Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) rechnet mit Ernüchterung in der SPD über ihren Gang in die Opposition. „Der Katzenjammer kommt noch“, sagte Gabriel der Deutschen Presse-Agentur am Rande einer SPD-Veranstaltung im niedersächsischen Helmstedt. „In einem halben Jahr.“ In der aktuellen Lage der Partei hätte es aber niemand verstanden, wenn die SPD das Wahlergebnis als Aufforderung zum Weiterregieren mit der CDU/CSU interpretiert hätte.
SPD-Chef Martin Schulz hatte noch am Abend der Bundestagswahl den Gang in die Opposition angekündigt. Trotz der Wahlschlappe mit dem schlechtesten SPD-Ergebnis der Nachkriegszeit will der gescheiterte Kanzlerkandidat Parteivorsitzender bleiben - auch im Fall einer SPD-Niederlage bei der Landtagswahl in Niedersachsen am kommenden Sonntag. „Ich werde beim Parteitag im Dezember wieder für den Parteivorsitz kandidieren“, sagte Schulz der „Bild am Sonntag“.
Gegenkandidaten muss er bisher nicht fürchten. Die neue SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles hat bereits angekündigt, dass sie Schulz nicht herausfordern will. Auch Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig erklärte der dpa, sie wolle gerne Parteivize bleiben. Für Gabriel bleibt Schulz ebenfalls der richtige Mann an der Spitze. „Dieser Meinung bin ich in der Tat“, sagte Gabriel der dpa. Er habe alle Entscheidungen von Schulz nach der Wahl unterstützt.
Schulz übernahm „die Hauptverantwortung“ für den Absturz der SPD bei der Bundestagswahl auf 20,5 Prozent. Er wolle aber weitermachen, denn die Herausforderungen der Globalisierung und der Digitalisierung seien nur europäisch zu bestehen, und Europa sei sein Thema, sagte er der „Bild am Sonntag“. „Ich bin fest davon überzeugt, dass ich das Vertrauen in die SPD zurückgewinnen kann, wenn die Leute sagen: Das ist ein ehrlicher Mann. Der hat eine Idee für die Zukunft des Landes.“
Allerdings möchte ein gutes Drittel der Deutschen, dass Schulz als Parteichef abtritt. In einer YouGov-Umfrage im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur plädierten 36 Prozent für einen Rücktritt des erst im März einstimmig gewählten SPD-Vorsitzenden. Etwa 35 Prozent wollen ihn weiter im Amt sehen. Von den SPD-Wählern unterstützen 66 Prozent Schulz' beharren auf den Chefposten.
Der SPD-Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus, Raed Saleh, forderte wegen der SPD-Wahlniederlagen zwar einen „vollständigen personellen Neuanfang“ in der SPD-Zentrale, nahm Schulz aber aus.
„Die Spitze der SPD hat sich in den vergangenen Jahren ständig vergaloppiert“, schrieb Saleh im Berliner „Tagesspiegel“ (Sonntag). Die SPD habe zentrale Themen wie Sicherheit und „Angst vor Überfremdung“ nicht ernst genug genommen und sei in einer Existenzkrise. Schulz habe ein echtes Bedürfnis nach Neuem, Kantigem bedient, sei aber „in das Räderwerk der Funktionäre gekommen“.
Beifall für sein Festhalten am Posten des SPD-Chefs findet Schulz auch bei 53 Prozent der Linke-Wähler. Dagegen sind die Wähler von Union (53 Prozent) und AfD (61 Prozent) der YouGov-Umfrage zufolge mehrheitlich für seinen Rücktritt. Die Anhänger der FDP (46 Prozent für Rücktritt, 32 Prozent dagegen) und der Grünen (37 Prozent dafür, 38 Prozent dagegen) sind in dieser Frage eher gespalten.