Österreich Der talentierte Mr. Kurz

Österreichs Außenminister Sebastian Kurz lässt keine Möglichkeit aus, um anderen Regierungen vor den Kopf zu stoßen. Nun stichelt er mal wieder in Richtung Berlin. Dabei hat der Politiker nur eines im Sinn: sich selbst.

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Die forschen Angriffe von Kurz, seit seinem Amtsbeginn im Herbst 2013, haben die historische Vermittlerrolle der Alpenrepublik stark beschädigt. Quelle: Reuters

Wien Wenn es um populäre Themen geht, kennt Sebastian Kurz kein Pardon. Nun hat der österreichische Außenminister in der „Bild“-Zeitung die Rechtmäßigkeit der deutschen Mautpläne angezweifelt. Es bestehe die Gefahr, „dass österreichische Autofahrer dadurch ungerechterweise benachteiligt werden, was gegen europäisches Recht verstoßen würde“, formulierte der 30-jährige Rechtskonservative ganz undiplomatisch in Richtung Berlin.

Österreich will nun schleunigst eine Allianz mit den anderen Nachbarländern Deutschlands schmieden, um die Mautpläne in Brüssel zu Fall zu bringen. Mit seinen Zweifeln an der Rechtsmäßigkeit kann Kurz, der sein juristisches Studium zugunsten der politischen Karriere abgebrochen hat, im eigenen Land punkten. Dabei verlangt Österreich für seine Jahresvignette – im Volksmund Pickerl genannt – stolze 86,40 Euro. Das beschert dem österreichischen Fiskus jährlich annähernd zwei Milliarden Euro an Einnahmen – nicht zuletzt dank der vielen Autofahrer aus Deutschland.

Österreichs Außenminister ist inzwischen zu einem Liebling der Medien aufgestiegen. Und die neuen Sticheleien in Richtung Berlin passen in das Bild, das Kurz dort von sich zeichnet. Reihenweise hat der Politiker, der kaum eine Fernsehkamera oder Talkshow – vor allem in Deutschland – auslässt, Regierungen vorgeführt und Regierenden vor den Kopf gestoßen. Der rechtskonservative Wiener ist stets darum bemüht, dass es nicht allzu ruhig um ihn wird. Zuletzt machte er in der Ostukraine klar, worum es ihm dabei geht: um eine möglichst gekonnte Inszenierung seiner Selbst.

Mit einem ramponierten Militärhelikopter ließ sich der ehemalige Jurastudent an die Front bringen. In einer schwarz-blauen kugelsicheren Weste vor einem ausgebrannten und zerstörten Haus stehend, blickte er staatsmännisch in die Ferne. Die Bilder aus dem ostukrainischen Kriegsgebiet waren ganz nach dem Geschmack von Kurz.

Die Reise ins Donezbecken hat der gebürtige Wiener eigenen Aussagen zufolge gezielt zum ersten Termin als OSZE-Vorsitzender ausgewählt, „um ein Signal zu setzen, dass wir uns auf diesen Konflikt fokussieren wollen“. Dass es bei der am Mittwoch zu Ende gegangenen Stippvisite in dem osteuropäischen Land zu keinerlei politischen Fortschritten oder gar Ergebnissen kam, ließ er unerwähnt. Noch im Januar aber will der ÖVP-Politiker das Gespräch mit Kiew und Moskau suchen.

Im Kriegsgebiet der Ostukraine hat die in der Wiener Hofburg residierende OZSE eine ihrer heikelsten Missionen mit Beobachtern vor Ort zu erfüllen. Sie wissen, dass der in Minsk vor knapp zwei Jahren ausgehandelte Waffenstillstand nur auf dem Papier existiert. Kurz setzt auf seine guten Beziehungen zu Russland, um den Bürgerkrieg in der Ukraine zu entschärfen. Seit jeher betrachtet sich das eigentlich neutrale Österreich als Brückenbauer zwischen Ost und West. Doch die forschen Angriffe von Kurz seit seinem Amtsbeginn im Herbst 2013, haben diese historische Rolle der Alpenrepublik so stark beschädigt, dass ihm die uneigennützige Vermittlerrolle längst nicht mehr abgenommen wird.

Kurz, der mit seinen streng zurückgekämmten Haaren älter aussieht als er ist, stellt das Gegenteil von einem geschickten und erfahrenen Diplomaten dar. Die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel begreift er als blauäugig. Ohne Rücksprache mit dem Partner in Berlin hat er zusammen mit der ungarischen Regierung unter Viktor Orbán und anderen die Schließung der Balkan-Route organisiert, die zu einem politischen und humanitären Desaster in Griechenland geführt hat.

Seine brüske Ablehnung von Beitrittsgesprächen mit der Türkei sorgte für ein tiefes Zerwürfnis zwischen Ankara und Wien. An dem Misstrauen, das beiden Ländern nun füreinander hegen, trägt Kurz eine hohe Mitverantwortung. Doch gerade auf die Türkei ist er angewiesen, will er den Vorsitz in der OSZE zu einem Erfolg machen. Denn innerhalb der Organisation herrscht das Prinzip der Einstimmigkeit.


Schlagzeilen mit sexistischer Propaganda

Das viele Porzellan, das der Wiener im Umgang mit der Türkei zerschlagen hat, könnte ihn bald teuer zu stehen kommen. Gegen eine Retourkutsche der Türkei gäbe es kein probates Mittel. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu hatte bereits in einem türkischen TV-Interview angekündigt, er werde „auf allen Ebenen gegen Österreich auftreten“. Er kritisierte insbesondere das Veto von Kurz in der Türkei-Politik der EU.

Die OSZE mit ihren 57 Mitgliedern, darunter auch die USA, Kanada, Russland und die Türkei, ist eine der wichtigsten internationalen Plattformen zur Konfliktlösung. Es ist eine der ganz wenigen Organisationen, in denen Amerikaner, Europäer und Russen im ständigen Dialog miteinander stehen. Zum Charakter der OSZE gehört das offene und zugleich vertrauliche Wort. Statt telegenem Medienzirkus zählte bislang der Aufbau von Vertrauen hinter verschlossenen Türen.

Vor diesem Hintergrund ist es alles andere als förderlich, wenn Österreichs Außenminister bei jeder passenden Gelegenheit Recep Tayyip Erdogan oder Angela Merkel die Leviten liest oder ungefragt Ratschläge erteilt. Sein Drang zur politischen Selbstdarstellung ist nichts Neues. Schon als Jungpolitiker war er mit sexistischer Propaganda in die Schlagzeilen gelangt. Damals ließ er Papp-Modelle für einen Rund-um-die-Uhr-Betrieb der Wiener U-Bahn am Wochenende aufstellen, die ein leicht bekleidetes Mädchen mit dem Schild „24 Stunden Verkehr am Wochenende“ zeigten.

Die OSZE ist nun für Österreichs Außenminister vor allem eine glänzende Möglichkeit, um sich beim einheimischen Publikum zu inszenieren. Angesichts des schwachen Wirtschaftswachstums und der hohen Arbeitslosigkeit ist es Balsam für die österreichische Seele, wenn Kurz zumindest auf dem internationalen Parkett für Aufmerksamkeit sorgt. Das stärkt das von Reformstau geschundene Selbstbewusstsein.

Der junge Politiker verfolgt vor allem ein Ziel. Er möchte Bundeskanzler werden, auch wenn er das selbst nicht ausspricht. In Österreich stehen im Herbst 2018 reguläre Neuwahlen an. Doch Gerüchte, die Wahlen noch auf dieses Jahr vorzuziehen, wollen nicht verstummen. „Ich gehe von Wahlen in diesem Jahr aus“, sagte der Vorstandschef einer Wiener Bank. Ihm fehlt das Vertrauen in die rot-schwarze Koalition, die mit ihren Reformen trotz vieler richtiger Worte nicht schnell genug vorankommt.

Nach einer Umfrage des österreichischen Market-Instituts kommt die rechtspopulistische FPÖ als stärkste Partei zur Zeit auf 31 Prozent. Die sozialdemokratische SPÖ würde 25 Prozent und die ÖVP 22 Prozent erzielen. Eine Koalition von FPÖ und ÖVP hätte demnach eine Mehrheit. Die Rechtspopulisten wollen allerdings unbedingt selbst den Kanzler stellen. Aber Kurz mit seinen 30 Jahren hat Zeit, sehr viel Zeit.

Im Bundesland Oberösterreich regiert die ÖVP bereits einträchtig mit der FPÖ. Auf Bundesebene ist eine derartige Konstellation ebenfalls nicht abwegig. Kurz hat mit seiner auf Abschreckung setzenden Flüchtlingspolitik und der Ablehnung von weiteren EU-Beitrittsgesprächen mit der Türkei durchaus einige Gemeinsamkeiten mit den Anliegen der Rechtspopulisten. Einer seiner Vorschläge, Migranten nach dem Vorbild Australiens auf Inseln außerhalb von Europa zu kasernieren, erhielt auch von rechter Seite viel Applaus.

Bis jetzt sieht die österreichische Bevölkerung dem jungen Wiener mit dem unschuldigen Bubengesicht so einiges nach. Der OSZE-Vorsitz könnte allerdings zur Nagelprobe für ihn werden. Mit seinen guten Beziehungen zu Moskau allein wird Kurz die Einhaltung des Minsker Abkommens und dem damit verbundenen Waffenstillstand nicht durchsetzen können. Auch wenn Russlands Präsident Wladimir Putin für eine Lockerung der EU-Sanktionen auf ein Entgegenkommen in der Ostukraine einlassen würde.

Die OSZE und deren Vorsitzender müssen ehrlich und innovativ zwischen den tief verfeindeten Konfliktparteien vermitteln. Mit durchsichtigen PR-Aktionen im Kriegsgebiet wird keine Lösung herbeigeführt werden können. Wie brachte Kurz die gegenwärtige Situation auf den Punkt: „Im Moment befinden wir uns definitiv in einer Sackgasse“. Da bleibt dem Außenminister und OSZE-Vorsitzenden nichts anderes übrig, als schleunigst den Rückwärtsgang bei der Eigen-PR einzulegen.

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