Auch Ganoven haben in Deutschland Anspruch auf Nachtruhe. Und so wartete Marco Müller mit seinem Spezialkommando bis sechs Uhr, um die Wohnung von zwei Steuersündern in Mülheim an der Ruhr zu stürmen. Die Verdächtigen, zwei Türken, galten als Kopf einer Bande, die Bier- und Branntweinsteuern in Millionenhöhe hinterzogen hatte. Da die beiden Täter vermutlich bewaffnet waren, forderten die Zollbeamten für den Zugriff im Morgengrauen eine Spezialeinsatztruppe an. Kein SEK der Polizei und auch nicht die GSG 9 führte die Operation Lupus aus, sondern die ZUZ.
Die Chiffre steht für Zentrale Unterstützungsgruppe Zoll. „Wir sind die Ultima Ratio als Service-Dienstleister beim Zoll“, erklärt Kommandoführer Müller seinen Job. Will heißen: Wenn es brenzlig wird, dann greift die rund 50 Mann starke Elitetruppe von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ein. Und brenzlig wird es immer öfter. „Wir beobachten eine zunehmende organisierte Kriminalität bei Zolldelikten“, sagt der parlamentarische Finanzstaatssekretär Hartmut Koschyk (CSU) und stellt gleichzeitig eine steigende Gewaltbereitschaft fest.
Gigantische Summen
Die ZUZ hat Schäuble indes nicht etwa aus seiner vorherigen Zeit als Bundesinnenminister mitgebracht. Die in Köln ansässige Truppe ist bereits seit 1998 als Sondereinheit des Zolls aktiv, wenn auch in der Öffentlichkeit so gut wie unbekannt. Der Zoll wiederum ist für Schäuble die (finanziell) wichtigste Verwaltung. 124 Milliarden Euro, also rund die Hälfte seiner Steuereinnahmen, flossen dem Bund im vorigen Jahr über die Zollverwaltung zu. Die größten Positionen waren dabei 40 Milliarden Euro Energiesteuer, 14 Milliarden Tabaksteuer, 7 Milliarden Stromsteuer und 52 Milliarden Euro Einfuhrumsatzsteuer.
Die gigantischen Summen locken das organisierte Verbrechen magisch an, Steuern im großen Stil zu hinterziehen oder gar den Fiskus anzuzapfen. Mafiabanden, die sich klassischerweise mit Drogen, Prostitution, Menschenschmuggel und Geldwäsche beschäftigen, diversifizieren ihre Geschäftstätigkeiten. Sie profitieren von der Liberalisierung, Globalisierung und dem Zusammenwachsen Europas genauso wie die reguläre Wirtschaft.
Immer neue Geschäftsmodelle kreieren die Kriminellen und nutzen dabei Deutschland nicht nur als Absatzmarkt, sondern auch als logistische Drehscheibe für ihre internationalen Aktivitäten.
Der Zoll und die organisierte Kriminalität
Rund 50 Beamte bilden die ZUZ, die jüngste Eliteeinheit Deutschlands. Im Auftrag von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble kämpft sie gegen die Steuermafia.
8500 Mannstunden kämpfte die Zollelitetruppe ZUZ im 1. Halbjahr 2013 gegen die Mafia
90 Prozent der Täter sind nichtdeutscher Herkunft.
572 Verfahren gegen Steuersünder (ohne Tabak) leitete der Zoll 2012 ein.
80 Prozent der Ermittlungen entfallen auf Diesel- und Heizöldelikte.
Zu den jüngsten Betätigungsfeldern zählt der Biermarkt, genauer gesagt: die Umgehung der Biersteuer. Auch die Gang um das türkische Führungsduo, das die ZUZ in Mülheim bei der Operation Lupus dingfest machte, mischte hier mit. Die Bande übernahm zu diesem Zweck zunächst eine marode Brauerei in Süddeutschland und ließ sich vom Hauptzollamt Karlsruhe ein Steuerlager für Bier, Branntwein und Wein bewilligen. Allein im zweiten Halbjahr 2012 soll es dann zu über 4000 Lkw-Transporten von unversteuertem Bier aus französischen Steuerlagern gekommen sein.
Doch die Lieferungen fanden offensichtlich nur fiktiv statt, wie der Zoll ermittelte. Die türkische Gang in Deutschland war lediglich für ein Täuschungsmanöver in einem großen europäischen Mafia-Deal zuständig, quasi als Subunternehmer. Sie nahm auf dem Papier die Ware ab, damit das Bier ganz offiziell „unter Steueraussetzung“ (so der Fachbegriff) und mit entsprechenden Dokumenten die französischen Steuerlager verlassen durfte.
Zehnfache Marge
Tatsächlich schmuggelte eine andere Bande, so der Verdacht, die Bierpaletten aus der Gegend von Calais nach Großbritannien. Dort ist die Biersteuer nämlich viel höher – und damit auch der Profit für die Mafia. Die einfache Rechnung lautet: Bei einer Lkw-Ladung mit 200 Hektoliter Bier würden in Deutschland nur 1800 Euro Biersteuer fällig, in Großbritannien hingegen rund 18.000 Euro, was also die zehnfache Marge bedeutet. Rund zehn Millionen Euro Schaden erlitt der britische Fiskus allein durch diesen einen Bier-Betrugsfall.
Die Lupus-Bande, die dafür ihr süddeutsches Steuerlager zur Verfügung gestellt hatte, bekam nach den Ermittlungen der Zollfahnder ungefähr 1400 Euro pro Sendung, oder richtiger: für die Erledigung eines fiktiven Verwaltungsvorgangs. Mit ihren illegalen Serviceleistungen dürfte die Bande über vier Millionen Euro erwirtschaftet haben – natürlich einkommensteuerfrei. Einen Teil des Geldes wuschen die türkischen Gangster über Juweliergeschäfte im Ruhrgebiet, einen anderen Teil schafften mehrere Kurierinnen auf dem Luftweg in die Türkei.
Nicht nur der britische, auch der deutsche Fiskus hatte bei der Lupus-Bande das Nachsehen, da sie zusätzlich (und tatsächlich) mit Schnaps dealte. Elf unversteuerte Branntweinsendungen ermittelte der Zoll „mit einem Steuerschaden von voraussichtlich mehreren Hunderttausend Euro zum Nachteil der Bundesrepublik Deutschland“.
Die Bier- und Schnapsmasche ist erschreckend simpel und zeigt, wie anfällig der europäische Binnenmarkt für das organisierte Verbrechen ist. Innerhalb der EU ist es nämlich möglich, verbrauchsteuerpflichtige Produkte unter Steueraussetzung zu transportieren, und zwar bis zum Bestimmungsland, wo dann letztlich die Besteuerung erfolgt. Voraussetzung für den steuerfreien Transport ist seit 2011 die Teilnahme am sogenannten „System zur Kontrolle der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren“ (EMCS). Die EMCS-Papiere müssen die Spediteure auf ihren Touren dabei haben und bei Kontrollen vorlegen.
1 Schein - 20 Touren
Bei der Bier-Masche werden zum Beispiel offiziell eine Lieferung nach Großbritannien und 19 nach Deutschland angemeldet (damit beim französischen Steuerlager am Ende die Bestandsstatistik stimmt). Tatsächlich fahren aber alle Lkws mit dem einen, 20 Mal ausgedruckten EMCS-Papier nach Norden. Im ohnehin schon wenig wahrscheinlichen Falle einer Kontrolle kann also jeder einen Beförderungsschein vorlegen; dass mehrere Lkws gleichzeitig überprüft werden und der Schwindel auffliegt, ist noch viel weniger wahrscheinlich.
Wie sehr das organisierte Verbrechen diese Schwächen ausnutzt, lässt sich nur erahnen. So hat sich die Zahl der Ermittlungsverfahren im Bereich der Verbrauchsteuern 2012 gegenüber 2010 auf 572 mehr als verdoppelt. In einem Lagebericht kommt das Zollkriminalamt zu dem alarmierenden Ergebnis: „Bei der (...) an Bedeutung gewonnenen Verbrauchsteuerkriminalität handelt es sich für die Tätergruppierungen, die der mittleren, schweren und organisierten Kriminalitätsstufe zuzurechnen sind, um ein besonders lukratives ,Geschäft‘ mit enormen Gewinnaussichten.“
Krakenhafte Ausbreitung des organisierten Verbrechens
Die Zeiten, in denen Helmut und Marianne im 200er-Mercedes von Duisburg nach Venlo fuhren und dort wegen der niedrigeren Steuer Kaffee und Diesel bunkerten, sind schon lange passé. Sorgen bereiten dem Zoll auch nicht die Thailandurlauber, die ein paar Stangen Zigaretten und drei Flaschen Whisky im Gepäck schmuggeln.
Die krakenhafte Ausbreitung des organisierten Verbrechens im Bereich der Verbrauchsteuern schafft eine ganz neue Bedrohungslage für Deutschland. Die Schadenshöhen steigen für den Fiskus in exponentiellem Maße. Zur Professionalität kommt eine Gewaltbereitschaft hinzu, die bei Steuerdelikten bislang eher unbekannt war und die man bisher nur aus dem Drogen- und Rotlichtbereich kannte. Dies ist aber nicht wirklich verwunderlich, kommen viele Steuermafiosi doch aus diesem Milieu.
Im Konkurrenzkampf untereinander setzen sich offenbar bei den Steuerbetrügern diejenigen durch, die die höhere Gewaltbereitschaft aufweisen. Beim Zoll und beim Bundeskriminalamt beobachtet man einen regelrechten Verdrängungswettbewerb. Deutsche Ganoven werden von Ex-Jugoslawen ausgebootet, diese von Türken und die wiederum von Russen und anderen Ex-GUS-Staatsangehörigen.
Ängstliche Ganoven
Der Gewaltdarwinismus schlägt sich bei den Einsätzen der Spezialeinheit des Zolls nieder. 90 Prozent der Täter seien inzwischen nicht deutscher Herkunft, schätzt ZUZ-Kommandoführer Müller. Die Verrohung erfasst dabei selbst die deutschen Kleinkriminellen bis zum Anabolika-Dealer in Mecklenburg-Vorpommern, der sich aus Angst, von der ausländischen Konkurrenz erledigt zu werden, nun auch bewaffnet. Für die ZUZ werde es dadurch noch gefährlicher, erläutert Müller, weil bei einem Zugriff viele Täter dächten, von einer rivalisierenden Bande überfallen zu werden. Aus diesem Grunde überklebten die ZUZ-Kräfte bei manchen Einsätzen ihre Zoll-Buchstaben durch die bekanntere Aufschrift „Polizei“.
Zwangsläufig nehmen die ZUZ-Anforderungen zu. Schäubles Eingreiftruppe musste in den ersten sechs Monaten dieses Jahres bereits 44 Einsätze mit 8500 Mann-Stunden durchführen, während es im gesamten Vorjahr nur 52 Einsätze mit 8400 Stunden waren. Inzwischen arbeiten die Einsatzbeamten am Limit. „Angesichts der permanent ansteigenden Einsatzanforderungen suchen wir händeringend nach geeigneten Bewerbern“, sagt Müller. An mangelnden Planstellen liegt es dabei nicht, die Soll-Stärke ist auf 62 Beamte festgelegt. Vielmehr sind die Ansprüche sehr hoch: Nur zehn Prozent der Bewerber überstehen das strenge Auswahlverfahren.
Der ZUZ-Kommandoführer analysiert die Arbeit seiner Truppe in der Backsteinkaserne in Köln-Dellbrück, wo früher belgische Soldaten stationiert waren und heute das Zollkriminalamt sitzt. Neben ihm steht an diesem Sommertag Staatssekretär Koschyk. Der Vertreter von Finanzminister Schäuble ist regelmäßig beim Zoll, um sich ein Lagebild zu verschaffen. Schließlich geht es um viele Milliarden Euro für den Fiskus.
Kriminelle herausfischen
Die rund 39.000 Zollbeamten, darunter 3500 Fahnder, arbeiteten in einem neuralgischen Bereich, meint Koschyk: „Deutschland als exportstarkes Land lebt von offenen Grenzen, gleichzeitig machen sich Verbrecher dies zunutze.“ Der Zoll müsse also „den Balanceakt“ vollführen, die Kriminellen herauszufischen, ohne Bürger und Unternehmen mit Kontrollen zu drangsalieren.
Einfach die Grenzen wieder dicht machen und dort massive Zollkontrollen einführen (wie es die USA seit dem 11. September 2001 tun) verbiete überdies schon das Schengener Abkommen. Trotzdem seien „Ausgleichsmaßnahmen“ erforderlich, sagt Koschyk. Dazu zähle, dass die Bundesregierung alte Überhangstellen an den Ostgrenzen nicht weiter abbaue. Zollbeamte würden an ihren alten Standorten – „auch familienschonend“, wie Koschyk betont – neue Einsätze erhalten, um den Schmugglern vor Ort das Leben schwer zu machen.
Rasterfahnder
Daneben setzt die Regierung auf internationale Kooperation und elektronische Kontrollen. Deutsche Zollbeamte treffen sich regelmäßig mit ausländischen Kollegen und bauen offizielle wie persönliche Kontakte auf. Selbst mit China gebe es inzwischen gute Beziehungen, sagt Koschyk. Wo die Gespräche etwa über Produktfälschungen vor ein paar Jahren noch ruppig gewesen seien, gehe es heute konstruktiv zu – sicher auch, weil chinesische Firmen mittlerweile selbst von Plagiaten geschädigt würden.
Derweil versucht der Zoll, den Warenverkehr elektronisch zu erfassen. In Weiden in der Oberpfalz hat das Zollkriminalamt im vergangenen Jahr eine Zentrale für Sicherheitsrisikoanalysen eröffnet. Noch bevor Ware auf dem Transportweg das Zollgebiet der Europäischen Union erreicht, analysieren dort 50 Beschäftigte rund um die Uhr potenzielle Risiken und informieren im Verdachtsfall die Zöllner an den Flug- und Seehäfen.
Doch bei mehr als 100 Millionen Zollabfertigungen allein im Geschäft mit Nicht-EU-Staaten ist dies ein schwieriges Unterfangen. Schwächen der elektronischen Rasterfahndung sind offenkundig. Zum einen erfasst sie nur Lieferungen aus Drittländern. Zum Zweiten sind die monatlich rund eine Million Eingangsmeldungen mit ungefähr 2,3 Millionen Positionen eine riesige Menge. Und zum Dritten sucht und findet die Mafia immer neue Geschäftsmodelle und Vertriebswege, die sich dem bisherigen Fahndungsraster entziehen und hinter die die Staatsgewalt erst kommen muss.
Besonders en vogue sind bei den modernen Al Capones in jüngster Zeit offenbar Heiz- und Kraftstoffe. Zumindest weist die Kriminalstatistik hier einen starken Anstieg aus, gut 80 Prozent aller Ermittlungsverfahren bei Verbrauchsteuerdelikten beziehen sich hierauf. Der Grund ist simpel: die hiesige Dieselsteuer von knapp 49 Cent pro Liter. Bei einem 38-Tonnen-Tanklaster geht es damit um über 18.000 Euro – eine große Verlockung für das Verbrechen. Und getreu dem Motto „Klotzen, nicht kleckern“ setzt die Mafia nicht nur Lkws ein, sondern mittlerweile auch Tankschiffe.
Professionalität nimmt zu
Eine Masche ist, Dieselkraftstoff als „technische Öle“ (etwa Rostreiniger oder Schalungsöl) zu deklarieren. Der Sprit kann dann gänzlich ohne steuerliche Überwachung – oft aus osteuropäischen Ländern als Ausgangsbasis – nach Deutschland transportiert werden.
Die traditionelle Methode ist hingegen, das nur mit sechs Cent pro Liter versteuerte Heizöl als Kraftstoff zu verwenden. Die Professionalität der Täter nimmt auch hier zu. So betreibt die Mafia inzwischen Entfärbungsanlagen in einigen EU-Ländern, in denen dem ordnungsgemäß gekennzeichneten Heizöl der Farbstoff entzogen wird, um es optisch unverdächtig an reguläre Tankstellen zu vermarkten. Auch in Deutschland hat der Zoll bereits Versuchsanlagen aufgespürt.
Kein Schuldgefühl
Absoluter Klassiker bleiben bei den Banden allerdings Zigaretten. Hohe Steuern und Millionen Kunden ohne Schuldgefühl machen das Geschäft lukrativ – und für den Staat bedrohlich. Laut einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG im Auftrag des Tabakkonzerns Philip Morris wird mehr als jede fünfte Zigarette in Deutschland steuerfrei geraucht, insgesamt 21 Milliarden Stück; knapp die Hälfte davon wird allerdings legal eingeführt. Die illegalen zwölf Milliarden Glimmstängel verursachen laut KPMG einen Schaden von mehr als zwei Milliarden Euro zulasten des Bundes.
Eindeutiger Schwerpunkt in dieser Sparte des Verbrechens sind die neuen Bundesländer. Fast jede zweite Kippe hat hier keine Steuerbanderole. Vietnamesische Straßenhändler dominieren das Geschäft, die je nach familiären Bindungen oder regionaler Herkunft organisiert sind. Den hohen Gewinn nutzen die Banden, so die Erkenntnisse der Gemeinsamen Ermittlungsgruppe Zigarettenhandel vom Berliner Landeskriminalamt, dem dortigen Zollfahndungsamt und der Bundespolizei, um auch in andere Bereiche wie Menschen-, Waffen- und Rauschgifthandel zu investieren.
Dramatisch ist die Diversifizierung in Crystal Meth, eine hochgefährliche Designerdroge, die billig herzustellen ist, sofort abhängig macht und ihre Konsumenten binnen kürzester Zeit in menschliche Wracks verwandelt. Die meisten Crystal-Meth-Küchen befinden sich offenbar in Tschechien, wo bisher auch der Verkauf hauptsächlich stattfand. Doch über die Vietnamesen-Connection gelangt das weiße Teufelszeug nun direkt nach Berlin. Auch aus diesem Grunde sollen die alten Grenzzöllner nicht weiter aus dem Osten abgezogen werden.
Der Kampf gegen Drogen- und Zigarettenschmuggler ähnelt dem Kampf gegen die Hydra. Kaum sind Dealer verhaftet und Netze zerschlagen, treten andere an ihre Stelle. Nachfrage und Profit sind einfach übermächtig. Und als dirigiere die von Adam Smith beschriebene unsichtbare Hand auch den Schwarzmarkt, finden Produzenten, Groß-, Zwischen- und Einzelhändler sowie Konsumenten immer wieder zueinander.
Tabakwaren auf Flüssen
Bei chinesischen Schmuggelzigaretten sorgten Erfolge der Zollfahnder beispielsweise dafür, dass die Banden ihre Logistik änderten. Um die Herkunft zu verschleiern, werden Stationen in Singapur und den Vereinigten Arabischen Emiraten zwischengeschaltet. Manche Banden meiden den vergleichsweise streng kontrollierten Hamburger Hafen, das deutsche Tor nach Asien. Sie landen ihre Konterbande in anderen EU-Häfen an und nutzen dann die Freizügigkeit des innergemeinschaftlichen Warenverkehrs. „Seit 2011 mehren sich die Hinweise (...), dass das EMCS-Verfahren europaweit genutzt wird, um nun auch Zigaretten in den Schwarzmarkt zu bringen“, heißt es in einem Lagebericht des Zollkriminalamtes.
Das organisierte Verbrechen schippert inzwischen seine Tabakwaren en gros über die Flüsse. Am Oder-Havel-Kanal beispielsweise enterte ein ZUZ-Kommando einen Frachter, voll beladen mit Zigaretten aus Polen. Die Stangen wurden gerade auf Lkw-Sprinter umgeladen, um anschließend im Ameisenverkehr in Berlin verkauft zu werden.
Ihre logistische Leistungsfähigkeit beweist die Mafia schließlich auch bei Luxustaschen, Markenkleidung oder Autoersatzteilen – alles natürlich gefälscht. „Besonders in der Ferienzeit werden die Produktpiraten aktiv“, sagt Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag, und meint damit den Verkauf von Sonnenbrillen, Zigaretten, Parfüms, T-Shirts oder Jeans in den Urlaubsregionen. Bedenklich ist dabei die verbreitete Akzeptanz dieser Kriminalität: 40 Prozent der unter 35-Jährigen kaufen bewusst Plagiate, ermittelte die Wirtschaftsprüf- und Beratungsgesellschaft EY in einer europaweiten Umfrage.
Die meisten Kunden aber werden schlicht getäuscht. Volker Bartels von der Firma Sennheiser berichtet von ahnungslosen Kunden, die erbost klangschwache Kopfhörer einschickten, welche sich dann bei der Überprüfung als billige Imitationen erwiesen. Zum Umsatz- kommt der Rufschaden hinzu. Sennheiser geht deshalb dazu über, seine Waren mit QR-Codes zu versehen. Mittels Smartphone können Käufer dann bei einer Datenbank abfragen, ob es sich tatsächlich um einen Original-Kopfhörer handelt.
Besonders wichtig ist für Bartels, der auch Vorsitzender des Aktionskreises gegen Produkt- und Markenpiraterie (APM) ist, dass sich mehr Unternehmen aktiv dieses Problems annehmen und die Zusammenarbeit mit dem Zoll suchen – von der Grenzbeschlagnahme über Schulungen zum Erkennen von Fälschungen bis hin zu Tipps für Razzien.
Für das organisierte Verbrechen sind dies jedoch kaum mehr als Nadelstiche. Und wo Zoll und ZUZ an die Grenzen ihrer Zuständigkeitsbereiche gelangen, hört die Mafia noch lange nicht auf. Längst agiert sie auch in anderen Sphären des (steuerlichen) Verbrechens und prellt Finanzbehörden mit getürkten Karussellgeschäften um Milliarden.
Gewinnträchtige Alternativen gibt es für die Mafia in offenen Gesellschaften und globalen Wirtschaftskreisläufen stets zur Genüge. Der Staat hinkt immer einen Schritt hinterher.