Oswald Metzger "42 Regierungsjahre haben die FDP versaut"

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Die aktuelle Schwäche des Liberalismus

Ist die Niederlage der FDP allein auf Fehler der Partei zurückzuführen oder erleben wir eine generelle Krise des Liberalismus?

Der Liberalismus in Deutschland ist nicht mit der FDP gleichzusetzen. Liberalismus ist eine Lebenseinstellung: Wenn ich gesund bin und im arbeitsfähigen Alter, dann stehe ich auf eigenen Füßen. Ich frage nicht zuerst nach dem Staat, sondern organisiere mich selbst ergebnisoffen, unternehmungslustig, leistungsbereit. Mit dieser Haltung durchs Leben zu gehen, ist schwer in Zeiten, wo immer mehr Menschen nach immer mehr Sicherheit suchen. Je reicher und saturierter Gesellschaften werden, desto mehr Probleme hat der Liberalismus. Selbst in angelsächsischen Ländern nimmt der Ruf nach Sicherheit zu. Der Marktradikalismus hat natürlich auch eine Reihe großer Probleme aufgeworfen. Die Exzesse der Finanzwirtschaft haben das Vertrauen in freie Märkte nicht gestärkt. Die Schwäche des Liberalismus ist auch eine Reaktion auf die Ausweitung des staatlichen Sektors. Das liberale Bild vom Menschen als aktiver, rühriger, kritischer Geist entspricht nicht unbedingt der Lebenserfahrung. Wenn es bequem geht, machen es sich viele Menschen heute lieber bequem.

Und was nun das Scheitern der FDP im Besondern angeht?

Einer der tieferen Gründe für den inhaltlichen Niedergang der FDP ist, dass sie 42 Regierungsjahre auf Bundesebene innehat, mehr als jede andere Partei. Diese kleine Partei hat dadurch sehr vielen Leuten eine Karrierechance eröffnet. Das versaut vielleicht den Charakter. Man kämpft nicht mehr um politische Positionen, sondern schaut, wie man möglichst Abgeordneter, Staatssekretär oder Minister wird. Die Überzeugungskraft des Strebens nach Freiheit verblasst dann.

Ich war in den siebziger Jahren, obwohl damals SPD-Mitglied, sehr beeindruckt, als Otto Graf Lambsdorffs Teile der Sicherheitsgesetze trotz der RAF-Hysterie ablehnte. Ein echter Liberaler kritisiert den staatlichen Zugriff auf das Individuum nicht nur in Bezug auf Steuern und Abgaben, sondern er wehrt sich genauso gegen Bevormundung, wenn es um Sicherheitsgesetze geht. In diesem Spannungsfeld zwischen Wirtschaftsliberalismus und Bürgerrechten hat die FDP in den vergangenen Jahren völlig versagt. So eine Inkonsequenz werfe ich übrigens auch den Linken bei den Grünen, Hans-Christian Ströbele oder Jürgen Trittin, vor: Ihr bekämpft den Staat, wenn es um Überwachung geht, aber gleichzeitig wollt ihr den starken Versorgungsstaat. Das geht nicht zusammen.

Kann man einem überzeugten Liberalen heute noch raten, in eine der etablierten Parteien einzutreten?

Ich verstehe, wenn gerade junge Menschen Vorbehalte gegen parteipolitisches Engagement haben. In den Parteien schauen viele nicht nach links und rechts: Wenn ein guter Vorschlag von der anderen Partei kommt, muss man ihn in die Tonne stampfen, kommt der größte Mist aus den eigenen Reihen, muss man Hosianna rufen. Dennoch würde ich einem jungen Menschen sagen: Wenn du etwas bewegen willst, was sehr schwer ist, kommst du ohne Engagement in einer Partei nicht weit. Und darum bin ich auch nach dem Ausstieg bei den Grünen in die CDU eingetreten, um weiter politisch aktiv sein zu können.

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