Parteitag der Grünen Die Anti-Trittin-Partei

2013 trieben Jürgen Trittins Steuerpläne Grünen-Wähler in die Flucht. Die Partei hat die Lektion gelernt: Mitten in der Identitätskrise heißt es auf ihrem Parteitag am Wochenende: Zurück zu den Wurzeln.

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Im ausführlichen 106-Seiten-starken Wahlprogramm muss man lange suchen, um Steuerforderungen zu finden. Quelle: dpa

Berlin 2013 war der grüne Spitzenkandidat Jürgen Trittin der Schrecken aller ökologisch Gutmeinenden mit einem ordentlichen Gehalt, einer nicht arbeitenden Gattin oder beidem.  Denn der grüne Spitzenkandidat drohte mit einem Bündel von Steuererhöhungen: Vom Spitzensteuersatz übe einer Vermögensabgabe und deutlich höhere Erbschaftssteuer sowie der Abschmelzung des Ehegattensplitting. Und er hatte die Partei hinter sich. Vor allem Familienunternehmer reagierten entsetzt und fürchteten um ihre Existenz.

Realos um den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann versuchten in letzter Minute das Ruder herumzureißen, doch es war zu spät: Zusammen mit dem Veggieday, der ihnen das Stigma einer Verbotspartei einbrachte, und der Pädophilie-Debatte sorgte die Steuerorgie dafür, dass die Grünen abgeschlagen als kleinste Oppositionspartei auf Platz vier hinter der Linken landeten.

Vier Jahre und unzählige Debatten später, hat die Partei ihre Lektion gelernt: Das Programm, das die Basis an diesem Wochenende beim Parteitag in Berlin absegnen soll, ist zumindest steuerpolitisch durch und durch weich gespült. Ein Desaster wie 2013 soll nicht noch einmal passieren. Im 10-Punkte-Kurz-Programm für die Wahl 2017 taucht das Wort Steuern nicht an einer einzigen Stelle auf. Stattdessen geht es vor allem um die urgrünen Themen Klimaschutz, E-Mobilität Landwirtschaft.

Auch im ausführlichen 106-Seiten-starken Wahlprogramm muss man lange suchen, um Steuerforderungen zu finden. In der Präambel findet sich lediglich der Satz, multinationale Konzerne müssten ihre Steuern hier bei uns zahlen. Weit hinten stehen dann gerade mal zwei knappe Seiten zu konkreten Steuerplänen: Gewiss, der Spitzensteuersatz soll steigen, aber nur noch ab einem Single-Einkommen von 100.000 Euro, und um wie viel, das lassen die Grünen wohlweislich offen. 2013 hingegen wollten sie schon ab 80.000 Euro 49 Prozent in die Staatskasse abführen. Auch bei der Vermögenssteuer verzichten sie auf konkrete Ansagen - zudem müsse diese  „verfassungsfest, ergiebig und umsetzbar“ sei. Das klingt sehr nach kalkuliertem Abschied.

Damit hält sich der grüne Steuer-Schreck für den Mittelstand in Grenzen. Vor allem das Handwerk, wo der jetzige Spitzenkandidat Cem Özdemir vor 2013 viele Freunde gewonnen hatte, die auf gute Aufträge durch die Energiewende hofften, dürfte das mit Wohlwollen sehen. Und dass die Grünen Managergehälter künftig nur noch bis zu 500.000 Euro als steuermindernde Betriebsausgaben anerkennen wollen, dürfte der großen Masse dieser Mittelständler gleichgültig oder sogar recht sein.

Auch die urgrüne Klientel, die traditionell ebenso wie die Wähler der Liberalen zu den Besserverdienern der Republik gehört, muss sich nicht fürchten: Das Ehegattensplitting will die Partei zwar grundsätzlich durch eine Individualbesteuerung ersetzen, die dann durch ein ‚Familienbudget‘ ergänzt wird, das an den Kindern selbst ansetzt. Aber: Wer schon verheiratet ist, soll ein Wahlrecht erhalten, und darf  beim alten Splitting bleiben, wenn es sich im Einzelfall rechnet. Das dürfte zwar in einer Übergangszeit doppelt kosten, nimmt aber weiten Teilen der Stamm-Klientel aus der Mittelschicht die Angst, für ihr Kreuzchen bei den Grünen womöglich zur Kasse gebeten zu werden.

Doch auch bei den zentralen Klimaforderungen übt sich die Ökopartei in Zurückhaltung: natürlich will sie den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor - doch eine Jahreszahl, die die Automobilindustrie in Schrecken versetzen könnte, sucht man zumindest im zentralen 10-Punkte-Programm vergeblich. Dafür hat vor allem Winfried Kretschmann gesorgt. Der Stuttgarter Ober-Grüne versucht grade im Rahmen des „Autodialogs“ mit Topmanagern der schwäbischen Autobauer und ihrer Zulieferer – mit dabei sind etwa Daimler-Chef Dieter Zetsche und Bosch-Boss Volkmar Denner – sanft in Richtung Null-Emission zu schieben.

Da kann er Kampfansagen samt Jahreszahl nicht gebrauchen. Deshalb findet sich das konkrete Ziel, ab dem Jahr 2030 nur noch abgasfreie Autos neu zuzulassen, nur an einer einzigen Stelle in der Langfassung des Wahlprogramms. Und man kann davon ausgehen, dass das Realo-Spitzen-Duo Göring-Eckard und Cem Özdemir dieses Datum tunlichst nicht nennen werden – zumindest nicht ohne Not und in der Nähe von Menschen aus der Automobilindustrie.

Und selbst die weichen Formulierungen im zehn-Punkte-Programm „sind keine roten Linien, das sind Vorhaben, das sind Ziele“, versicherte Göring-Eckardt bei der Vorstellung. „Wer mit uns koalieren will, der muss bereit sein, bei diesen Vorhaben entschieden mit voranzugehen“, steht dort geschrieben - das lässt alles offen. Schaffen es die beiden blassen Spitzenkandidaten Özdemir und Göring-Eckardt in den nächsten Monaten nicht, die miserablen Umfragewerte zwischen sechs und acht Prozent deutlich zu steigern, können sie bei eventuellen Koalitionsverhandlungen daher extrem flexibel sein.

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