Pharmadialog Krankenkassen warnen vor Kostenschock bei Arzneien

Unter den Krankenkassen geht die Angst um: Sie fürchten, dass sich die Bundesregierung von der Pharmaindustrie zu weiteren teuren Reformen überreden lässt. Das könnte den nächsten Kostenschock nach sich ziehen.

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Aus Sicht der Krankenkassen ist daher völlig klar, was im Arzneimittelneuordnungsgesetz 2.0. vor allem stehen muss. Quelle: dpa

Berlin Das Szenario ist düster. Auch ohne weitere kostentreibende Gesetze, drohen diese zum 1. Januar um 0,2 Prozentpunkte auf 1,1 Prozent im Durchschnitt angestiegenen Zusatzbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung schnell weiter zu steigen. Um jährlich 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte, rechnete am Mittwoch der Vorsitzende des Verbands der Ersatzkrankenkassen Christian Zahn vor. Käme es so, läge bereits 2020 der durchschnittliche Zusatzbeitrag bei zwei Prozent und der durchschnittliche Gesamtbeitragssatz bei 17,7 Prozent. Die teuersten Kassen – der derzeit geforderte Höchstbeitrag liegt schon bei 16,3 Prozent, dürften dann bereits fast so viel kosten wie die Mitgliedschaft in der Deutschen Rentenversicherung (18,7 Prozent). Eine Ursache ist die aktuelle Gesundheitspolitik der Bundesregierung. Allein ihre Reformen, so führte Zahn weiter aus, würden die Krankenkassen bis Ende 2020 mit zusätzlich 16 Milliarden Euro belasten.

Doch damit nicht genug. Es droht neues Ungemach und zwar bei den Arzneimittelausgaben: Nach den Sparreformen unter der schwarz-gelben Koalition im Arzneimittelbereich führt die Bundesregierung nämlich bereits seit einigen Monaten einen Dialog mit der Arzneimittelindustrie. Beteiligt sind Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und Forschungsministerin Johanna Wanka. Am Donnerstag dieser Woche kommt man erneut zusammen. Ziel dieses Pharmadialogs ist es den deutschen Pharmastandort zu stärken. Und weil das so ist, waren die Krankenkassen bisher auch nur bei einer einzigen Verhandlungsrunde mit am Tisch.

Genau deshalb geht unter den Krankenkassen daher zurzeit die Angst um, die Bundesregierung könnte sich in diesem Dialog zu weiteren kostspieligen Reformen überreden lassen, nur um der wichtigen Branche einen Gefallen zu tun. „Dies ist nicht die Zeit für neue Geschenke an die Pharmaindustrie“, warnte daher gestern die Vorstandschefin des Ersatzkassenverbands, Ulrike Elsner, zu dem Marktführer unter den Krankenkassen wie die Barmer GEK oder die Technikerkrankenkasse gehören. „Was wir brauchen sind ganz im Gegenteil neue Spargesetze. „Wir brauchen ein Arzneimittelneuordnungsgesetz 2.0.“

Mit dem ersten Arzneimittelneuordnungsgesetz, kurz AMNOG genannt, hatte die schwarz-gelbe Koalition erstmals auch für Deutschland eine Nutzenbewertung von Medikamenten eingeführt. Seit 2011 wird jedes neue zugelassene Mitte binnen eines Jahres darauf untersucht, ob es besser hilft als ältere Medikamente gegen die gleiche Krankheit. Hat es keinen Zusatznutzen, darf es nicht teurer angeboten werden, als vergleichbare ältere Medikamente. Gibt es einen Zusatznutzen, handeln Hersteller und Spitzenverband der Krankenkassen einen Preis aus. 600 Millionen Euro hat das die Krankenkassen seither gespart. Eigentlich hätten es aber zwei Milliarden Euro sein sollen.

Dieses Ziel aber wurde nicht erreicht, weil das Reformgesetz nachträglich verwässert wurde. Ursprünglich war geplant gewesen, schrittweise auch alle älteren noch unter Patentschutz liegenden Medikamente auf ihren Nutzen zu prüfen und gegebenenfalls ihre Erstattungspreise auf dem Verhandlungsweg zu senken. Dies unterblieb dann aber, weil die technische Abwicklung angeblich das für die Nutzenbewertung zuständige Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) und den Gemeinsamen Bundesausschuss von Ärzten und Krankenkassen überfordert hätte. Gleichwohl wurde 2014 der Zwangsrabatt, den die Hersteller patentgeschützter Mittel den Krankenkassen gewähren müssen, deutlich gesenkt. Die Folgen: Die Arzneimittelausgaben stiegen bereits 2014 sprunghaft um zehn Prozent auf 33,4 Milliarden Euro. Für dieses Jahr wird ein weiterer Anstieg auf dann 35 Milliarden Euro erwartet. Medikamente kosten die Beitragszahler damit heute wieder mehr als die gesamte ambulante ärztliche Versorgung.


Pharmaindustrie fordert weitere Lockerungen

Ein weiterer Grund dafür sei, so Elsner, dass die Hersteller die Instrumente des AMNOG gleich an mehreren Stellen ausgehebelt haben. So nutzten sie den Umstand, dass sie in den ersten 12 Monaten nach der Zulassung den Preis noch völlig frei festlegen können, dazu mit Mondpreisen in den Markt zu gehen. Ein Beispiel, das Schlagzeilen gemacht hat, ist das neue Hepatitis-C-Medikament Sovaldi. „Eine zwölfwöchige Therapie mit Sovaldi kostete vor den Preisverhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband mindestens 60.000 Euro. Das ist fast das doppelte Bruttojahreseinkommen einer Krankenschwester“ klagt Elsner. Das Magazin Euro hat einen anderen Vergleich gefunden: Sovaldi sei bezogen auf den Preis pro Gramm teurer als Gold. Der hohe Einstiegs-Preis führte dazu, dass Sovaldi und einige andere neue Hepatitis-C-Medikamente auch nach den Preisverhandlungen sehr teuer sind. Nur für diese Medikamente mussten die Krankenkassen 2015 geschätzt 1,4 Milliarden Euro ausgeben.

Gezielt wurde auch einer weitere Sonderregelung genutzt um das AMNOG auszuhebeln: Für Medikamente gegen seltene Erkrankungen, so genannte orphan drugs, müssen die Hersteller den Zusatznutzen im Vergleich zu älteren Medikamenten nicht belegen. Der Beweis gilt vielmehr als erbracht. Entsprechend hoch dürfen auch die Preise sein. Also haben die Unternehmen seit 2011 immer häufiger neue Medikamente als orphan drugs angemeldet bei der europäischen Zulassungsbehörde. Ein Beispiel ist das Präparat Glivec von Novartis. Die Zulassung wurde erst nur für seltene Formen der Leukämie beantragt. Inzwischen hat es Zulassungen für insgesamt sechs weitere seltene Krankheiten, ist also längst kein orphan drug mehr. Hatte die Industrie 2011, als das AMNOG in Kraft trat, nur zwei Medikamente als orphan drugs zur Zulassung angemeldet, so waren es im vergangenen Jahr 13. Jedes dritte neu zugelassene Medikament sei inzwischen ein orphan drug für das keine Nutzenprüfung nötig ist, so der Ersatzkassenverband.

Aus Sicht der Krankenkassen ist daher völlig klar, was im AMNOG 2.0. vor allem stehen muss. „Erstens fordern wir, Mondpreise in den ersten zwölf Monaten künftig dadurch zu verhindern, dass nach Nutzenbewertung und Preisverhandlungen der Hersteller die Differenz zwischen dem ausgehandelten Preis und dem vom Hersteller frei gesetzten Preis fürs erste Jahr den Kassen erstatten muss.“ Außerdem müssten orphan drugs in Zukunft genauso auf ihren Nutzen geprüft werden, wie alle anderen neuen Medikamente.

Das ist allerdings gerade nicht dass, was sich die Pharmaindustrie im Pharmadialog von der Bundesregierung erwartet. Sie fordert eher weitere Lockerungen beim AMNOG. So findet sie es ungerecht, dass neuen Medikamenten nur deshalb kein Zusatznutzen bescheinigt wird, weil der Hersteller das neue Mittel nur gegen Plazebo oder andere teure patentgeschützte Medikamente, statt die vom IQWIG definierte meist preiswertere Vergleichstherapie getestet hat. Sie will, dass die ausgehandelten Preise in Zukunft geheim bleiben, damit die Medikamente im Ausland leichter teurer als im Deutschland verkauft werden können. Mindestens wünschen sich die Hersteller von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, dafür zu sorgen, dass das seit 2010 geltende Preiserhöhungsverbot für die Branche endlich aufgehoben wird. „Das darf auf keinen Fall passieren“, warnt auch der neue Chef des Bundesverbands der Ortskrankenkassen (AOK), Martin Litsch. Sein Verband hat ausgerechnet, dass eine Aufhebung des Preismoratoriums die Arzneimittelausgaben binnen weniger Monate um drei Milliarden Euro steigen lassen würde. Allein dafür müssten die Versicherten mit einer Anhebung ihrer Zusatzbeiträge um 0,2 Prozentpunkte bluten.

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