Oxfam-Studie Das Märchen von der ständig wachsenden Ungleichheit

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Andere Deutung möglich

Auch hier aber gilt: Je größer ein Vermögen ist, desto volatiler ist auch sein Wert. Ein kleines Häuschen am Rand einer deutschen Kleinstadt verändert seinen Wert fast nur in Abhängigkeit vom Erhaltungszustand. Das Penthouse in Manhattan hingegen war hat seinen Wert allein seit 2007 einmal halbiert und dann wieder verdoppelt. Das gleiche gilt für am Finanzmarkt investiertes Vermögen. Das alles soll nicht beweisen, dass es keine Ungleichverteilung des Vermögens gibt. Es zeigt aber: Veränderungen vor allem am oberen Rand sind extrem schwer zu interpretieren, selbst wenn die Datenbasis sehr gut wäre, was sie gerade immer obersten Vermögensbereich zudem nicht ist. Denn die reichsten Teile der Bevölkerung sind zugleich am wenigsten auskunftsfreudig. Zudem neigen sie dazu, ihre Vermögen in Befragungen zu unterschätzen. Für die Forschung über Ungleichheit heißt das: Empirie ist nicht alles.

Die Tatsache, dass die Ungleichheit in Ländern wie Deutschland zunimmt, lässt sich auch ohne Zahlen schlüssig herleiten. Jenseits der paar Superreichen, die durch eine Unternehmensgründung innerhalb weniger Jahren zu Multimillionären werden, bildet sich Vermögen gewöhnlich vor allem über Erbschaften. Denn nur auf dem Grundstock eines bereits vorhandenem Vermögen lässt sich zusätzliches anhäufen. Durch die Besteuerung von Vermögen und Erbschaften kann dieser Trend gebremst, aber nicht gestoppt werden, solange eine Gesellschaft sich nicht für eine komplette Vergemeinschaftung des Kapitals entscheidet. Deshalb gilt: Je länger in einem Land ein stabiles Rechtssystem herrscht ohne dass es durch Kriege oder Umstürze zu massiven Umstürzen kommt, desto größer wird die Ungleichverteilung des Vermögens. Eine langsam wachsende Ungleichheit innerhalb einer Gesellschaft kann man deshalb durchaus auch als gutes Zeichen anhaltender Stabilität deuten. Insbesondere wenn zugleich, wie es in Deutschland in den vergangenen Jahren der Fall war, auch die untersten Vermögensgruppen einen absoluten Vermögenszuwachs verzeichnen. Das gleiche belegt die Oxfam-Studie am Rande auch für die globale Vermögensentwicklung: Zwar haben sich die Vermögenswerte der oberen 10 Prozent der Bevölkerung besonders drastisch erhöht, auch die untersten Gruppen haben in den vergangenen Jahren jedoch Vermögensgewinne erzielt. Kennziffern über die Zahl der Unterernährten und die Lebenserwartung weltweit deuten in eine ähnliche Richtung. Man könnte die gesamte Studie daher auch als Beleg dafür deuten, dass sich die Welt auf dem richtigen Weg befindet, wenn gleich das Tempo sicher noch beschleunigt werden könnte.

Die Oxfam-Auswertung jedoch prangert die vermeintlich noch wachsende Ungleichheit stattdessen als sich zuspitzendes Problem an. Die Organisation sieht einen Hauptgrund dafür in der Existenz von Steueroasen. Die korrupten Eliten würden alleine dem afrikanischen Kontinent jährlich rund 14 Milliarden Dollar an Steuereinnahmen über Transfers in Steueroasen entziehen. Auch damit zielt Oxfam jedoch knapp am Ziel vorbei. Es stimmt zwar, dass sich die Steuerfluchtorte in aller Welt zu Handlangern der Kleptokraten dieser Welt machen. Hauptursache der Ungleichheit auf dem Planeten sind sie deshalb noch lange nicht. Selbst wenn man diese Steueroasen abschaffen könnte, würde das korrupte Machthaber nicht davon abhalten, ihr Geld außer Landes zu schaffen. Statt auf einem Konto in Liechtenstein würde sie es dann in Londoner Immobilien parken. Das mag dann den britischen Staat freuen, für die verarmte Bevölkerung in der Heimat macht es keinen Unterschied.

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