Organisierte Kriminalität Die Steuermafia prellt den Staat um Milliarden

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Zehnfache Marge

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Knochen und ausgestopfte TiereEine skurrile Sammlung mit mehr als 80 ausgestopften Körpern, Schädeln und Knochen von meistens streng geschützten Tieren haben Zollfahnder in Düsseldorf sichergestellt. Sie hatten Postpakete aus Indonesien geöffnet, die bei einer Routinekontrolle aufgefallen waren, wie der Zoll in Essen mitteilte. In den Paketen befanden sich das Skelett eines Hornvogels sowie ein Affenarm - die erforderlichen Einfuhrgenehmigungen konnte der Adressat, ein 51-jähriger Mann aus Düsseldorf, nicht vorlegen. Bei der Durchsuchung seiner Wohn- und Geschäftsräume fanden die Zollfahnder unter anderem einen Wirbelknochen eines Wales und einen mit einer SS-Mütze dekorierten ausgestopften Turmfalken. Die Ermittlungen dauern an. Quelle: dpa
Medikamente, Uhren, Textilprodukte und Smartphones: Die Angebotspalette der Produktpiraten wächst weiter. Allein 2012 wurden in der Europäischen Union Waren im Wert von einer Milliarde Euro sichergestellt. In Deutschland machten gefälschte Waren 127 Millionen Euro aus. Beschlagnahmt wurden hier 24 000 Fälschungen. Der Vizepräsident der EU-Kommission Antonio Tajani stellte am Dienstag in Köln eine Kampagne gegen Produktpiraterie vor, mit der besonders die Verbraucher mit ins Boot geholt werden sollen. Die EU setzt dabei verstärkt auf Aufklärung über die mit diesen Produkten verbundenen Gesundheits- und Sicherheitsrisiken. Quelle: dpa
ZigarettenAlleine am Hamburger Hafen haben Zollfahnder 53 Millionen Schmuggelzigaretten sichergestellt - das ist der größte Fund in den vergangenen acht Jahren. Kurios ist dazu noch der Ort, wo sie versteckt waren: hinter einer Tarnladung aus Handtüchern. Quelle: dpa
WaffenIm März hat das Zollkriminalamt bekanntgegeben, dass der Waffenschmuggel aus Deutschland zu nimmt. 1,55 Millionen Schuss Munition seien demnach 2012 sichergestellt wurden - doppelt so viel wie im Vorjahr. Wieder ist der Hauptumschlagplatz der Hamburger Hafen. Außerdem stellte der Zoll 2012 5166 Kriegswaffen und 1,5 Millionen Schuss Munition sicher. Quelle: dpa
DrogenIn Windeln, im Magen oder weniger versteckt im Handgepäck: Was hat man nicht schon alles gehört, wo und wie Drogen am Flughafen oder Hafen geschmuggelt werden können. Erst kürzlich fand ein Obsthändler in Griechenland in einer Fracht Bananen aus Kolumbien 280 Kilogramm Kokain. Der deutsche Zoll beschlagnahmte vergangenes Jahr 29 Tonnen Rauschgift, darunter 401 Kilo Heroin. Quelle: dpa
EisbärenfellVielleicht hat die Zollfahnder schon der große Koffer stutzig gemacht: In einem Trolley fanden sie ein riesiges Eisbärenfell. Gerne wird aus Asien auch Bärengalle mitgebracht - sie soll gegen körperliche Beschwerden helfen. Quelle: dpa
Schildkröten und andere exotische TiereSie werden in Koffern versteckt und häufig in unvorstellbaren Mengen geschmuggelt: In Bangkok wurden vor einigen Jahren 1140 Schildkröten in vier Koffern sichergestellt. In München versuchte ein Australier 36 lebendige Babyschlangen im Handgepäck - einem Stoffbeutel - nach draußen zu bringen - sie wurden als "ungefährlich" eingestuft. Hauptsächlich an den Flughäfen stellte der Zoll 2012 außerdem in 1100 Fällen über 71.000 geschützte Tier- und Pflanzenarten sowie daraus hergestellte Waren sicher. Quelle: dpa

Tatsächlich schmuggelte eine andere Bande, so der Verdacht, die Bierpaletten aus der Gegend von Calais nach Großbritannien. Dort ist die Biersteuer nämlich viel höher – und damit auch der Profit für die Mafia. Die einfache Rechnung lautet: Bei einer Lkw-Ladung mit 200 Hektoliter Bier würden in Deutschland nur 1800 Euro Biersteuer fällig, in Großbritannien hingegen rund 18.000 Euro, was also die zehnfache Marge bedeutet. Rund zehn Millionen Euro Schaden erlitt der britische Fiskus allein durch diesen einen Bier-Betrugsfall.

Die Lupus-Bande, die dafür ihr süddeutsches Steuerlager zur Verfügung gestellt hatte, bekam nach den Ermittlungen der Zollfahnder ungefähr 1400 Euro pro Sendung, oder richtiger: für die Erledigung eines fiktiven Verwaltungsvorgangs. Mit ihren illegalen Serviceleistungen dürfte die Bande über vier Millionen Euro erwirtschaftet haben – natürlich einkommensteuerfrei. Einen Teil des Geldes wuschen die türkischen Gangster über Juweliergeschäfte im Ruhrgebiet, einen anderen Teil schafften mehrere Kurierinnen auf dem Luftweg in die Türkei.

Nicht nur der britische, auch der deutsche Fiskus hatte bei der Lupus-Bande das Nachsehen, da sie zusätzlich (und tatsächlich) mit Schnaps dealte. Elf unversteuerte Branntweinsendungen ermittelte der Zoll „mit einem Steuerschaden von voraussichtlich mehreren Hunderttausend Euro zum Nachteil der Bundesrepublik Deutschland“.

Die Bier- und Schnapsmasche ist erschreckend simpel und zeigt, wie anfällig der europäische Binnenmarkt für das organisierte Verbrechen ist. Innerhalb der EU ist es nämlich möglich, verbrauchsteuerpflichtige Produkte unter Steueraussetzung zu transportieren, und zwar bis zum Bestimmungsland, wo dann letztlich die Besteuerung erfolgt. Voraussetzung für den steuerfreien Transport ist seit 2011 die Teilnahme am sogenannten „System zur Kontrolle der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren“ (EMCS). Die EMCS-Papiere müssen die Spediteure auf ihren Touren dabei haben und bei Kontrollen vorlegen.

Mit welchen Urlaubs-Souvenirs man Ärger bekommt
Wer Urlaub in den EU-Staaten macht, muss kaum Waren verzollen. Wer jedoch aus anderen Ländern heimreist, erwartet möglicherweise am Flughafen die große Überraschung: Die Beschränkungen bei Reisen in Nicht-EU-Länder sind allerdings ungleich schärfer. Sie gelten für Erwachsene (ab 17 Jahren). Für Kinder unter 15 Jahren liegt die Freigrenze für Waren bei 175 Euro. Quelle: dpa
TabakAlle Einreisenden dürfen entweder 200 Zigaretten oder 100 Zigarillos (Gewicht 3 Gramm pro Zigarillo) oder 50 Zigarren oder 250 Gramm Drehtabakzollfrei einführen. Innerhalb der EU liegen die Grenzen höher: Mitgebraucht werden 800 Zigaretten oder 400 Zigarillos oder 200 Zigarren oder ein Kilogramm Rauchtabak. Allerdings müssen alle Tabakwaren eine Steuerbanderole haben. Quelle: dpa
AlkoholZollfrei in die EU eingeführt werden dürfen ein Liter Spiritosen (Alkoholgehalt mehr als 22 % vol.) oder zwei Liter alkoholische Getränke (Alkoholgehalt maximal 22 % vol.) oder anteilige Zusammenstellung dieser Waren und vier Liter nicht schäumende Weine und 16 Liter Bier. Insgesamt dürfen die Getränke aber nicht teuer als 430 Euro sein. Innerhalb der EU gilt: Erlaubt sind zollfrei zehn Liter Spirituosen (z. B. Wodka, Whisky oder Rum) oder zehn Liter Alcopops, 20 Liter Zwischenerzeugnisse (z. B. Sherry oder Portwein), 60 Liter Schaumwein beziehungsweise 110 Liter Bier. Keine Begrenzungen gibt es bei Wein. Quelle: dpa
KaffeeErlaubt sind 500 Gramm Kaffee (oder Kaffeebohnen) oder 200 Gramm löslicher Kaffee (oder Kaffeekonzentrat). Innerhalb der EU: zehn Kilogramm. Quelle: dpa
ParfümOhne Zoll zu bezahlen dürfen 50 Gramm beziehungsweise 50 ml Parfüm und 250 Gramm/250 ml Eau de Toilette aus Drittstaaten in die EU eingeführt werden. Quelle: dpa
KraftstoffeBilliges Benzin aus dem Ausland mitbringen? Auch das geht nach den Zollbestimmungen nur in Maßen: Eine Tankfüllung – dabei darf der Tank nicht nachträglich vergrößert sein plus maximal – zehn Liter in einem Reservekanister können steuerfrei eingeführt werden. Wer mehr mitnehmen will, muss einen festgelegten Steuersatz zahlen. Der liegt derzeit bei 4,24 Euro pro fünf Liter Benzin und 2,81 Euro pro fünf Liter Diesel. In Deutschland ist ein einziger Ersatzkanister pro Fahrzeug erlaubt. In anderen Ländern ist das ganz verboten, etwa in Bulgarien, Griechenland, Luxemburg, Rumänien und Ungarn. Quelle: dapd
BargeldMaximal 10.000 Euro sind erlaubt. Darunter fallen auch Münzen und Geldscheine alter Währungen, wenn sie noch umtauschbar sind (zum Beispiel die D-Mark), Aktien und andere Wertpapiere. Bei Sammler- und Anlegermünzen entscheidet der aktuelle Marktwert, nicht der Prägewert. Quelle: dpa

1 Schein - 20 Touren

Bei der Bier-Masche werden zum Beispiel offiziell eine Lieferung nach Großbritannien und 19 nach Deutschland angemeldet (damit beim französischen Steuerlager am Ende die Bestandsstatistik stimmt). Tatsächlich fahren aber alle Lkws mit dem einen, 20 Mal ausgedruckten EMCS-Papier nach Norden. Im ohnehin schon wenig wahrscheinlichen Falle einer Kontrolle kann also jeder einen Beförderungsschein vorlegen; dass mehrere Lkws gleichzeitig überprüft werden und der Schwindel auffliegt, ist noch viel weniger wahrscheinlich.

Wie sehr das organisierte Verbrechen diese Schwächen ausnutzt, lässt sich nur erahnen. So hat sich die Zahl der Ermittlungsverfahren im Bereich der Verbrauchsteuern 2012 gegenüber 2010 auf 572 mehr als verdoppelt. In einem Lagebericht kommt das Zollkriminalamt zu dem alarmierenden Ergebnis: „Bei der (...) an Bedeutung gewonnenen Verbrauchsteuerkriminalität handelt es sich für die Tätergruppierungen, die der mittleren, schweren und organisierten Kriminalitätsstufe zuzurechnen sind, um ein besonders lukratives ,Geschäft‘ mit enormen Gewinnaussichten.“

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