Zudem gilt es, alte Steuerversäumnisse aufzuarbeiten: Deutsche Ministeriale hatten etwa übersehen, dass mit der Steuerreform der rot-grünen Bundesregierung von 2000 das neue Körperschaftsteuergesetz Dividenden von einer Kapitalgesellschaft an eine andere steuerfrei stellte. Also vergaß der Gesetzgeber, das Außensteuergesetz an diese neue Regel anzupassen. Ergebnis: Ausschüttungen von Stiftungen im Ausland konnten in der Heimat steuerfrei kassiert werden. Geschlossen wurde diese Lücke erst 2013. Sie trug zum Boom ausländischer Stiftungen bei deutschen Steuerpflichtigen bei.
Den Boom von Briefkastenfirmen wiederum befeuerte eine eigentlich gut gemeinte politische Entscheidung, die Europäische Zinsrichtlinie. Sie regelte im Jahr 2005 den Austausch von Kontoinformationen zwischen EU-Ländern – und machte es so gut wie unmöglich, Zinserträge zu verstecken. Die Politiker vergaßen aber, Firmen einzubeziehen. Flugs gründeten Steuersparkünstler zig Briefkastenfirmen – mit williger Hilfe deutscher Geldinstitute.
Die Deutschen müssen sich aber nicht alleine schämen. Gravierende Defizite bei der „Verfügbarkeit von Eigentümer-Informationen“ sieht die Anti-Geldwäsche-Einheit der OECD auch in der Schweiz, in Costa Rica und in der Türkei. Auch die Amerikaner zwangen die Schweiz, steuerrelevante Daten von US-Bürgern preiszugeben. Zu Hause allerdings sind sie nachsichtiger. „Man muss auch über Delaware sprechen“, heißt es in Schäubles Umfeld. In dem US-Bundesstaat gibt es mehr Firmen als Einwohner, rund jeder vierte Dollar in seinem Haushalt stammt aus dem Geschäft mit den schnellen Firmengründungen.
Halbautonome Gebiete sollen an die kurze Leine
Auch Großbritannien müsste seinen Einfluss auf britische Kronkolonien und Krongebiete geltend machen, die sich dem Steuerspargeschäft verschrieben haben – gerade nachdem die Panama Papers enthüllten, dass selbst Premierminister David Cameron an einem Offshore-Fonds seines verstorbenen Vater beteiligt war. Oppositionsführer Jeremy Corbyn fordert daher, halbautonome Gebiete wie die Kanalinseln, Gibraltar, Bermuda oder die Cayman Islands steuerpolitisch an die kurze Leine zu nehmen. Doch das wird kaum geschehen: Tausende Hedgefonds, die in der Londoner City operieren, sind in den Cayman Islands oder Gibraltar registriert. Und dann sind da noch in Großbritannien ansässige Ausländer, die als „non-domiciled“ gelten und auf im Ausland verdiente Einkommen keine Steuern zahlen.
Der Steuer-Sonderausschuss des Europäischen Parlaments empfiehlt, europäische Banken bis hin zum Lizenzentzug für undurchsichtige Steuerdeals zu bestrafen. Auch Schäubles Beamte überlegen, Steuerberater in Mithaftung zu nehmen, vielleicht sogar Anwaltskanzleien, bei Briefkastenfirmen oft zwischengeschaltet. Freilich wäre dieser Eingriff in das Verhältnis zwischen Anwalt und Mandant rechtsstaatlich heikel.
Weniger brisant ist eine andere Idee, über der Schäubles Beamte brüten: dass Unternehmen ihre Steuergestaltungsmodelle dem Finanzamt anzeigen müssen. Das Ministerium hat dazu ein Gutachten beim Münchner Steuerprofessor Wolfgang Schön in Auftrag gegeben. Eine Schwierigkeit dürfte schon darin bestehen, ein Steuergestaltungsmodell zu definieren. Eine weitere, die Regulierung nicht zu weit zu treiben, wie Edelfried Schneider, Vizepräsident der Europäischen Vereinigung der Wirtschaftsprüfer, warnt: „Schon heute liegen die Compliance-Kosten bei vielen Banken höher als der Gewinn.“