Panama Papers Wolfgang Schäuble inszeniert sich als Kämpfer gegen Betrug

Scham über deutsche Betrüger? Ach was. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble nutzt die Affäre um die Panama Papers lieber für eine neue Kampagne. So sieht sein dritter Streich gegen Fiskaltrickser aus.

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Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) Quelle: dpa

Seit den ersten Enthüllungen der Panama Papers vor einer Woche schieben die Beamten von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble Überstunden. Die Vorgabe ihres Chefs ist unmissverständlich. „Wir wollen die Panama-Papiere nutzen, um den Druck zu verstärken“, sagt Schäuble. Den Druck auf Steuersünder, und zwar weltweit. Für die nächsten Tage, wenn sich Finanzminister aus aller Welt bei der Frühjahrstagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds in Washington treffen, kündigte Schäuble an, „noch mehr Steuerinitiative zu ergreifen“.

Schäubles 10-Punkte-Plan

Zehn Punkte haben seine Mitarbeiter inzwischen zusammengekratzt, manches neu und anderes schon in der Pipeline. Die Staatengemeinschaft soll sich nach Schäubles Willen vor allem verpflichten, bei allen Unternehmen die wirtschaftlich Berechtigten zu ermitteln, also auch die Hintermänner von Briefkastenfirmen. Es geht um nichts Geringeres als eine globale Transparenzoffensive.

Der bekennende Bayern-Fan Schäuble plant damit, was die Münchner Kicker diese Saison noch hinbekommen müssen, das Triple: Vor vier Jahren hatte Schäuble zusammen mit seinem britischen Amtskollegen George Osborne im mexikanischen Badeort Los Cabos den Anstoß für die „Beps“-Initiative gegen Steuervermeidung und Gewinnverlagerung gestartet. Angestoßen durch den Weltsteuerkongress in Berlin vor anderthalb Jahren, haben sich inzwischen rund 80 Staaten dazu verpflichtet, Daten über Kapitalerträge auszutauschen. Eine globale Transparenzoffensive wäre Schäubles dritter Streich gegen Steuersünder.

So sieht Schäubles 10-Punkte-Plan gegen Steueroasen aus

Zur geplante Initiative zählen Transparenzregister in aller Welt, die miteinander vernetzt werden sollen. Diese sollen zwar nicht öffentlich sein, wie von der Opposition gefordert, aber doch Ermittlungsbehörden und Fachjournalisten zugänglich sein. Auch will Schäuble Panama nutzen, um alle Länder zum automatischen Informationsaustausch über steuerrelevante Kapitalertragsdaten zu verpflichten. Eine Neudefinition der Verjährungsfristen, die erst mit Bekanntwerden der Vergehen beginnen sollen, ist ebenso im Zehn-Punkte-Plan enthalten wie schärfere Sanktionen gegen die Steuergestalter, insbesondere Banken und andere Dienstleister.

Wie passt das zusammen? Journalisten enthüllen, dass deutsche Banken munter mitmachten beim Steuerbetrug in aller Welt, allein rund 1000 deutsche Briefkastenfirmen finden sich in den Panama Papers, organisiert von so gut wie jedem führenden heimischen Geldinstitut – und der deutsche Finanzminister inszeniert sich als weltweiter Vorkämpfer gegen den Steuerbetrug? Sehr gut passt das, heißt es aus dem Schäuble-Lager. Seine Mitarbeiter fühlen sich von den Enthüllungen bestärkt in ihrer Einschätzung, dass eine neue Ära der Steuermoral anbricht, in der Öffentlichkeit und bei der Justiz.

Das müssen Sie zu den Panama Leaks wissen

Unmittelbar nach den ersten Veröffentlichungen hat die Finanzaufsicht BaFin schon deutschen Banken Fragen zu ihren Offshore-Geschäften gestellt, NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans kündigte ebenso Ermittlungen an wie die Münchner Staatsanwaltschaft.

Boom der Briefkastenfirmen

Zudem gilt es, alte Steuerversäumnisse aufzuarbeiten: Deutsche Ministeriale hatten etwa übersehen, dass mit der Steuerreform der rot-grünen Bundesregierung von 2000 das neue Körperschaftsteuergesetz Dividenden von einer Kapitalgesellschaft an eine andere steuerfrei stellte. Also vergaß der Gesetzgeber, das Außensteuergesetz an diese neue Regel anzupassen. Ergebnis: Ausschüttungen von Stiftungen im Ausland konnten in der Heimat steuerfrei kassiert werden. Geschlossen wurde diese Lücke erst 2013. Sie trug zum Boom ausländischer Stiftungen bei deutschen Steuerpflichtigen bei.

Den Boom von Briefkastenfirmen wiederum befeuerte eine eigentlich gut gemeinte politische Entscheidung, die Europäische Zinsrichtlinie. Sie regelte im Jahr 2005 den Austausch von Kontoinformationen zwischen EU-Ländern – und machte es so gut wie unmöglich, Zinserträge zu verstecken. Die Politiker vergaßen aber, Firmen einzubeziehen. Flugs gründeten Steuersparkünstler zig Briefkastenfirmen – mit williger Hilfe deutscher Geldinstitute.

Die Deutschen müssen sich aber nicht alleine schämen. Gravierende Defizite bei der „Verfügbarkeit von Eigentümer-Informationen“ sieht die Anti-Geldwäsche-Einheit der OECD auch in der Schweiz, in Costa Rica und in der Türkei. Auch die Amerikaner zwangen die Schweiz, steuerrelevante Daten von US-Bürgern preiszugeben. Zu Hause allerdings sind sie nachsichtiger. „Man muss auch über Delaware sprechen“, heißt es in Schäubles Umfeld. In dem US-Bundesstaat gibt es mehr Firmen als Einwohner, rund jeder vierte Dollar in seinem Haushalt stammt aus dem Geschäft mit den schnellen Firmengründungen.

Halbautonome Gebiete sollen an die kurze Leine

Auch Großbritannien müsste seinen Einfluss auf britische Kronkolonien und Krongebiete geltend machen, die sich dem Steuerspargeschäft verschrieben haben – gerade nachdem die Panama Papers enthüllten, dass selbst Premierminister David Cameron an einem Offshore-Fonds seines verstorbenen Vater beteiligt war. Oppositionsführer Jeremy Corbyn fordert daher, halbautonome Gebiete wie die Kanalinseln, Gibraltar, Bermuda oder die Cayman Islands steuerpolitisch an die kurze Leine zu nehmen. Doch das wird kaum geschehen: Tausende Hedgefonds, die in der Londoner City operieren, sind in den Cayman Islands oder Gibraltar registriert. Und dann sind da noch in Großbritannien ansässige Ausländer, die als „non-domiciled“ gelten und auf im Ausland verdiente Einkommen keine Steuern zahlen.

Die größten Steueroasen der Welt
Bei der Nichtregierungsorganisation Tax Justice Networks steht die Schweiz an erster Stelle der Steueroasen – trotz aller Abkommen zum Informationsaustausch. Grund für die Top-Platzierung ist für die NGO die nach wie vor hohe Geheimhaltung von Finanzdaten in der Alpenrepublik. Quelle: dpa
Hongkong steht wegen seiner Verschwiegenheit bei der NGO Tax Justice Networks auf Rang zwei der Schattenfinanzplätze. Auch hier spielt der britische Einfluss noch eine große Rolle, da HK über mehr als ein Jahrhundert eine Kronkolonie war, bevor es in den 90er Jahren wieder an China fiel, aber weiter getrennt verwaltet wird. Quelle: AP
Luxemburg hat sich seinen Wohlstand – das Pro-Kopf-Einkommen liegt doppelt so hoch wie in Deutschland – durch eine äußerst wohlwollende Besteuerung erarbeitet, bei dem die Finanzverwaltung in geheimen Vereinbarungen („tax rulings“) gern auch mal nur ein Prozent Steuern verlangt. Quelle: dpa
Der US-Bundesstaat Delaware profiliert sich durch extrem niedrige Unternehmenssteuern. Hunderttausende Firmen sind dort registriert, auch namhafte deutsche. Nicht nur das Steuerklima ist dort günstig; Firmen lassen sich binnen eines Tages gründen. Quelle: dpa
Karibikeilande wie die Cayman Inseln, die Britischen Jungferninseln und die Bermudas zählen zu den echten Paradiesen mit viel Sonne, Strand und keinen Steuern für Unternehmen, Werktätige und Privatiers. Quelle: dpa
Irland ist für Unternehmen ein interessantes Land. Allerdings ist der Klassiker, das Double Irish mit Dutch Sandwich, nicht mehr im Angebot. Statt dessen gibt es nun eine „Knowledge Box“, mit deren Hilfe Unternehmen nur 6,25 Prozent Steuern zahlen müssen. Quelle: dpa
Deutschland gilt ebenfalls für manche als Steueroase, vor allem für reiche Unternehmer, die vererben wollen. Dank großzügiger Verschonungsregeln können selbst Milliardäre steuerfrei übertragen, wenn sich das Vermögen in Unternehmen befindet. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb eine Reform angemahnt. Quelle: dpa

Der Steuer-Sonderausschuss des Europäischen Parlaments empfiehlt, europäische Banken bis hin zum Lizenzentzug für undurchsichtige Steuerdeals zu bestrafen. Auch Schäubles Beamte überlegen, Steuerberater in Mithaftung zu nehmen, vielleicht sogar Anwaltskanzleien, bei Briefkastenfirmen oft zwischengeschaltet. Freilich wäre dieser Eingriff in das Verhältnis zwischen Anwalt und Mandant rechtsstaatlich heikel.

Weniger brisant ist eine andere Idee, über der Schäubles Beamte brüten: dass Unternehmen ihre Steuergestaltungsmodelle dem Finanzamt anzeigen müssen. Das Ministerium hat dazu ein Gutachten beim Münchner Steuerprofessor Wolfgang Schön in Auftrag gegeben. Eine Schwierigkeit dürfte schon darin bestehen, ein Steuergestaltungsmodell zu definieren. Eine weitere, die Regulierung nicht zu weit zu treiben, wie Edelfried Schneider, Vizepräsident der Europäischen Vereinigung der Wirtschaftsprüfer, warnt: „Schon heute liegen die Compliance-Kosten bei vielen Banken höher als der Gewinn.“

Was ist legal und was nur illegitim?

Daher hoffen manche auf die Selbstheilungskräfte der Märkte. „Banken werden aus eigenem Interesse stärker darauf achten, die Eigentümer hinter solchen Organisationen zu überprüfen“, sagt Chrisol Correia von der Unternehmensberatung LexisNexis Risk Solutions. Daran hapert es noch. Laut einer Lexis-Umfrage fragen zwölf Prozent der europäischen Banken nicht nach, woher Einlagen etwa von Stiftungen kommen. Nur knapp 70 Prozent gleichen Kundendaten mit Vorstrafenregistern ab.

Immer wird es bei der Diskussion um Briefkastenfirmen und Steuergestaltungen insgesamt um die Frage gehen: Was ist legal? Was nur illegitim? Und was illegal? Diese Frage ist gerade bei den nun aus der Grauzone gerissenen Briefkastenfirmen hochkomplex, denn die können durchaus ehrenwerten Zielen dienen. Reichen Familien bieten sie Gelegenheit, international gestreutes Vermögen zu bündeln und so über Generationen zu erhalten.

Das Finanzamt ist dann stets informiert, Kapitalerträge werden regulär versteuert. Ein weiteres, auf den ersten Blick legales Motiv für Stiftungen und Trust ist das, was Berater als „Asset Protection“ bezeichnen: Werden Stiftungen übertragen, zählen sie formal nicht mehr zum Privatvermögen. Auch Ex-Ehepartner oder Enterbte sollen dadurch leer ausgehen.

Briefkastenfirmen können aber auch schlicht im Geschäftsleben nützlich sein. Ihre Gründung bietet im Ausland Schutz vor unmäßigen Schadensersatzforderungen, stellt sicher, dass bekannte Unternehmen keine überhöhten Preise zahlen müssen – oder bieten Konzernen Schutz, die etwa in vielversprechende Start-ups investieren wollen, ohne dass die Konkurrenz davon Wind bekommen soll.

Aber solche ehrenwerten Fälle bilden die Ausnahme, geben selbst Befürworter zu, daher will SPD-Chef Sigmar Gabriel sie gleich komplett verbieten. So weit geht Schäuble zwar nicht, dem Konstrukt könnte es dennoch an den Kragen gehen, schon wegen einer anderen und stilleren Entwicklung: Deutschlands Justiz ändert ihre Rechtsauslegung. Viele Jahre orientierten sich hiesige Finanzrichter am Buchstaben des Gesetzes. So konnten Steuerexperten Gesetzeslücken ausspähen. Inzwischen fragen die Richter zunehmend, was der Gesetzgeber bezweckt hat.

Diese Banken sind in die Panama-Affäre verwickelt
Ein internationales Recherchenetzwerk hat Daten der Kanzlei „Mossack Fonseca“ aus Panama ausgewertet, die sogenannten Offshore-Firmen in Steueroasen registriert. Im Auftrag von Banken hat die Kanzlei für viele Kunden solche Konstrukte angelegt, die oftmals der Steueroptimierung dienen. Laut Georg Mascolo, Leiter der Recherchekooperation von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung seien auch deutsche Banken in die Geschäfte verwickelt. Er sagte am Sonntagabend: „Wenn Sie mich fragen würden, welche der deutschen Banken eigentlich nicht dabei gewesen ist, Kunden zu helfen, zu „Mossack Fonseca“ zu gehen, müsste ich lange nachdenken, ob mir überhaupt eine einfällt. “ Die Commerzbank hatte beispielsweise im vergangenen Jahr bereits 17 Millionen Euro Bußgeld wegen umstrittener Geschäfte in Panama und Luxemburg gezahlt. Quelle: dpa
Die Funktionsweise von Mossack Fonsecas Geschäft: Für nur wenige Tausend Dollar bekommt der Kunde eine anonyme Firma. Die Kanzlei stattet die Firma mit Scheindirektoren aus und verschleiert damit den wahren Eigentümer. Dieses Geschäftsmodell ist moralisch zweifelhaft, sie sind aber nicht per se illegal. Der ausgewertete Datensatz zeigt, welche Institute über die Kanzlei in Panama die meisten Schattenfirmen registrierten. Auf Platz 10 landet die Investmentbank Rothschild, eine Tochtergesellschaft des Unternehmens registrierte für seine Kunden 378 Offshore-Unternehmen. Quelle: ICIJ Quelle: dpa
Die Landsbanki Luxembourg ließe den Daten zufolge 404 Schattenfirmen registrieren. Quelle: dpa
Die Luxemburg-Tochter der französischen Großbank Société Générale hat 465 Offshore-Unternehmen für seine Kunden registriert. Quelle: REUTERS
Die britische Privatbank kommt auf eine Zahl von 487 Schattenfirmen, die für ihre Kunden registriert wurden. Quelle: REUTERS
Die Schweizer Großbank UBS ließ im Auftrag seiner Kunden 579 Schattenfirmen registrieren. Quelle: REUTERS
Die Schweiz-Tochter der britischen Großbank HSBC wickelte Deals mit 733 Schattenfirmen ab. Fasst man alle HSBC-Töchter zusammen, landet die britische Bank sogar auf Rang 1 der Geschäftspartner von Mossack Fonseca – mit mehr als 2.300 registrierten Firmen. Quelle: dpa

Die sogenannte teleologische Rechtsauslegung (griechisch: Telos = Ziel) ist eine Revolution im paragrafengläubigen Deutschland. Denn dass der Gesetzgeber mit voller Absicht Steuerschlupflöcher strickt, kann niemand ernsthaft behaupten oder gar beweisen. Aggressive Steuersparer müssen also nun fürchten, dass Finanzgerichte ihre neue Art der Rechtsprechung auch auf Jahre zurückliegende Fälle anwenden. Die Richter haben dabei eine Allzweckwaffe zur Hand: Paragraf 42 Abgabenordnung. Der Missbrauchsparagraf besagt, dass Geschäfte und Unternehmenskonstruktionen nichtig sind, wenn sie allein dem Zweck der Steuerersparnis dienen. Auch Inhaber von Briefkastenfirmen dürften diesen Paragrafen bald sehr genau kennenlernen.

Dieser Sinneswandel ist in Deutschland überfällig, ein trotz aller Schäuble-PR in eigener Sache imperfektes Steuerland. Alle zwei Jahre veröffentlicht das Netzwerk Steuergerechtigkeit den sogenannten Schattenfinanzindex. Er stellt dar, wie sehr sich die Gesetze eines Landes zum Verstecken von Geldern eignen. Seit Jahren liegt Deutschland in diesem Ranking auf Rang acht, hinter den Cayman Islands, nur knapp vor Bahrain. Das Netzwerk kritisiert etwa, dass das Finanzministerium die 4. Geldwäscherichtlinie der EU nicht ausreichend umsetze: So soll zwar ein Register über die wahren Eigentümer von Unternehmen kommen, allerdings vorrangig für Ermittlungsbehörden und Banken einsehbar. Schäuble will den Datenschutz hochhalten, auch wegen Bedenken der Industrie. Lutz Goebel, Präsident des Verbandes Die Familienunternehmer, schimpft etwa: „Wegen weniger schwarzer Schafe werden nun wieder alle Unternehmer unter Generalverdacht gestellt.“

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