Peer Steinbrück „Jetzt komme ich in Rage“

Peer Steinbrück ist zurück. In seinem neuen Buch verteilt er Seitenhiebe gegen Freund und Feind. Das kommt gut an bei der Vorstellung seines Werks in Berlin – auch wenn er mit dem Publikum manchmal hart ins Gericht geht.

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Peer Steinbrück: Seitenhiebe gegen Freund und Feind. Quelle: dpa

Berlin Er ist schlagfertig wie kaum jemand in der politischen Zunft. Scharfzüngige und witzige Formulierungen kommen Peer Steinbrück mühelos über die Lippen. Etwa, als der SPD-Mann über die „Heulsusen“ in der SPD herzog. Oder der Schweiz im Steuerstreit mit der siebten Kavallerie von Fort Yuma drohte.

Sprachforscher haben sogar einen unverwechselbaren „Steinbrück-Sound“ ausgemacht. Typisch sind kurze und prägnante Sätze, oft angereichert mit provozierenden Thesen und stimmigen Pointen. Sein neues Buch „Vertagte Zukunft“, das am Mittwoch erscheint und das er heute in Berlin erstmals der Öffentlichkeit vorstellt, ist gespickt davon.

Das Interesse am Politik-Aussteiger Steinbrück ist ungebrochen, auch wenn sein „Sound“ nicht viel Neues bietet. Der Drive, mit dem sich der 68-Jährige an der „selbstzufriedenen Republik“ abarbeitet, zieht immerhin 200 Zuhörer an. Ausverkauftes Haus. Nicht irgendein Haus, nicht irgendein schnöder Allerwelts-Veranstaltungsort. Steinbrück hat für seine Buchpremiere das Berliner Ensemble gewählt.

Das altehrwürdige Brecht-Theater passt gut zu Steinbrück. Seine Auftritte wirken ja oft auch wie wohl inszenierte Bühnen-Spektakel. Politdramen, die er mit kraftvollen Sprüchen befeuert – und auch wieder beendet, wenn ihm danach ist. So geschehen nach fast 90 Minuten Plauderei zwischen ihm und dem Ex-Tagesthemen-Mann Ulrich Wickert.

Steinbrück setzt zu einer heftigen Medienschelte an, beklagt einen Sumpf aus Beschimpfungen und Beleidigungen, in dem nicht mehr unterschieden werde zwischen wichtigen und unwichtigen Meldungen. „Jetzt komme ich in Rage“, sagt er dann und schiebt, unterbrochen von wohl amüsierten Reaktionen der Zuhörerschaft, aber gleich hinterher: „Jetzt mache ich lieber Schluss.“ Er sagt das mit dem für ihn typischen, selbstgefälligen Grinsen – so, als sei er sich gewiss, mit diesem Versuch einer Attacke ins Schwarze getroffen und das Publikum auf seiner Seite gezogen zu haben.

Dabei hatte Steinbrück zuvor auch deutliche Worte an die Zuhörer gerichtet. Er kritisierte, dass es sich die Bürger allzu oft zu einfach machten, wenn sie nur auf die Politik und die Parteien schimpften. „Manche werden es als Publikumsbeschimpfung verstehen“, sagt er dann. Aber bei allen gesellschaftlichen Fragen sei auch jeder einzelne Bürger gefordert, sich einzubringen. „Empörung allein reicht nicht. Empörung muss in Engagement überführt werden.“


„Es müssen die Fetzen fliegen über die Zukunft Europas“

Diese Forderung wiederholt Steinbrück an diesem Abend immer wieder. Er kombiniert sie mit Kritik an den Parteien, wo er offenbar die Ursache für die Neigung vieler Bürger sieht, sich im Hier und Jetzt zu entpolitisieren. Eine Hauptschuld trägt dafür aus seiner Sicht die Große Koalition, die die Bürger unterfordere, indem sie zu einer reinen „Verwaltungsgemeinschaft“ degeneriere.

Er findet den Zustand offenkundig so langweilig, dass er den Wunsch ausstößt: „Es müssen die Fetzen fliegen über die Zukunft Europas.“ Das Thema ist Steinbrück ein großes Anliegen, weil er überzeugt ist, dass es auf diesem Feld immer schwerer wird, mit nationalstaatlichen Forderungen durchzudringen. „Die Reichweite nationalstaatlicher Politik nimmt ab“, konstatiert er. Viele Themen ließen sich nur international oder auf europäischer Ebene lösen. Das führe zwangsläufig zu einem Souveränitätsverlust. Deshalb sei es umso wichtiger, dass die Politik erkläre, was auf die Bürger zukomme. Steinbrück spricht von einer „Bringschuld gegenüber der Wählerschaft“. Aber die Staatsbürger hätten auch eine „Holschuld“, sich an politischen Debatten zu beteiligen.

Dass dies nicht ganz so einfach ist, weiß Steinbrück nur zu gut. Bestes Beispiel für Politikversagen ist seine Partei selbst. In der Rückschau lässt er kein gutes Haar an der SPD, die im Bundestagswahlkampfjahr 2013, wie es beschreibt, „kein gesellschaftliches Bild auf der Höhe der Zeit“ gehabt habe. Die Herausforderung habe darin bestanden, die Bürger, die damals von der Politik nicht gestört und herausgefordert werden wollten, aufzurütteln und mit brennenden Themen zu überzeugen. Das sei komplett schief gegangen, weil die Strategie falsch gewesen sei.

Steinbrück macht als einen Grundfehler aus, dass seine Partei dem „Allmachtsanspruch“ verfallen sei, alle Menschen glücklich machen zu wollen. Der Ansatz „Wir machen alle glücklich – weltweit und zur gleichen Zeit“ habe nicht aufgehen können. An wenigen Stellen lässt er durchblicken, dass die Wahl 2013 auch durch sein Zutun krachend verloren ging. Er breitet das aber nicht aus. Sein Buch solle ja auch kein „larmoyanter Rückblick“ sein. Und Ulrich Wickert fragt auch nicht nach.

Wickert versucht zwar, den Finger in die Wunde zu legen, wenn er Steinbrück und seiner Partei „totalen Dilettantismus“ bei der Kanzlerkandidatenkür vorhält. Doch Steinbrück lässt diese Steilvorlage einfach liegen, indem er sie auf seine Weise mit einem schelmischen Grinsen im Gesicht abmoderiert und erklärt. „Das ist sozialdemokratische Strategie.“ Das sorgt für Gelächter im Publikum und lässt Wickert alt aussehen.


Von Ausrutscher zu Ausrutscher

Steinbrücks Sprachvirtuosität ist eben schwer beizukommen. Seine Haudrauf-Rhetorik gefiel vor allem, als er keine Spitzenfunktion mehr inne hatte und die Polit-Arena von außen kritisch beobachtete und bissig kommentierte – wie dies auch jetzt mit seinem Buch der Fall ist. In seiner Kanzlerkandidaten-Funktion redete er sich aber so manches Mal um Kopf und Kragen, was ihm schlechte Presse bescherte – selbst im Ausland. „In Deutschland stolpert Merkels Herausforderer von Ausrutscher zu Ausrutscher“, titelte damals die renommierte  „New York Times“.

Steinbrück hat sich vor allem dann in die Nesseln gesetzt, wenn die Öffentlichkeit den Eindruck hatte, er verliere völlig die Bodenhaftung. Auf wenig Verständnis stieß, dass er seinerzeit hohe Nebeneinnahmen aus Vorträgen einheimste und sich fast parallel zu der Feststellung verstieg, der Bundeskanzler in Deutschland verdiene zu wenig - gemessen an seiner Leistung und im Verhältnis zu anderen Tätigkeiten mit weniger Verantwortung und viel größerem Gehalt.

Natürlich kam das auch in der SPD nicht gut an. Und naturgemäß reagierte besonders der linke Parteiflügel gereizt, wenn sich jemand, dem es nun wirklich nicht schlecht geht, darüber auslässt, dass ihm eigentlich noch besser gehen könnte, wenn man ihm mehr zustehen würde.  „Peer Steinbrück darf sich nicht in Debatten locken lassen, die sich dafür eignen, Klischees zu reproduzieren“, rüffelte der SPD-Linke Ralf Stegner damals seinen Parteifreund. Als Kanzlerkandidat müsse sich Steinbrück vielmehr auf das politische Kerngeschäft konzentrieren.

Diese Zeit ist lange vorbei. Und trotzdem bleibt Steinbrück im Geschäft – und der Politik treu. Sein Kerngeschäft besteht nun darin, Zukunftsszenarien zu entwerfen. Kostproben liefert sein neues Buch. „Mein Ziel ist es, gemeinschaftliche zu bewältigende zu beschreiben und Lösungen vorzuschlagen, selbst wenn sie Anstoß erregen.“

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