Parteien Die AfD wird im Mittelstand salonfähig

21 Prozent in Schwerin, zuvor 24 in Magdeburg und 15 in Stuttgart – die Partei verlässt die parteipolitische Nische. Beobachtungen unter Unternehmern, die politischen Anschluss suchen.

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Hans Wall, Stephan Werhahn und Heinrich Weiss Quelle: imago (2), AP, Montage

Die Frage, ob es sich bei der AfD um eine Partei der kleinen Leute handele, sorgt im Biergarten am Schweriner See für harsche Reaktionen. „Natürlich nicht, sehen wir etwa alle aus wie Hartz-IV-Empfänger?“, blafft ein Anzugträger, der gerade auf der Wahlparty der Partei mit einem Kollegen auf den jüngsten Triumph anstoßen will. Er vergisst für einen Augenblick das Trinken und beginnt eine Verteidigungsrede: Die AfD erreiche alle Bevölkerungsschichten. Männer und Frauen, Alte und Junge. Wohlhabende, Arme, Studierte und Arbeiter.

Um 21 Prozent der Stimmen zu erreichen, gehe das auch gar nicht anders. Volkspartei eben. „Wir sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen.“ Ein anderer meint: „Ich kenne einige Unternehmer, die für uns stimmen.“ Er sei ja selber einer, Inhaber einer mittelständischen Firma für Sicherheitstechnik in Schwerin, 56 Jahre alt. Lange habe er CDU gewählt, die Flüchtlingspolitik habe ihn zum Umdenken bewogen. Sein persönliches Umfeld? Habe den Seitenwechsel positiv aufgenommen. Die Reaktionen von Kunden und Geschäftspartnern? Fürchte er nicht. Nur eines will keiner der beiden: den eigenen Namen nennen.

Bis vor ein paar Monaten hatte Benjamin Weiler mit der AfD eigentlich nichts zu tun. Er ist Vorsitzender der Wirtschaftsjunioren im badischen Karlsruhe. Seit der Wahl im März aber stellen die Rechtspopulisten in Baden-Württemberg mit 15 Prozent die zweitgrößte Oppositionsfraktion. Zeit, sich deren Personal mal ein bisschen genauer anzuschauen, dachte sich Weiler und lud den Parteivorsitzenden Jörg Meuthen Anfang des Monats zum Business-Lunch ins Hotel Erbprinz nach Ettlingen. Binnen Stunden waren die 20 Plätze für örtliche Unternehmer ausgebucht. Könnte das nicht ein Signal dafür sein, dass die AfD auch in der Wirtschaft längst ihre Fans hat? Weiler wird schmallippig. Die Veranstaltung sei gar nicht öffentlich gewesen. Zur Sache wolle er ohnehin nichts sagen, mit Politik habe sein Verein nichts am Hut.

Die AfD wird ...

Schwerin, Karlsruhe. Zwei Orte, ein Muster. Die Gesprächsfetzen vom Wahlabend und die Hinterzimmertreffen der Jungunternehmer belegen die widersprüchliche Situation, in der sich die AfD derzeit befindet: Einerseits gibt es keinen Zweifel an ihrem Erfolg. Ein Rekord folgt dem nächsten. Allein in diesem Jahr: drei Landtage erobert. Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt (24 Prozent), dann Mecklenburg-Vorpommern. Da klingen die für die Berliner Senatswahl prognostizierten zehn, elf oder gar zwölf Prozent fast schon wie eine Schlappe. Dabei wären sie in der traditionell eher linken Großstadt Berlin ein riesiger Erfolg.

„Wirre Rechtsaußen-Partei“
SPD-Vize Ralf Stegner bezeichnete die AfD als „zerstrittene und wirre Rechtsaußen-Partei“. „Ihr Prinzip ist es, Sündenböcke zu benennen, aber keine Lösungen anzubieten.“ Quelle: dpa
CDU-Vize Armin Laschet hat der rechtspopulistischen AfD vorgeworfen, religionsfeindlich zu sein. In der ARD nannte er die Beschlüsse der Partei „erschreckend“ und sagte: „Das, was die AfD jetzt beschlossen hat, ist ein Angriff auf fast alle Religionen.“ Quelle: dpa
Laut AfD gehört der Islam nicht zu Deutschland. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt  kritisierte diese Haltung scharf: „Die AfD hat sich ein tief reaktionäres Programm gegeben und betreibt mit Rassismus und Islamfeindlichkeit eine Spaltung unserer pluralistischen und demokratischen Gesellschaft“. „Zu sagen, Menschen islamischen Glaubens leben bei uns, aber der Islam gehöre nicht zu Deutschland, ist irrsinnig.“ Quelle: dpa
Thorsten Schäfer-Gümbel, Fraktionsvorsitzender und Landesvorsitzender der hessischen SPD, schaltet sich via Twitter ein. Dort schreibt er: „Dieser Parteitag erinnert mich eher an „Verschwörungstheoretiker aller Länder vereinigt euch“. Absurd, was da zu Klima fabuliert wird.“ Die AfD bestreitet unter anderem den von Menschen verursachten Klimawandel. Quelle: dpa
Nach Ansicht des Zentralrates der Muslime sei das gesamte Parteiprogramm der rechtspopulistischen Partei durchzogen von „Demagogie und Populismus“. Im Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ sagte Zentralratsvorsitzender Aiman Mazyek: „Ein solch islamfeindliches Programm hilft kein Deut, Probleme zu lösen, sondern spaltet nur unser Land.“ Ein Minarett-Verbot löse weder soziale Ungerechtigkeiten noch Rentenprobleme, so Mazyek. Quelle: dpa
In der „Thüringischen Landeszeitung“ kritisiert Elmar Otto insbesondere die Beschlüsse zur Direktwahl des Bundespräsidenten: „Wer die Vergangenheit liebt, ist bei der AfD bestens aufgehoben. Die Partei, die bei vielen Menschen weiter auf Zustimmung trifft, hat auf ihrem Parteitag in Stuttgart unter Beweis gestellt, dass sie keine Antworten auf Fragen der Gegenwart hat. Mit der Forderung, den Bundespräsidenten direkt wählen zu lassen, offenbart sie eine bemerkenswerte Ignoranz gegenüber dem Grundgesetz.“ Quelle: dpa
Die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, Gerda Hasselfeldt, sagte der „Welt“: „Frau Petrys Träume von einer Regierungsbeteiligung scheitern schon daran, dass keine andere demokratische Partei mit ihr zusammenarbeiten will.“ Quelle: dpa

Inzwischen sitzt die AfD in 9 der 16 deutschen Landesparlamente. Sie ist mit der Reise vom Rand in die Mitte der Gesellschaft ein gutes Stück vorangekommen. Auch wenn viele Aussagen vom Schweriner Wahlabend dokumentieren, dass sich viele Anhänger der Partei weiterhin als Paria sehen, ausgegrenzt von der Elite aus Mächtigen und Medien, die sie deshalb bewusst meiden. Selbst wenn sie noch immer unter Arbeitslosen und Arbeitern überproportional punkten mag. Solche Resultate wären ohne die Stimmen der Angestellten, Facharbeiter, Beamten und Selbstständigen unmöglich. Allein aus den Gesetzen der Statistik folgt, dass sich auch in den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Führungsgremien längst AfD-Anhänger tummeln müssen.

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