Parteitag an zwei Tagungsorten AfD geht volles Risiko

Dass zum AfD-Bundesparteitag am Wochenende in Bremen mehr als 2.000 Mitglieder kommen wollen, stellt die Parteizentrale nicht nur vor eine logistische Herausforderung. Auch juristisch ist das Vorhaben eine Gratwanderung.

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AfD-Chef Bernd Lucke und die anderen Parteigranden wollen während des dreitägigen Bundesparteitags zwischen den beiden Versammlungsorten hin und her pendeln. Quelle: Reuters

Berlin Beim Bundesparteitag der Alternative für Deutschland (AfD) in Bremen scheint Chaos vorprogrammiert. Da es kein Delegiertenparteitag ist, kann theoretisch jedes der rund 23.000 Parteimitglieder kommen. 3.150 Mitglieder haben sich angemeldet, davon etwa 2.200 ihr Kommen zugesagt.

Wegen der übergroßen Zahl an Teilnehmern soll der Parteitag an zwei Tagungsorten gleichzeitig stattfinden – im Maritim-Hotel Bremen und in einem 1,5 Kilometer entfernten Musical-Theater. Damit wird es für die Polizei schwieriger, die Veranstaltung der rechtskonservativen Partei zu schützen, die Kontakte zur Dresdner Pegida-Bewegung hat.

Und es wird auch für die Partei eine logistische Herausforderung. AfD-Chef Bernd Lucke und die anderen Parteigranden wollen während der dreitägigen Veranstaltung zwischen beiden Versammlungsorten hin und her pendeln.

Parteienrechtler sehen das Vorhaben kritisch. „So, wie der AfD-Parteitag jetzt geplant ist, ist er kein Selbstläufer. Die Partei geht damit das Risiko ein, dass Beschlüsse angefochten werden und der Parteitag wiederholt werden muss“, sagte der stellvertretende Direktor des Instituts für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Martin Morlok, dem Handelsblatt (Online-Ausgabe).

Laut Morlok schreibt das Gesetz vor, dass Parteitagsentscheidungen in einer „Versammlung“ herbeigeführt werden. „Die Versammlung soll eine angemessene Beteiligung der Mitglieder ermöglichen – und dies in mehreren Dimensionen“, erläuterte der Jurist. „Beiträge zur Willensbildung können auch in Buh-Rufen, demonstrativem Zeitunglesen, dem Verlassen des Saales, zustimmendem Nicken oder Beifall bestehen.“ Diese „Breite der Kommunikation“ sei wichtig. Daher müssten die technischen Möglichkeiten einer Videoübertragung gewährleisten, „dass Redner die Reaktionen des Publikums mitbekommen und Zuhörer auch die anderen Zuhörer wahrnehmen können“, betonte Morlok.

Ähnlich äußerte sich Hans Michael Heinig, Direktor des Instituts für Öffentliches Recht an der Universität Göttingen.


AfD holt sich okay der Bundestagsverwaltung

Den geplanten AfD-Parteitag hält Heinig für ein „ungewöhnlichen Format“. „Aber wenn tatsächlich beide Säle gleichberechtigt betrieben werden und wechselseitige Öffentlichkeit durch Video-Konferenzschaltung gewährleistet ist, also die innerparteiliche Demokratie keinen Schaden nimmt, wüsste ich nicht, was dagegenspricht“, sagte Heinig dem Handelsblatt (Online-Ausgabe).

Das Parteiengesetz sehe jedenfalls keine entgegenlaufenden Regelungen vor. Auch der geltenden Satzung der AfD könne man nicht entnehmen, dass „zwingend“ nur ein Tagungsort zu wählen sei. Heinig betonte jedoch, dass „zu jedem Zeitpunkt“ gewährleistet sein müsse, dass die Mitglieder an der Willensbildung beteiligt seien - so, als ob sie an einem Ort zusammenträfen. „Das ist ein anspruchsvolles Unterfangen.“

Der AfD ist die Problematik durchaus bewusst. Parteisprecher Christian Lüth hat sich deshalb bei der Bundestagsverwaltung rückversichert, ob etwas gegen einen gespaltenen Parteitag spreche. „Wir haben uns beim Bundestag erkundigt, ob eine Aufteilung auf zwei Veranstaltungsorte rechtens sei, und man hat uns versichert, das sei in Ordnung“, sagte Lüth.

Die Partei dürfte aber eine besonders gute Choreographie brauchen, damit ihr Mitgliedertreffen nicht aus dem Ruder läuft. Das liegt nicht nur an den unterschiedlichen Veranstaltungsorten. Vielmehr werden am Wochenende wohl mehr als sonst die Fetzen fliegen.

Anfang des Jahres attestierte Parteivize Hans-Olaf Henkel dem Co-Vorsitzenden Konrad Adam: „Sie scheinen vor Enttäuschung über ihre Bedeutung in der Partei und von ihrem Ehrgeiz zerfressen zu sein.“ Der Geschmähte forderte Henkel daraufhin per Zeitungsinterview auf, zu „angemessenen Umgangsformen“ zurückzukehren. Grund für Henkels Ärger war, dass Adam zusammen mit der Co-Vorsitzenden Frauke Petry dem dritten Partei-Chef und inoffiziellen AfD-Leitfigur Lucke Alleingänge „nach Gutsherrenart“ vorwarfen.

Die Liste gegenseitiger Beschuldigungen und Beleidigungen ließe sich leicht fortsetzen. Hinter den persönlichen Anwürfen stehen aber nicht nur Machtspiele, sondern auch knallharte inhaltliche Fragen. Längst beschränkt sich die AfD nicht mehr nur auf die von Lucke postulierte strikte Ablehnung der Euro-Rettungspolitik. In den vergangenen Monaten hat sich auch eine nationalkonservative Strömung herausgebildet, die mit der islamfeindlichen Bewegung Pegida sympathisiert und Themen wie Kriminalitätsbekämpfung zum Schwerpunkt macht.


Wahlforscher: „Die AfD steht am Scheideweg“

„Die AfD steht am Scheideweg“, sagte Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen. „Sie muss sich entscheiden, ob sie eine Partei für die bürgerliche Mitte sein will oder ob sie eine rechtsgerichtete, populistische Partei wird.“ Eine Vorentscheidung ist möglicherweise bereits gefallen. Der stellvertretende Parteivorsitzende und Ex-BDI-Chef Hans-Olaf Henkel will nicht nach Bremen kommen, von ihm ist auf dem Parteitag lediglich eine Video-Botschaft angekündigt. Damit fehlt in Bremen der vehementeste Kritiker in der Parteispitze an einer Annäherung an Pegida und an einer Haltung, die Ressentiments im rechten Wählerspektrum bedient.

Ihm stehen unter anderem die Co-Parteivorsitzenden Petry und Adam sowie der Brandenburger AfD-Chef Alexander Gauland gegenüber. Petry hat sich mit der Pegida-Führung getroffen und Gemeinsamkeiten ausgemacht. Ihren Angaben nach hat Pegida-Organisatorin Kathrin Oertel bei ihr Rat gesucht, als der Co-Vorsitzende Lutz Bachmann mit fremdenfeindlichen Äußerungen und einem Foto in Hitler-Pose breiten Protest auslöste. Aus Sicht Gaulands ist die Kritik an Pegida-Demonstranten als islam- und ausländerfeindlich unangebracht. Henkel dagegen lehnt es grundsätzlich ab, sich mit Pegida-Leuten an einen Tisch zu setzen.

Parteigründer Lucke hat es bislang vermieden, sich eindeutig zu dem einen oder anderen Flügel zu bekennen. Dass er jedoch die Programmatik der AfD in Sinne des nationalkonservativen Flügels erweitern will, ergibt sich aus einem Strategiepapier des Vorstands unter dem Titel „Der Weg zum Parteiprogramm“. Dort werden als politische Schwerpunkte 2015 Innere Sicherheit, Asyl- und Zuwanderungspolitik sowie Altersarmut identifiziert. Erst an vierter Stelle rangiert die Euro-Politik, gefolgt von der Steuerpolitik.

Der stellvertretende Parteichef Gauland sieht im Gegensatz zum Meinungsforscher Jung keine Notwendigkeit dafür, dass die AfD sich für den einen oder anderen Kurs entscheiden muss. „Die Partei kann nur mit diesen beiden Flügel leben, sie kann nicht einen abstoßen“, sagte er. „Lucke und Henkel vertreten den marktliberalen Flügel der Partei und ich bin mehr auf der konservativen und patriotischen - lassen Sie mich das vorsichtig formulieren - nationalen Seite.“ Er sei überzeugt, dass sich eine Brücke über beide Lager bauen lasse.


Neue Parteisatzung birgt reichlich Konfliktpotenzial

In Bremen wird es nicht zuletzt darum gehen, welcher der beiden Flügel vor den angereisten AfDlern punkten kann. Nach Jungs Einschätzung wird die Frage der Ausrichtung möglicherweise aber nicht mehr in diesem Jahr entschieden. Von Bedeutung sei dabei die wirtschaftliche und politische Lage. Bei einer Eintrübung der Konjunktur, wenn es den Menschen schlechter gehe, könne der rechtspopulistische Flügel gewinnen. Wenn aber die Euro-Krise wieder schärfer werde, dann könne der wirtschaftsliberale Flügel profitieren.

Von der Pegida wird Jung zufolge die AfD dagegen kaum profitieren können. Die Bewegung sei vor allem ein lokales Dresdner Phänomen, erklärte er. Dagegen sei die Gefahr größer, dass bei einem Schulterschluss die Popularität der AfD sinken könne.

Ob es in Bremen überhaupt zu langen Debatten über die Programmatik kommt, ist aber nicht ausgemacht. Denn offiziell soll es um die Parteisatzung gehen, und auch die birgt reichlich Konfliktpotenzial. Zwar hat sich Lucke im Parteivorstand mit seinem Wunsch durchgesetzt, die derzeit drei gleichberechtigten Parteisprecher Ende des Jahres durch einen Vorsitzenden zu ersetzen.

Die Weichen dafür sollen mit der neuen Parteisatzung gestellt werden. Aber aus den Ländern kommt Kritik, und in der Parteizentrale wird befürchtet, dass der Plan für einen Anfang April geplanten Parteitag und die dann vorgesehenen Vorstandswahlen gekippt werden könnte. Dann bliebe es erst einmal bei der Dreierspitze.

Mit Material von Reuters

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