Tatsächlich schmuggelte eine andere Bande, so der Verdacht, die Bierpaletten aus der Gegend von Calais nach Großbritannien. Dort ist die Biersteuer nämlich viel höher – und damit auch der Profit für die Mafia. Die einfache Rechnung lautet: Bei einer Lkw-Ladung mit 200 Hektoliter Bier würden in Deutschland nur 1800 Euro Biersteuer fällig, in Großbritannien hingegen rund 18.000 Euro, was also die zehnfache Marge bedeutet. Rund zehn Millionen Euro Schaden erlitt der britische Fiskus allein durch diesen einen Bier-Betrugsfall.
Die Lupus-Bande, die dafür ihr süddeutsches Steuerlager zur Verfügung gestellt hatte, bekam nach den Ermittlungen der Zollfahnder ungefähr 1400 Euro pro Sendung, oder richtiger: für die Erledigung eines fiktiven Verwaltungsvorgangs. Mit ihren illegalen Serviceleistungen dürfte die Bande über vier Millionen Euro erwirtschaftet haben – natürlich einkommensteuerfrei. Einen Teil des Geldes wuschen die türkischen Gangster über Juweliergeschäfte im Ruhrgebiet, einen anderen Teil schafften mehrere Kurierinnen auf dem Luftweg in die Türkei.
Nicht nur der britische, auch der deutsche Fiskus hatte bei der Lupus-Bande das Nachsehen, da sie zusätzlich (und tatsächlich) mit Schnaps dealte. Elf unversteuerte Branntweinsendungen ermittelte der Zoll „mit einem Steuerschaden von voraussichtlich mehreren Hunderttausend Euro zum Nachteil der Bundesrepublik Deutschland“.
Die Bier- und Schnapsmasche ist erschreckend simpel und zeigt, wie anfällig der europäische Binnenmarkt für das organisierte Verbrechen ist. Innerhalb der EU ist es nämlich möglich, verbrauchsteuerpflichtige Produkte unter Steueraussetzung zu transportieren, und zwar bis zum Bestimmungsland, wo dann letztlich die Besteuerung erfolgt. Voraussetzung für den steuerfreien Transport ist seit 2011 die Teilnahme am sogenannten „System zur Kontrolle der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren“ (EMCS). Die EMCS-Papiere müssen die Spediteure auf ihren Touren dabei haben und bei Kontrollen vorlegen.
1 Schein - 20 Touren
Bei der Bier-Masche werden zum Beispiel offiziell eine Lieferung nach Großbritannien und 19 nach Deutschland angemeldet (damit beim französischen Steuerlager am Ende die Bestandsstatistik stimmt). Tatsächlich fahren aber alle Lkws mit dem einen, 20 Mal ausgedruckten EMCS-Papier nach Norden. Im ohnehin schon wenig wahrscheinlichen Falle einer Kontrolle kann also jeder einen Beförderungsschein vorlegen; dass mehrere Lkws gleichzeitig überprüft werden und der Schwindel auffliegt, ist noch viel weniger wahrscheinlich.
Wie sehr das organisierte Verbrechen diese Schwächen ausnutzt, lässt sich nur erahnen. So hat sich die Zahl der Ermittlungsverfahren im Bereich der Verbrauchsteuern 2012 gegenüber 2010 auf 572 mehr als verdoppelt. In einem Lagebericht kommt das Zollkriminalamt zu dem alarmierenden Ergebnis: „Bei der (...) an Bedeutung gewonnenen Verbrauchsteuerkriminalität handelt es sich für die Tätergruppierungen, die der mittleren, schweren und organisierten Kriminalitätsstufe zuzurechnen sind, um ein besonders lukratives ,Geschäft‘ mit enormen Gewinnaussichten.“