Ein Donnerstagabend in Berlin. In einem noblen Restaurant in Mitte treffen sich die Unternehmerverbände der Hauptstadt. Zusammen wollen sie bei Kalbsfilet und Bohnen im Speckmantel Bilanz ziehen vor der Wahl. Die Stimmung ist gut: plus 120 000 sozialversicherungspflichtige Jobs in den vergangenen drei Jahren, über 40 000 Unternehmensneugründungen. „Berlin wächst“, fasst es ein Teilnehmer zusammen. „Die Frage ist: Blüht Berlin auch?“ Eben da ist sich die Runde nicht einig. Deshalb sind sie hier: um Forderungen an den nächsten Bürgermeister zu stellen.
Normalerweise gehen sie dabei sehr sachlich vor, agieren vorsichtig, empfehlen keine Partei. Dieses Mal aber ist etwas anders: Die AfD steht in den Umfragen für Berlin zwischen 10 und 15 Prozent. Ein Verbandsvertreter sagt: „Wir lehnen die AfD ab. Berlin lebt von Toleranz und Offenheit. Die AfD steht für einen anderen Geist. Die Unternehmen hier wünschen sich eine freie Stadt und eine liberale Stimmung.“ Sonst, so fürchten die Herren, schrecke man womöglich internationale Investoren ab. Ein anderer aber erzählt von einer Umfrage, die er unter seinen Mitgliedsunternehmen durchgeführt habe. Das Ergebnis: sieben Prozent für die AfD. Nicht viel. Aber eben auch nicht viel weniger als im städtischen Durchschnitt.
Genau dieser Widerspruch zwischen veröffentlichten Verbandsmeinungen und der tatsächlichen Stimmung ist es, die der AfD derzeit viele Menschen zutreibt, auch im Unternehmerlager. Denn deren AfD-Abgrenzung wird zunehmend als überzogene politische Korrektheit gesehen, die den Widerspruch erst recht befeuert. Zudem offensichtlich im Weltbild vieler Unternehmer eine Lücke im Parteienspektrum existiert, die eine mitteorientierte CDU und eine nicht auf die Beine kommende FDP hinterlassen haben. Sie tritt nicht offen zutage, auch weil insbesondere mittelständische und kleinere Unternehmer sich von ihren Verbänden in Berlin nicht mehr vertreten fühlen, die eher durch allenfalls sanfte Kritik an der großen Koalition auffallen.
„Es ist ein Alarmzeichen für den Zustand unserer Demokratie, wenn die AfD weiterhin von den etablierten Parteien und dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen als nicht demokratisch und unwürdig für eine politische Auseinandersetzung behandelt wird“, sagt Mittelständler Weiss. Er verweist darauf, dass ein bedeutender Anteil der Wähler von AfD und der CDU gerne die CSU gewählt hätte – wenn die an der Ostsee denn angetreten wäre. Für Weiss heißt das: Die Menschen wollen eine konservative Kraft aus wirtschaftlichem Freiheitsstreben und gutbürgerlichem Wertebild. Eine Anti-Merkel-Partei.
Bereits für fünf Prozent aller Wähler, so ergeben die aktuellen Daten des Sozio-oekonomischen Panels, hat sich aus dieser Anziehungskraft eine verfestigte Parteibindung zur AfD entwickelt. Für die anderen aktuellen Sympathisanten aber gilt wohl Ähnliches wie für Heinrich Weiss. „Seit dem Wochenende denke ich: Vielleicht wird die AfD doch noch erwachsen. Der Spitzenkandidat machte am Wahlabend einen sehr soliden und vernünftigen Eindruck. Für mich bleibt die Hoffnung, dass sich eine wählbare Opposition zum links-sozialistischen Mainstream aus CDU, SPD, Linken und Grünen bildet.“
Und er fügt hinzu: „Einfacher wäre natürlich, die CDU würde sich auf ihre traditionellen Grundwerte zurückbesinnen.“