Es war eine andere Zeit und eine andere Partei. Heute verdankt die AfD ihren Erfolg einem einzigen Thema: den Flüchtlingen. Der Ton wurde rauer, die Gesellen in der Partei fragwürdiger. Die einen, wie Henkel, haben sich abgewandt. Andere, Unternehmer wie Wall, sind ihr als Sympathisanten treu geblieben. Und wieder andere lassen das Verhältnis einfach ungeklärt, in der Hoffnung, die Alternative für Deutschland habe den Anspruch, der in ihrem Namen steckt, noch nicht ganz aufgegeben. So wie Heinrich Weiss.
Weiss hat einst die Gründungsrede der Vereinigung mittelständischer Unternehmer in der AfD gehalten. Der 74-Jährige ist Aufsichtsratschef und Eigentümer des Düsseldorfer Anlagenbauers SMS, eines Konzerns mit etwa drei Milliarden Euro Umsatz und 14 000 Mitarbeitern. Weiss tummelte sich mal im Umfeld der CDU, mal in dem der FDP. Er war Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Einer, den man landläufig als Elite der deutschen Wirtschaft bezeichnet.
Ein Mann, der es in dem System, dessen Generalüberholung er sich von der AfD erhofft, weit gebracht hat. Eben dieser Weiss, so schrieb das „Manager Magazin“ vor einiger Zeit, habe sich durch sein Engagement „gesellschaftlich ins Abseits manövriert“. Das möchte der so nicht stehen lassen. Allerdings sagt Weiss auch: „Da die AfD wegen einiger Rechtsextremisten von Anfang an einen Ruf als nicht demokratische Partei hatte, haben einige Unternehmerkollegen mein damaliges Engagement nicht verstanden und mich als ‚verlorenen Sohn‘ betrachtet.“
Die Gesichter der AfD
Geboren in Dresden, promovierte Chemikerin und Unternehmerin, Bundesvorsitzende der AfD. Mutter von vier Kindern, liiert mit dem AfD-Landeschef von Nordrhein-Westfalen, Marcus Pretzell: Das ist Frauke Petry. Sie gilt als pragmatisch und ehrgeizig. Auch wenn sie verbal gerne Gas gibt – inhaltlich steht Petry eher in der Mitte der Partei.
Björn Höcke (45) und Alexander Gauland (76) haben im November 2015 gemeinsam „Fünf Grundsätze für Deutschland“ veröffentlicht. Darin wettern sie gegen die „multikulturelle Gesellschaft“ und behaupten, „die politische Korrektheit liegt wie Mehltau auf unserem Land“.
Meuthen ist geboren in Essen, promovierter Volkswirt, seit 1996 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Kehl (Baden-Württemberg), Bundesvorsitzender der AfD, war Spitzenkandidat seiner Partei bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg und ist seit Mai 2016 Landtagsabgeordneter; er ist verheiratet und hat fünf Kinder. Meuthen gehört zu den wenigen prominenten Vertretern des liberalen Flügels, die nach dem Abgang von Bernd Lucke in der AfD geblieben sind.
Sie ist geboren in Lübeck, Jurastudium in Heidelberg und Lausanne (Schweiz), Rechtsanwältin, stellvertretende Bundesvorsitzende und AfD-Landesvorsitzende in Berlin, seit 2014 im EU-Parlament, verheiratet. Gilt als ultrakonservativ.
Marcus Pretzell (43) ist geboren in Rinteln (Niedersachsen), Jurastudium in Heidelberg, Rechtsanwalt und Projektentwickler, seit 2014 Vorsitzender der AfD in Nordrhein-Westfalen, Vater von vier Kindern, seit 2016 verheiratet mit Frauke Petry. Der Europaabgeordnete hat die AfD als „Pegida-Partei“ bezeichnet. Parteifreunde rechnen ihn aber nicht zum rechtsnationalen Flügel.
Freilich kennt auch Weiss die Gründe für das schlechte Image. Auch er hörte Stimmen, wie die von Hansjörg Müller, Chef des Mittelstandsforums der AfD, der sich mit der Feststellung zitieren ließ, unter Lucke sei die Ausrichtung „so schwammig“ gewesen. Jetzt sei die Botschaft klar: „Deutsche Interessen zuerst.“
Weiss ist deswegen seit einiger Zeit nicht mehr aktiv in der AfD. Einerseits. Andererseits hat er etwa seine Mitgliedschaft im Mittelstandsforum der Partei nicht gekündigt. Er kenne kaum einen Unternehmer, der sich offen zur AfD bekannt hätte. Aber viele sähen eine politische Leerstelle, die es zu füllen gelte. „Die meisten Unternehmer kümmern sich lieber um ihr Unternehmen und engagieren sich nicht in der großen Politik, obwohl sie mir im privaten Gespräch immer wieder meine Kritik am Euro und an der verfehlten Wirtschaftspolitik dieser Regierung bestätigen“, sagt Weiss. Und Werber Wall sagt: „Die AfD ist die einzige Partei, die eine nationale Vision für die Zukunft Deutschlands hat.“ Mit Rechtsradikalismus habe das nichts zu tun, beteuert er.
Die AfD hat es so immerhin in Teilen geschafft, die enttäuschte Unternehmerschaft an sich zu binden. Wie groß der Anteil ist? Im Mittelstandsforum der Partei haben sich einige von ihnen zusammengeschlossen, um die 200 sollen es inzwischen sein. Und die Zahl ist seit dem Abgang der Wirtschaftsprofessoren um Bernd Lucke nicht gesunken. „Vor allem im Mittelstand ist die AfD salonfähig geworden“, sagt auch Peter Radunski. Der CDU-Mann hat einst den Wahlkampf von Helmut Kohl gemanagt, er spricht für einen ganzen Flügel der Partei, der seine Meinung derzeit kaum artikuliert: „Gerade im Mittelstand scheinen viele Unternehmer die Folgen der Globalisierung zu fürchten und lehnen zum Beispiel das Freihandelsabkommen TTIP ab. Die AfD, die für eine Politik der Abschottung wirbt, wirkt daher anziehend.“
Die Sprüche der AfD
Ob Flüchtlingspolitik oder Fußball - mit markigen Sprüchen sorgen führende AfD-Politiker immer wieder für Kopfschütteln und Empörung, wie jetzt die stellvertretende Bundesvorsitzende Beatrix von Storch. Einige Zitate.
Quelle: dpa
„Das ist ungefähr so, als würden Sie mit Plastikeimern einen Tsunami stoppen wollen.“ (Der AfD-Bundesvorsitzende Jörg Meuthen am 24. Oktober 2015 bei einem Landesparteitag in Baden-Württemberg über die Maßnahmen der Bundesregierung zur Bewältigung der Flüchtlingskrise)
„Im 21. Jahrhundert trifft der lebensbejahende afrikanische Ausbreitungstyp auf den selbstverneinenden europäischen Platzhaltertyp.“ (Der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke am 21. November 2015 in einem Vortrag über Asylbewerber aus Afrika)
„Wer das HALT an unserer Grenze nicht akzeptiert, der ist ein Angreifer. Und gegen Angriffe müssen wir uns verteidigen. (...) Es gibt keinen Grund, mit Gewalt unsere Grenze zu überqueren.“ (Die stellvertretende AfD-Bundesvorsitzende Beatrix von Storch Ende Januar 2016 auf ihrer Facebook-Seite über Flüchtlinge)
„Ich will das auch nicht. Aber zur Ultima Ratio gehört der Einsatz von Waffengewalt.“ (Die AfD-Bundesvorsitzende Frauke Petry in einem Interview des „Mannheimer Morgen“ vom 30. Januar 2016. Angesichts des Flüchtlingszustroms forderte sie im Notfall auch den Einsatz von Schusswaffen.)
„Wir müssen die Grenzen dichtmachen und dann die grausamen Bilder aushalten. Wir können uns nicht von Kinderaugen erpressen lassen.“ (Gauland am 24. Februar 2016 im Magazin der Wochenzeitung „Die Zeit“ über Flüchtlinge)
„Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“ (Gauland in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vom 29. Mai 2016 über Fußball-Nationalspieler Jérôme Boateng)
„Eine deutsche oder eine englische Fußballnationalmannschaft sind schon lange nicht mehr deutsch oder englisch im klassischen Sinne.“ (Der AfD-Bundesvize Alexander Gauland am 3. Juni 2016 im „Spiegel“)
Das Verhältnis zwischen der AfD und den Eliten aus Wirtschaft und Gesellschaft ist kompliziert. Für beide Seiten liegen Chance und Risiko in einer Annäherung. So liebäugeln manch einflussreiche Konservative damit, die AfD durch eine Lockerung des existierenden Wahltabus erst zu mäßigen und dann zu entzaubern. Es entstünde eine Art wertkonservatives Korrektiv zur nach links gerückten CDU von Angela Merkel, das spätestens nach der ersten enttäuschenden Regierungsbeteiligung der AfD wieder verschwinden würde. Zugleich birgt das die Gefahr, die AfD erst zu etablieren und dann trotzdem die Kontrolle über ihre Ausrichtung zu verlieren.