Pharmaindustrie Optimierte Blüten

Wie der Pharmamittelständler Bionorica mit einem Schmerzmedikament aus Cannabis groß herauskommen will, zeigt der Besuch auf einer Hanfplantage in Wien.

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Hanf im Labor. Quelle: Bernhard Haselbeck für WirtschaftsWoche

Die geheimen Hanfgewächshäuser liegen einige Kilometer vom Stephansdom entfernt. Am Ziel weist kein Schild auf Bionorica hin – den deutschen Hersteller von Erkältungsmitteln wie Sinupret und Bronchipret, der in Österreichs Hauptstadt Wien Hanf anbauen lässt, um die Schmerzen deutscher Patienten zu lindern.

Bernd Lehner (Name von der Redaktion geändert) wirkt nervös, die Wangen des unauffälligen Mannes, den vom Eindruck her niemand mit Drogen in Verbindung bringen würde, sind gerötet. Lehner ist Versuchsleiter bei der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, kurz AGES. Die staatliche Stelle, die ansonsten etwa die Sicherheit von Lebensmitteln und Medikamenten überprüft oder Gutachten zur Gentechnik verfasst, baut seit zwei Jahren im Auftrag von Bionorica die Hanfpflanzen an. Denn in Deutschland ist das nach wie vor verboten.

Ausgerechnet Wien. „Ganz Wien ist heut auf Heroin“, sang einst Falco. Psycho-Guru Sigmund Freud hat hier im Selbstversuch Kokain geschnupft. Nun also eine versteckte Hanfplantage.

Medizin statt Kifferspaß

Noch nie zuvor durfte ein Journalist einen Blick in die staatlich kontrollierten Cannabisgewächshäuser werfen; jetzt scheint Lehner dabei unwohl zu sein. Eine Dreiviertelstunde lang haben er und zwei AGES-Kollegen dem WirtschaftsWoche-Reporter juristische Vorhaltungen gemacht und Bedingungen gestellt: keine Fotos, keine Tonaufnahmen, der genaue Ort darf nicht genannt werden, auch der Name des Versuchsleiters ist bitte zu ändern. Endlich schließt der Mann, der hier nun also Lehner heißen soll, die Eisentür auf, hinter der das Cannabis wächst.

Es riecht leicht süßlich, der fußballfeldgroße Trakt ist menschenleer. Nur vier Mitarbeiter haben hier Zugang. Lehner drückt eine Schiebetür beiseite: Dicht an dicht wachsen auf etwa 50 Quadratmetern etwa 1000 meterhohe Cannabispflanzen. Das dürfte für Zigtausend Joints reichen.

Cannabis als Medizin

Doch um Kifferspaß geht es hier nicht. Immer mehr Mediziner fordern, Cannabis etwa wegen seiner entzündungshemmenden Wirkung gegen bestimmte Formen von Schmerzen und multipler Sklerose stärker zu verschreiben.

„Wir erleben im klinischen Alltag immer wieder, dass es Schmerzpatienten gibt, die vom Einsatz von Cannabinoiden stark profitieren“, sagt etwa Michael Schäfer, Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft. Kranke berichten, dass Schmerzen und Übelkeit nachlassen und dass auch die psychischen Nebenwirkungen weniger heftig ausfallen als bei der Behandlung mit Morphinen und Opiaten. Im Kinofilm „Ziemlich beste Freunde“ lindern Joints die Schmerzen des vom Hals abwärts gelähmten Aristokraten Philippe.

Hanf gibt es erst, wenn nichts Anderes mehr hilft

Bionorica hat es auf Tetrahydrocannabinol, kurz THC, abgesehen, das in der Hanfblüte steckt. Das Familienunternehmen aus der Oberpfalz – Jahresumsatz 232 Millionen Euro, 1300 Mitarbeiter im In- und Ausland – produziert daraus ein Schmerzmedikament namens Dronabinol, das deutsche Apotheker dann noch aus einer THC-Flüssigkeit und einem Lösungsmittel zusammenmixen müssen. Ein Rezept gibt es nur, wenn der Patient ansonsten bereits austherapiert ist. Die Kassen zahlen in der Regel keinen Cent; die Kranken müssen die 600 bis 700 Euro pro Monat selbst tragen.

Versuchsleiter Lehner, inzwischen etwas ruhiger geworden, führt weiter herum. Viele Gewächshäuser stehen leer – doch wahrscheinlich nicht mehr lange. Bionorica-Eigentümer und -Chef Michael Popp hat dafür Verwendung. Der habilitierte Pharmazeut macht es sich seit zwei Jahrzehnten zur Aufgabe, aus den Schätzen der Natur, zu denen eben auch Cannabispflanzen zählen, moderne Medikamente zu machen.

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