Personalmanagement Wie Firmen die Rente mit 63 verhindern wollen

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Verluste überblicken

Denn das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat errechnet, dass durch die Neuregelung allein in diesem Jahr 240.000 Personen die Rente mit 63 in Anspruch nehmen könnten. Die Zahl setzt sich zusammen aus 150.000 Personen, die ohnehin in den Ruhestand gegangen wären, aber Abschläge in Kauf genommen hätten, die ihnen nun erspart bleiben. Hinzu kommen etwa 40.000 Selbstständige und 50.000 Arbeitnehmer, die sich durch das Gesetz nun tatsächlich früher vom Erwerbsleben verabschieden könnten. Wie viele dieses Angebot tatsächlich nutzen, zeigt sich erst am Jahresende. Bis jetzt sind bundesweit immerhin 85.000 dieser Rentenanträge bei den Versicherern eingegangen.

Um diesen zusätzlichen Verlust an Arbeitskräften zu überblicken, reichen zum Teil simple Instrumente: Personalstruktur analysieren und berechnen. In welchen Abteilungen werden Arbeiter und Angestellte wann in Rente gehen? Und wo kommt es dadurch zu Engpässen? Die Renteneintrittsregeln sind überschaubar: Mindestens 45 Beitragsjahre zur gesetzlichen Rentenversicherung müssen Beschäftigte belegen und nach Juni 1951, aber vor 1953 geboren sein. Dann kommen sie in den Genuss der abschlagsfreien Rente mit 63. Für Jüngere wird die Altersgrenze stufenweise wieder angehoben. Der Jahrgang 1964 geht dann nach 45 Jahren wieder mit 65 ohne Abschläge in Rente.

Darauf können Unternehmen rechtzeitig reagieren. Ausbildung und Nachfolgeplanung lauten die Stichworte, die in Konzernen wie der Allianz, BMW oder Audi die Personalentwickler beschäftigen, aber von den meisten Mittelständlern bisher vernachlässigt werden. Dabei ist es keine Frage der Größe, sich einen Überblick zu verschaffen. Fortschrittliche, international arbeitende Familienbetriebe wie das Elektrotechnikunternehmen Phoenix Contact im ostwestfälischen Blomberg, der Spezialist für Vakuumtechnologie J. Schmalz im Schwarzwald und Antriebstechniker EBM-Papst im Fränkischen, die schon wegen der abgelegenen, ländlichen Standorte mehr in Mitarbeitersuche und deren Bindung investieren, wissen genau, was auf sie zukommt. Bei EBM-Pabst könnten von fast 12.000 Beschäftigten in den nächsten zwei Jahren etwa 150 die Rente einreichen.

Genau das beschäftigt auch die Chefs der Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein (VHH). Hier rechnen die Personaler damit, dass von den gut 1600 Mitarbeitern bis 2019 acht Prozent in Rente gehen. Durch das Andrea-Nahles-Gesetz verkürzt sich der Planungszeitraum um zwei Jahre. „Der Druck steigt zwar“, sagt VHH-Vorstand Toralf Müller, „aber das wird für uns nicht dramatisch problematisch.“ Für 2014 liegt ihm noch kein einziger zusätzlicher Rentenantrag vor. Denn Müller und seine Mannschaft haben rechtzeitig gehandelt.

„Je genauer wir die Personen und ihre Berufe kennen, desto besser können wir überlegen, wie wir die Mitarbeiter halten“, sagt Müller. Der VHH-Demografietarifvertrag etwa sorgt mit Dienstplänen für Ältere und Gesundheitsbausteinen dafür, dass der Rücken, gemeinhin Schwachstelle aller Berufsfahrer, länger stabil bleibt. Den Zuschuss für Fitnesskurse und Sportvereine nehmen die Mitarbeiter gerne. Jeder zuverlässige und gesunde Fahrer, der in Rente geht, kann für 450 Euro im Monat dabeibleiben. 96 solcher Teilzeitrentner kurven derzeit durch den Osten und Westen Hamburgs bis nach Altona oder an die Alster.

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