung Staatsausgaben in Höhe von 9,2 Milliarden Euro. Im Gesamtjahr ist mit Ausgaben von rund 20 Milliarden Euro zu rechnen. Zu dieser Schätzung kommen die Konjunkturexperten des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. Die Forscher verglichen die Haushaltsstatistiken des 1. Halbjahres mit einem hypothetischen Szenario, ohne den starken Anstieg der Flüchtlingszahlen.

Besonders große Anteile an den Ausgaben haben soziale Sachleistungen der Gebietskörperschaften. Dazu zählen etwa die Erstausstattung in Unterkünften, dortige Gesundheitsdienstleistungen und Vorleistungen wie zum Beispiel die Anmietung von Unterkünften. Auch die Personalkosten haben deutlich zugelegt. Die Geldleistungen an die Asylbewerber machen einen vergleichsweise geringen Anteil an den Kosten aus.

„Das ist eine erhebliche Summe, die aber mit einem Anteil von rund 1,4 Prozent am gesamten Staatshaushalt beherrschbar ist“, sagte IfW-Forscher Jens Boysen-Hogrefe. Trotz dieser Mehrausgaben wiesen die öffentlichen Haushalte im ersten Halbjahr 2016 einen Rekordüberschuss auf. Außerdem sei mit den staatlichen Zusatzausgaben ein positiver Konjunkturimpuls verbunden.

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