Parteien Die AfD wird im Mittelstand salonfähig

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Quer zum typischen Links-rechts-Schema

Lars Geiges vom Institut für Demokratieforschung an der Uni Göttingen hat mit seinem Team in den vergangenen Monaten Dutzende AfD-Veranstaltungen besucht, mit Hunderten Mitgliedern und AfD-Wählern gesprochen. Ergebnis: „Die Unterstützung für die AfD läuft quer zum typischen Links-rechts-Schema. Es sind nicht nur die vermeintlichen Verlierer oder die vermeintlich Zukurzgekommenen. Vielleicht vor allem, aber ebenso Arbeiter, Fachkräfte, Selbstständige, auch Unternehmer.“ Es gebe eigentlich nur einen Typus, der sich fast gar nicht unter den AfD-Wählern finde: „Weiblich, hoch gebildet und jung“, sagt Geiges. Matthias Diermeier vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat in den vergangenen Monaten vor allem einen Blick darauf geworfen, wie sich der soziale und ökonomische Status der AfD-Wähler vom gesellschaftlichen Durchschnitt abhebt. „Die Wähler der AfD machen sich kaum Sorgen um ihre eigene ökonomische Position“, sagt Diermeier. Was sie aber verbindet, ist die Sorge, dass es mit der Wirtschaft und der Gesellschaft als Ganzes bergab geht. Das zeigen die jüngsten Daten des Sozio-oekonomischen Panels. Aus denen lässt sich ableiten, wie sich die Wählerschaft der AfD seit dem Beginn des Aufstiegs 2013 verändert hat. Es zeigen sich dabei klare Tendenzen. Die Unzufriedenheit mit der Demokratie ist heute unter den überzeugten AfD-Anhängern ausgeprägter denn je. Auch die Sorgen um die allgemeine Wirtschaftslage und die Angst vor wachsender Kriminalität haben unter den AfD-Wählern massiv zugenommen. Ebenso hat sich die Zusammensetzung der AfD-Wählerschaft geändert: So gibt es nach wie vor Angehörige aller Klassen innerhalb der AfD. Die Zuwächse bei den vergangenen Wahlen kommen aber größtenteils aus den unteren und mittleren Schichten.

Wie die etablierten Parteien mit der AfD umgehen

Der Graben zwischen AfD und Elite, er müsste damit trotz aller Erfolge eher größer als kleiner geworden sein. Aber er ist eben nicht unüberbrückbar.

Da wäre etwa Hans Wall. Als im Herbst 2014 publik wurde, dass der Unternehmer bei der AfD eingetreten war, verschickte das nach ihm benannte Unternehmen rasch eine Mitteilung: „Die Wall AG distanziert sich von dem politischen Engagement des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden.“ Der damalige Unternehmenschef: Daniel Wall, sein Sohn. „Sich vom eigenen Vater distanzieren – das macht man doch nicht“, sagt Wall senior heute. „Jeder wusste, dass ich nicht mehr für die Wall AG stehe“, so der 1942 geborene Gründer.

Mitte der Siebzigerjahre schuf er das Unternehmen für Stadtmöblierung. So nennen Werber ihre Plakatflächen in Form von Haltestellen oder öffentlichen Toiletten. 2009 verkaufte er seine Anteile an den französischen Konkurrenten JCDecaux, seitdem hat er mit dem Konzern nichts mehr zu tun. Und dennoch: Ein bisschen Loyalität hätte er sich schon gewünscht.

Die Reaktionen zur Landtagswahl
Die Anhänger der AfD in Schwerin haben etwas zu jubeln. Ihre Partei holte bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern - ersten Hochrechnungen zufolge - aus dem Stand 21,5 Prozent der Stimmen. Quelle: dpa
Freude gab es auch bei den Anhängern der SPD. Sie wurde erneut stärkste Kraft und kann auch in Zukunft den Ministerpräsidenten stellen. Aber auch die Sozialdemokraten haben deutlich verloren. Quelle: dpa
Der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern und Wahlgewinner, Erwin Sellering, hat sich nicht auf eine Fortsetzung der Koalition mit der CDU festgelegt. Er habe keine Präferenz für eine Koalitionsoption, sagte der SPD-Politiker nach der Landtagswahl am Sonntag. "Wir werden mit allen reden." Es gebe neben der CDU auch eine zweite Möglichkeit. Nach den ersten Hochrechnungen könnte die SPD auch mit Linken und Grünen eine Regierung bilden. Quelle: dpa
Lange Gesichter hingegen gab es bei der CDU. Sie lag mit unter 20 Prozent sogar noch hinter der AfD. Quelle: dpa
Der CDU-Spitzenkandidat, Lorenz Caffier, hat der Parteispitze in Berlin eine Mitschuld an der Wahlniederlage gegeben. Die Verunsicherung der Menschen über das Thema Flüchtlinge habe man in Berlin nicht genügend wahrgenommen, sagte Landesinnenminister Caffier am Sonntagabend. Man könne zudem aus dem Ergebnis lernen, dass man kurz vor der Wahl nicht über Katastrophenschutzpläne diskutieren sollte. Diese Kritik richtet sich an Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Dieser hatte vor eineinhalb Wochen ein Konzept für den Fall eines Terror- oder Cyberangriffs vorgelegt. Die Kritik, er schüre damit nach den jüngsten Anschlägen Verunsicherung, hatte de Maizière zurückgewiesen. Quelle: dpa
Das Ergebnis der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern ist nach Ansicht des CDU-Politikers Michael Grosse-Brömer ein Denkzettel für die große Koalition. "Dies ist kein schöner Wahlabend für uns", sagte der parlamentarische Geschäftführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. "Die große Koalition sollte ein stückweit auch abgestraft werden", sagte er mit Hinweis auf die Verluste sowohl von CDU als auch SPD. Offenbar müsse die Bundesregierung gerade die Flüchtlingspolitik besser erklären und den Menschen klarmachen, dass viele Sorgen vor Ort unnötig seien. Eine Politikänderung gegenüber der AfD halte er nicht für notwendig. 75 Prozent der AfD-Wähler wollten gar keine Lösungen. Das seien Proteststimmen. Quelle: dpa
CDU-Generalsekretär Peter Tauber führt die schwere Schlappe seiner Partei bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern auf weit verbreiteten „Unmut und Protest“ in der Bevölkerung zurück. Dies habe offensichtlich zu großen Teilen „mit der Diskussion über die Flüchtlinge“ zu tun, sagte er am Sonntagabend in Berlin. „Dieses Ergebnis und das starke Abschneiden der AfD ist bitter“, sagte Tauber. Quelle: dpa

Stattdessen gab es auch jenseits der Familie Unverständnis über sein Engagement. „Klar, manche wollten das nicht verstehen.“ Als Unternehmer habe er aber gelernt: „Wer unehrlich ist und betrügt, der scheitert.“ Genau das sei für ihn das Problem an der Euro-Rettungspolitik gewesen. „Die Politik hat uns seit der Euro-Einführung angelogen“, sagt Wall. Als Bernd Lucke damals die AfD gründete, wollte er die Partei unterstützen. Er spendete 10 000 Euro und wurde Mitglied. Es war die Zeit, als die Partei eine Art Verein ökonomischer Besserwisser zur Abschaffung des Euro war. Die Parteispitze versprach wirtschaftliche Expertise und ein Zuhause für jene Unternehmer, die mit dem eher unternehmensfernen Kurs der Bundeskanzlerin wenig anfangen konnten. Während Mittelständler Wall „nur“ Geld gab, ließ sich Ex-BDI-Größe Hans-Olaf Henkel gar in die Parteispitze wählen. Gemeinsam wollten sie in eine Lücke im Parteienspektrum stoßen: dort hinein, wo jene Unternehmer angesprochen werden, die sich von CDU und FDP nicht mehr verstanden fühlten. Die den Euro für einen Fehler halten und die CDU unter Angela Merkel für die weiblichere Variante der SPD.

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