Deftig und treffend beschrieb der Vize-Regierungschef von Schleswig-Holstein, Robert Habeck, auf dem Parteitag der Grünen in Berlin an diesem Samstag die Lage. "Wir haben immer noch die Haltung, das System ist Scheiße, wir müssen es nur verändern." Der Satz ging an den Spitzenkandidaten der Ökopartei, Jürgen Trittin. "Dabei sind wir längst das System", setzte Habeck nach. Mit Rechthaberei sei deshalb keine Wahl zu gewinnen gewesen, es gehe darum, andere ernst zu nehmen und Recht zu bekommen. "Am Ende hatten wir alle Freunde vergrault und zuletzt waren wir im Wahlkampf nur noch von Wölfen umzingelt."
Ähnlich klar analysierte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Krestchmann das Schlamassel-Ergebnis im Bund von 8,4 Prozent, nachdem Umfragen die Partei zwischenzeitlich gar bei bis zu 20 Prozent taxiert hatten. Mit Forderungen nach mehr Steuern lasse sich nur ein Lagerwahlkampf erreichen, der für die Grünen schief gehe, weil Ökologie dann keine Rolle mehr spiele und sie auch nicht glaubhaft offen für eine andere Koalition als mit der SPD seien.
"Wir sind nicht mehr am Rand, wir sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen", da sei nicht mehr Angriff die richtige Haltung, sondern der Wille zum Schmieden stabiler Mehrheiten, "lieber Jürgen", kritisierte der grüne Oberrealo aus dem Südwesten nochmals Trittin. Liberal und angemessen sei auch, dass niemand den Leuten vorschreibe, "wie sie von der Wiege bis zur Bahre leben sollen" - Stichwort Veggie Day. Regeln seien nötig, aber nur in Maßen.
Nun ist zwar an diesem Wochenende beim Länderrat, dem kleinen Parteitag der Grünen, schnell nach der Wahl klar, dass sich fast das gesamte vordere Führungspersonal auswechselt. Doch völlig unklar ist, ob jene neuen Führungsleute stark genug sind, die Sonnenblumenpartei wieder glaubhaft zu machen bei Unternehmern oder der bürgerlichen Mittelschicht.
Seelenmassage für die Partei
Die Grünen aus den Ländern, die in sechs Regierungen mitmischen, wollen mehr zu sagen bekommen und für Bodenhaftung statt luftiger Forderungen sorgen. Läuft es für die Reformer gut, könnte der Kieler Energie- und Umweltminister Robert Habeck künftig "Regierungssprecher" der Länder bei den Grünen werden. Für den Parteivorsitz tritt wieder Cem Özdemir an, der als Realo immer schon Kontakte zur Wirtschaft geknüpft hat, der aber nur bedingt als durchsetzungsstark gilt. An seine Seite dürfte die Saarländerin Simone Peter kommen, die als Co-Parteichefin gesetzt scheint. Sie ist zum Beispiel gegen eine schnelle Öffnung hin zu Schwarz-Grün als möglicher Koalition. Im Saarland war sie Teil der Jamaika-Koalition mit CDU und FDP, die kläglich scheiterte. Sie dürfte die Position Claudia Roths übernehmen, die stärker für die Seelenmassage der Parteileute als fürs Schmieden neuer Bündnisse in die Mitte der Gesellschaft hinein zuständig war.
Richtig spannend wird es in der Bundestagsfraktion, deren zwei Chefs bei den Bündnisgrünen mächtiger sind als die Parteivorsitzenden. Bisher unangefochten ist die Kandidatur des etwas schroffen wie fachlich versierten Bayern Anton Hofreiter. Der Blonde mit der Mähne wird vom linken Flügel gestützt und würde formal Trittins Platz einnehmen. In der Verkehrspolitik ist er versiert und argumentiert scharf, bei vielen anderen Themen schwamm er in den vergangenen Tagen bei Nachfragen noch sichtlich. Wollen die Grünen aber als kleinste Partei einer Mini-Opposition im Bundestag und einer großen Koalition durchdringen, brauchen sie auf dem Fraktionsvorsitz noch eine wirtschaftsaffine und präsente Frau. Es kämpfen die zweite Spitzenkandidatin zur Bundestagswahl, Katrin Göring - Eckardt, und die Vizefraktionsvorsitzende und Wirtschaftsexpertin, Kerstin Andreae.
Göring-Eckardt war zu Zeiten der Hartz-Reformen, die sie mit durchkämpfte, schon mal Fraktionschefin. Doch dieses Profil hat sie verloren. Sie wirkt weichgespült und wenig greifbar. Das könnte sich bei der Wahl in der Fraktion zu ihren Gunsten auswirken, weil auch die Linken unter den Grünen-Abgeordneten sie leichter wählen können als Andreae. Die macht sich für enge Kontakte zur Wirtschaft und die Einbeziehung von Unternehmern stark. Doch Andreae wäre wohl die bessere Wahl.
Sie hat klare Positionen, die Unternehmen als wichtige Partner anerkennt und sie genießt Anerkennung sowohl bei Wirtschaftsleuten als auch bei Vertretern der Zivilgesellschaft. Sie könnte wieder mehr Bodenhaftung bringen und die Grünen für mehr Koalitionen als nur mit den Roten öffnen. Bereits am Anfang kommender Woche dürfte eine Vorentscheidung zwischen beiden Frauen fallen. Endgültig wählen die Abgeordneten ihre Fraktionsspitze am 8. Oktober.