Olaf Scholz und Joschka Fischer Hoffnung für Deutschland

Kurz bevor Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten gekürt wird, präsentiert der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Olaf Scholz sein Buch. Der Titel „Hoffnungsland“ will so gar nicht zum pessimistischen Wahlkampf passen.

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Der Regierende Bürgermeister von Hamburg stellt zusammen mit Joschka Fischer in Berlin sein neues Buch vor. Quelle: dpa

Berlin Schon seit Wochen reist Martin Schulz durch die Republik, macht Wahlkampf und prangert die soziale Ungerechtigkeit in Deutschland an. Da verwundert es, dass ausgerechnet jetzt Hamburgs Regierender Bürgermeister Olaf Scholz, zugleich der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende, ein Buch mit dem Titel „Hoffnungsland“ vorstellt.

Deshalb versucht Scholz bei der Buchvorstellung dem Eindruck entgegenzutreten, dass sein Werk im Kontrast zu einem pessimistischen SPD-Wahlkampf stehe: „Ich habe mich ganz bewusst damit auseinandergesetzt, was getan werden muss, dass die hier Lebenden dieses Land als eines mit guten Zukunftsperspektiven und Hoffnung betrachten.“ Die mittleren und unteren Einkommen seien jedoch unter Druck geraten. Wenn Deutschland ein Hoffnungsland bleiben wolle, müsse auch an dieser Stelle angesetzt werden.

Für die Buchpräsentation ist auch Joschka Fischer in die Dependance des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels gekommen. Der ehemalige Außenminister der Grünen schätzt Scholz für seinen klare Wertegrundlage, seine hohe Kompetenz und seinen Pragmatismus, mit dem er Probleme löst. Hätte sich Fischer statt Schulz lieber Scholz als Kanzlerkandidaten gewünscht? „Diesbezüglich war ich wunschfrei“, sagt Fischer. „Die SPD hat entschieden und so wie die Dinge laufen, offensichtlich nicht so falsch.“ Überhaupt sei ihm die Kanzlerfrage egal. Vorausgesetzt, es ende nicht mit Rot-Rot-Grün. Denn das hieße, dass Nationalisten von links in die Bundesregierung kämen.

Fischer attestiert Scholz, ein spannendes Buch geschrieben zu haben, weil es ein Einwanderungsland unter den Bedingungen eines Sozialstaates durchdekliniere. Doch mehr Umverteilung, bessere soziale Absicherungen, die Abkehr von der Agenda 2010? Bei diesen Themen ist Fischer vorsichtig. „Ich habe nicht vergessen, warum wir die Agenda gemacht haben.“ In Hunderttausender-Schritten seien damals die Arbeitslosenzahlen in die Höhe geschnellt, der Sozialetat sei ihnen damals um die Ohren geflogen. Die Agenda 2010 sei insofern historisch richtig gewesen. „Aber natürlich müssen wir nachjustieren“, erklärt Fischer. „Wenn die Menschen in ihrem Job täglich acht oder zehn Stunden arbeiten und davon nicht leben können, dann ist das falsch.“

Weitere Handlungsfelder sieht Scholz in der Flüchtlingspolitik. Er plädiert für sichere und gesicherte Außengrenzen sowie für eine gerechtere Verteilung von Flüchtlingen in Europa. Dafür wäre zwar eine gemeinsame Position innerhalb der EU nötig, doch dahingehend zeigt sich Scholz zuversichtlich. „Ungarn und Polen haben doch das größte Interesse an der EU“, sagt Scholz. Die EU ermögliche ihnen schließlich, aus einer deutlich stärkeren Position heraus mit Russland zu agieren. „Das ist so offensichtlich, dass ich überzeugt bin, dass es bald verstanden wird“, erklärt Scholz.

Auch Fischer fordert bei der Verteilung der Flüchtlingsströme in Europa mehr Solidarität. „Man trifft sich mehr als einmal im Leben“, sagt der frühere Vize-Kanzler. Als „mafiaartige Drohung“ wollte er das nicht verstanden wissen, aber es müsse ein Mechanismus gefunden werden, wie man mehr Solidarität in Europa hinbekomme. „Solidarität heißt Geben und Nehmen.“

Wobei Scholz auch die Rolle von Deutschland in den vergangenen Jahren kritisch hinterfragt: „Wäre Deutschland solidarisch gewesen, als die Flüchtlinge über die Meerenge von Gibraltar kamen, als die Flüchtlinge über Malta, Italien und Griechenland nach Europa kamen, hätte der Solidaritätsappell 2015 auch mehr Gehör gefunden.“


Warum Deutschland alleine dastehen könnte

Damit die Integration von Flüchtlingen auch tatsächlich klappt, sind nach Ansicht von Scholz Bildung und Wohnraum die wichtigsten Faktoren. Deshalb müsse in diesen Bereichen investiert werden. Der Frage, ob neue Wohnungen für Flüchtlinge den Unmut in der Gesellschaft nicht noch steigern würden und damit am Zeitgeist vorbeigingen, weicht Scholz bei der Präsentation aber aus.

In seinem Buch wirbt er für Zeit und Verständnis. Ende des 18. Jahrhundert hätten schließlich auch neun Prozent der US-Bevölkerung aus Deutschland gestammt. Diese stellten deutschsprachige Schilder auf, importierten deutsche Bücher und sprachen mit ihren Kindern nur deutsch. Mancher habe sich damals gefragt, ob die Deutschen überhaupt in der Lage seien, gute Amerikaner zu sein.

Dass sich in Deutschland die Haltung zur Flüchtlingspolitik geändert hat, sieht Fischer unter anderem darin begründet, dass die Flüchtlinge überraschend in so großer Zahl nach Deutschland kamen. „Auf diese humanitäre Notsituation war Deutschland nicht vorbereitet“, so Fischer. Damit verbunden sei dann der Eindruck gewesen, man habe die Sache nicht im Griff. Vor allem das habe in Deutschland zu Verunsicherung geführt.

Zu einer klugen Einwanderungs- und humanitären Zuwanderungspolitik gebe es laut Fischer aber keine Alternative. Eine Beschränkung auf Abschreckung reiche nicht aus. Nach Jahren in der Bundes- und Landespolitik sei er aber durchaus Realist und das heiße auch anzuerkennen, dass Zuwanderungspolitik „keine sanfte Veranstaltung“ sei.

Im Klartext: Wer kein Bleiberecht habe, der müsse gehen. Der frühere Außenminister plädierte aber dafür, sich jeden Fall genau anzuschauen. Abschiebungen nach Afghanistan etwa sieht der ehemalige Außenminister kritisch: „Mit Afghanistan habe ich ein Problem. Wir haben Truppen dort stationiert, aus bekannten Gründen. Dass wir dahin abschieben, damit habe ich ein moralisches und logisches Problem.“

Ebenfalls problematisch sei es, wenn Menschen abgeschoben würden, die in Deutschland längst integriert seien. Scholz habe da in seinem Buch einen guten Vorschlag gemacht, lobte Fischer. Der Vorschlag lautet, Menschen, die einen Arbeitsplatz haben, nicht abzuschieben.

Einmal im Plaudern zogen Scholz und Fischer die Kreise größer. Er könne die Emotionen, die in Bezug auf die Türkei jetzt in Europa hochschlügen, verstehen, sagt er. Sich „nichts gefallen zu lassen“ und zu zeigen, „dass wir richtige Kerle sind“ helfe aber nicht weiter. „Ich würde mir wünschen, dass der Bundestag ein Gesetz macht, dass wir in Deutschland keinen ausländischen Wahlkampf dulden.“ Ansonsten müsse die Regierung immer eine Einzelfallentscheidung treffen, und das sorge jedes Mal aufs Neue für diplomatische Verstimmungen.

Bei einem anderen Thema zeigte sich Fischer weniger entspannt: der Wahl in Frankreich. Er hoffe, dass dort nicht Marie Le Pen gewählt werde, sagte Fischer. „Aber wenn sie gewählt wird, wäre das der maximale Schaden.“ Deutschland stünde dann zum ersten Mal in seiner Nachkriegsgeschichte allein da. Die USA zögen sich vom Westen zurück, so der Ex-Außenminister. Wenn sich Frankreich auch noch von Europa zurückzöge, „dann sind wir allein“. Düstere Vorstellungen, die so gar nicht zu einem „Hoffnungsland“ passen wollen.

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