Piratenpartei Die fünf Probleme der Piraten

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Das Problem der Beteiligung

Die Werkzeuge der Piraten
PiratenpadEs ist der kollektive Notizblock der Piratenpartei: Im Piratenpad können gemeinsam Protokolle geschrieben oder Pressemitteilungen entworfen werden. Der Vorteil: In Echtzeit können mehrere Personen ein Dokument online bearbeiten, es wird farblich hervorgehoben, wer was geändert hat – das lässt sich damit unterscheiden. Technische Grundlage ist die inzwischen zu Google gehörende Software EtherPad, die auch Unternehmen nutzen können.
MumbleEines der wichtigsten internen Kommunikationswerkzeuge ist Mumble – eine Mischung aus Chat und Telefonkonferenz. Sogar viele Vorstandssitzungen werden hier abgehalten. Gegenüber klassischen Telefonkonferenzen gibt es mehrere Vorteile: Das Programm lässt sich leicht auf dem Computer installieren und über den Chat kann parallel kommuniziert werden – so können beispielsweise Links verschickt werden. Wenn jemand spricht wird das Mundsymbol neben dem Nutzernamen rot, dadurch kann man die Stimmen besser auseinanderhalten, als bei normalen Telefonkonferenzen. Ähnliche Funktionen bieten auch Skype oder TeamSpeak, dass vor allem von Online-Computerspielern zur Verständigung genutzt wird. Eine Institution bei den Piraten ist vor allem der „Dicke Engel“ (inzwischen umbenannt in ErzEngel). Jeden zweiten Donnerstag um 19:30 Uhr versammeln sich zahlreiche Piraten in diesem Mumble-Raum und diskutieren teils mit Gästen aktuelle Themen.
Liquid FeedbackEin zentrales Element ist das Computerprogramm Liquid Feedback (LQFB), eine Art Abstimmungstool, mit dem ermittelt werden soll, wie die Mehrheit der Partei zu bestimmten Positionen steht. Die Besonderheit: Das Programm gibt den Parteimitgliedern die Möglichkeit, ihre Stimme an eine andere Person zu delegieren, der sie mehr Kompetenz in bestimmten Fragen zutrauen. Allerdings ist Liquid Feedback so revolutionär wie umstritten. Während vor allem der Berliner Landesverband LQFB intensiv nutzte, waren andere Teile der Partei und auch der Bundesvorsitzende Sebastian Nerz lange skeptisch. Wie intensiv das Programm genutzt wird und welche Bedeutung den Entscheidungen zukommt ist daher noch in der Diskussion.
Wikis  Wikis sind der Klassiker, die meisten Webseiten nutzen eine Wiki-Software. Sie lassen sich leicht erstellen, erweitern und vor allem auch von vielen Beteiligten bearbeiten. Das Piratenwiki ist damit die zentrale Informations- und Koordinationsplattform.   Auch manche Unternehmen setzen inzwischen Wikis ein – vor allem für die interne Kommunikation. Das bekannteste Projekt ist Wikipedia.
Blogs  Auch Weblogs werden intensiv genutzt. Viele Piraten betreiben eigene Blogs, auf denen sie Debatten anstoßen oder bestimmte Dinge kommentieren. Auch die Piratenfraktion Berlin hat nach dem ersten Einzug in ein Landesparlament ein Blog gestartet, um über ihre Arbeit zu informieren.
Twitter  Der Kurznachrichtendienst ist der vielleicht beliebteste Kanal der öffentlichen Auseinandersetzung, kaum ein Tag vergeht an dem nicht irgendeine Äußerung oder ein echter oder vermeintlicher Fehltritt zum #Irgendwasgate und #epicfail ausgerufen werden. 
Diaspora  Auch andere soziale Netzwerke werden natürlich intensiv genutzt. Jedoch ist Facebook beispielsweise bei manchem Piraten schon wieder out. Julia Schramm beispielsweise, Herausforderin von Sebastian Nerz um den Parteivorsitz, hat sich wieder abgemeldet: „Es ist wie ein widerlicher Kaugummi.“ Stattdessen nutzt sie das alternative Netzwerk Diaspora.

 

Der plötzliche Erfolg ist auch für den jähen Absturz mit verantwortlich, denn dadurch ist es für die Piratenpartei immer schwieriger, den Wunsch nach totaler Basisdemokratie in der Praxis umzusetzen. Das zeigt sich vor allem bei den Parteitagen, auf denen zwar jeder mitreden kann, der Großteil der Anträge aber allein aus Zeitmangel unter den Tisch fällt.    

"Jedes beschissene Delegiertensystem der anderen Parteien ist basisdemokratischer als wir", schimpfte daher der Fraktionschef im Saarland, Michael Hilberer, beim Parteitag in Neumarkt. Auch andere Spitzenpolitiker warben dort massiv für die Einführung einer Ständigen Mitgliederversammlung (SMV), also eine Art permanenten Online-Parteitag.

Liquid Democracy ist eine Illusion

Eigentlich gibt es dafür bereits Liquid Feedback, die Abstimmungssoftware mit der die Piraten so gern für sich werben. Doch kaum ein Thema zeigt so sehr, wie bei den Piraten Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen. In der Außenwahrnehmung existiert das Bild der Nerdpartei, die permanent bei Twitter & Co. diskutiert und entscheidet. Doch im Parteialltag ist die gern beschworene Liquid Democracy nur eine schöne Illusion, das zugehörige Programm nutzt nur ein Bruchteil und die Abstimmungen sind zudem nicht bindend.

Das sollte durch die SMV geändert werden, doch der Antrag verfehlte um 23 Stimmen die nötige Zweidrittelmehrheit. In ihrem Ärger darüber merkten viele Piraten gar nicht, dass mit dem Basisentscheid stattdessen etwas Ähnliches beschlossen wurde. "Wir haben jetzt als erste Partei in Deutschland die Möglichkeit, Beschlüsse außerhalb des Parteitags in einem Online-Verfahren zu treffen", jubelt Parteichef Bernd Schlömer. Die Pressemitteilung zu der vermeintlichen Online-Revolution verschickte die Partei allerdings erst vier Tage nach dem Beschluss.

Online-Revolution oder Demokratie-Alchemie?

Das liegt daran, dass die Piraten selbst noch nicht wissen, was sie da eigentlich gewählt haben. Im Prinzip ist es wie der Mitgliederentscheid anderer Parteien, mit dem wichtigen Unterschied, dass auch online über Änderungen des Parteiprogramms abgestimmt werden kann. Allerdings auch klassisch an der Urne oder per Briefwahl – und in einer Mischform. Wie das bei den diskutierfreudigen Piraten praktisch funktionieren soll bereitet vielen Kopfzerbrechen. "Ehrlich gesagt habe ich bislang nicht verstanden, wie dieser Online-Entscheid funktionieren soll", sagt der Berliner Christopher Lauer, eigentlich einer der vehementesten SMV-Befürworter.

"Demokratie-Alchemie" nennt der für Liquid-Feedback zuständige Vorstand, Klaus Peukert, das beschlossene Verfahren. Die Partei habe versucht, einen Stein der Weisen zu bauen. "Ich fürchte, dass der Offlinemodus bundesweit nicht koordiniert werden kann", sagt Peukert. "Allein die möglichen Urnenwahlen werden bundesweit hunderte Helfer benötigen." Er schätzt daher, dass das Instrument nur ein bis zwei Mal jährlich genutzt werden kann. Grundsatzfragen lässt der Vorstand derzeit von Justiziaren prüfen, eine Klausurtagung Ende Juni soll mehr Klarheit bringen.

Kritiker kürzen den Basisentscheid schon spöttisch mit BSE ab, wann der erste Online-Parteitag stattfinden kann steht in den Sternen. Eine Umsetzung mit Liquid Feedback ist wohl nicht möglich, wahrscheinlich muss eine komplett neue Software geschrieben werden. Schon für die reinen Online-SMV-Modelle hatte Peukert ein- bis anderthalb Jahre kalkuliert, für das jetzige Modell wagt er keine Prognose.

Derzeit sucht die Partei zwei Projektleiter für das Vorhaben. Kein leichten Job: Immerhin hat auch einer der Parteijustiziare in einer Stellungnahme für den Vorstand massive Bedenken angemeldet und festgestellt: "So wie wir es jedenfalls beschlossen haben geht es nicht".  

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