Piraten-Programmatik Wofür die Piraten in der Wirtschaftspolitik stehen

Die Piratenpartei feiert immer neue Erfolge, dabei ist ihre Programmatik teils diffus und vielen nicht bekannt. Welche Wirtschaftspolitik wollen die Eroberer? Ein Überblick.

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Piraten-Parteitag in Dortmund Quelle: REUTERS

Die Piraten sind eine Partei im Werden – und so sieht auch die Programmatik aus: Unfertig und flüssig, ziemlich widersprüchlich und nicht selten fragwürdig. Zu vielem noch gar keine Meinung zu haben und erst recht noch keine politische Forderung, das gehört zur Grundausstattung der Freibeuter. Das macht sich vor allem in der Wirtschaftspolitik schmerzlich bemerkbar. Die Vorstellungen changieren hier zwischen extrem links und irgendwie liberal, verharren aber meist auf Rumpfniveau. Doch der Umfrageerfolg erhöht nicht nur die Aufmerksamkeit, sondern auch die Anfragen zu Themen, die bislang nicht zur Piraten-Agenda gehörten. Die Standpunkte zu Datenschutz, Transparenz und dem Recht aufs freie Netz sind bekannt.

Aber was sagen die Piraten denn nun eigentlich zu(r)...

...Euro-Krise?

Wenig, sehr wenig. Das bestimmende Polit-Thema seit Mai 2010 lassen die Piraten ungerührt links liegen, auch in den Partei- und Wahlprogrammen steht dazu keine Zeile. Auf die Währungs- und Schuldenkrise Europas hat die Partei bislang keine Antwort. Zur Staatsverschuldung immerhin gibt es erste Vorschläge aus dem Norden. In Schleswig-Holstein soll zusätzlich zur Schuldenbremse ein Schuldenstopp in die Landesverfassung – mit dem Ziel, alle Verbindlichkeiten bis 2050 abzutragen.

...Energiepolitik?

Die Piraten setzen vor allem auf erneuerbare Energiequellen und eine dezentrale Versorgung. So sollen die Bürger eingebunden und Monopole bei Erzeugern verhindert werden. Hier besteht große Übereinstimmung mit den Grünen. Im NRW-Grundsatzprogramm nennen die Piraten ein Ziel, das kaum ambitionierter ist als das der Bundesregierung: Bis 2040 soll die Hälfte des deutschen Energiebedarfs aus regenerativen Quellen stammen. Schwarz-Gelb will bis dahin 45 Prozent schaffen.

Die Werkzeuge der Piraten
PiratenpadEs ist der kollektive Notizblock der Piratenpartei: Im Piratenpad können gemeinsam Protokolle geschrieben oder Pressemitteilungen entworfen werden. Der Vorteil: In Echtzeit können mehrere Personen ein Dokument online bearbeiten, es wird farblich hervorgehoben, wer was geändert hat – das lässt sich damit unterscheiden. Technische Grundlage ist die inzwischen zu Google gehörende Software EtherPad, die auch Unternehmen nutzen können.
MumbleEines der wichtigsten internen Kommunikationswerkzeuge ist Mumble – eine Mischung aus Chat und Telefonkonferenz. Sogar viele Vorstandssitzungen werden hier abgehalten. Gegenüber klassischen Telefonkonferenzen gibt es mehrere Vorteile: Das Programm lässt sich leicht auf dem Computer installieren und über den Chat kann parallel kommuniziert werden – so können beispielsweise Links verschickt werden. Wenn jemand spricht wird das Mundsymbol neben dem Nutzernamen rot, dadurch kann man die Stimmen besser auseinanderhalten, als bei normalen Telefonkonferenzen. Ähnliche Funktionen bieten auch Skype oder TeamSpeak, dass vor allem von Online-Computerspielern zur Verständigung genutzt wird. Eine Institution bei den Piraten ist vor allem der „Dicke Engel“ (inzwischen umbenannt in ErzEngel). Jeden zweiten Donnerstag um 19:30 Uhr versammeln sich zahlreiche Piraten in diesem Mumble-Raum und diskutieren teils mit Gästen aktuelle Themen.
Liquid FeedbackEin zentrales Element ist das Computerprogramm Liquid Feedback (LQFB), eine Art Abstimmungstool, mit dem ermittelt werden soll, wie die Mehrheit der Partei zu bestimmten Positionen steht. Die Besonderheit: Das Programm gibt den Parteimitgliedern die Möglichkeit, ihre Stimme an eine andere Person zu delegieren, der sie mehr Kompetenz in bestimmten Fragen zutrauen. Allerdings ist Liquid Feedback so revolutionär wie umstritten. Während vor allem der Berliner Landesverband LQFB intensiv nutzte, waren andere Teile der Partei und auch der Bundesvorsitzende Sebastian Nerz lange skeptisch. Wie intensiv das Programm genutzt wird und welche Bedeutung den Entscheidungen zukommt ist daher noch in der Diskussion.
Wikis  Wikis sind der Klassiker, die meisten Webseiten nutzen eine Wiki-Software. Sie lassen sich leicht erstellen, erweitern und vor allem auch von vielen Beteiligten bearbeiten. Das Piratenwiki ist damit die zentrale Informations- und Koordinationsplattform.   Auch manche Unternehmen setzen inzwischen Wikis ein – vor allem für die interne Kommunikation. Das bekannteste Projekt ist Wikipedia.
Blogs  Auch Weblogs werden intensiv genutzt. Viele Piraten betreiben eigene Blogs, auf denen sie Debatten anstoßen oder bestimmte Dinge kommentieren. Auch die Piratenfraktion Berlin hat nach dem ersten Einzug in ein Landesparlament ein Blog gestartet, um über ihre Arbeit zu informieren.
Twitter  Der Kurznachrichtendienst ist der vielleicht beliebteste Kanal der öffentlichen Auseinandersetzung, kaum ein Tag vergeht an dem nicht irgendeine Äußerung oder ein echter oder vermeintlicher Fehltritt zum #Irgendwasgate und #epicfail ausgerufen werden. 
Diaspora  Auch andere soziale Netzwerke werden natürlich intensiv genutzt. Jedoch ist Facebook beispielsweise bei manchem Piraten schon wieder out. Julia Schramm beispielsweise, Herausforderin von Sebastian Nerz um den Parteivorsitz, hat sich wieder abgemeldet: „Es ist wie ein widerlicher Kaugummi.“ Stattdessen nutzt sie das alternative Netzwerk Diaspora.

...Wirtschaftspolitik?

Zwang ist den Polit-Newcomern meistens zuwider. Das gilt für die Beachtung des Urheberschutzes genauso wie für das Kammersystem. In ihrem Grundsatzprogramm fordern die Piraten, die Zwangsmitgliedschaft in der Industrie- und Handelskammer (IHK) sowie der Landwirtschafts- oder Handwerkskammer abzuschaffen. Ausnahmen sind dennoch möglich: „Rechtsanwalts-, Notar- und Ärztekammern sind von diesem Ziel nicht erfasst.“ Grundsätzliche Bekenntnisse zur Ordnungspolitik sucht man vergebens.

...Steuer- und Finanzpolitik?

Das Bundespapier kommt vollkommen ohne ein Kapitel dazu aus. Versteckt unter Familienpolitik, dann aber doch ein griffiger Vorschlag: Das Ehegattensplitting soll abgeschafft werden – viele Ökonomen halten es ohnehin für eine schädliche Subvention. „Die Piratenpartei versteht sich weder als Steuersenkungs- noch als Steuererhöhungspartei“, steht vage im Programm für die Schleswig-Holstein-Wahl. Dafür ein Bekenntnis zur Konsolidierung: „Wohltaten auf Pump lehnen wir ab.“

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