Piratenpartei Piraten versinken im Finanzchaos

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Eine Pappkiste mit Belegen

Piraten auf Erfolgskurs
Wie ihr skandinavisches Vorbild ziehen auch die deutschen Piraten inzwischen von Wahlerfolg zu Wahlerfolg. Die Gründung der schwedischen Piratpartiet Anfang 2006 galt als Startschuss einer globalen Bewegung. Die „Ur-Piraten“ protestierten gegen die Kriminalisierung von Personen, die sich über die schwedische Internet-Tauschbörse „The Pirate Bay“ Musik und Filme herunterluden. Die Partei fordert eine radikale Reform des Urheberrechts und mehr Informationsfreiheit im Internet. Quelle: dpa
10. September 2006In Berlin wird die Piratenpartei Deutschland gegründet. Quelle: dpa
Januar 2008Die Veröffentlichung von der Partei zugespielten Unterlagen aus Bayerns Justizministerium macht die Piraten bekannt. Aus den Dokumenten geht hervor, dass bayerische Behörden mit einer besonderen Software unrechtmäßig Internet-Telefonate überwachten. Quelle: dapd
Januar 2009Pläne der Bundesregierung für ein Gesetz zur Sperrung kinderpornografischer Internetseiten werden bekannt. Die Piraten und Bürgerinitiativen warnen vor Zensur im Internet. Quelle: dpa
Trotz einer Online-Petition mit mehr als 130.000 Unterzeichnern wird das Gesetz verabschiedet. Die Proteste bringen der Partei neue Mitglieder: Nach 1500 Anfang Juni sind es Ende 2009 mehr als 11.000. Quelle: dapd
27. September 2009Bei der Bundestagswahl erreicht die Partei mit 2,0 Prozent ihr bis dahin bestes Ergebnis. Es folgen weitere Achtungserfolge in den Ländern. Quelle: dpa
18. September 2011Bei der Wahl in Berlin ziehen die Piraten mit 8,9 Prozent in das erste Landesparlament ein. Nach Parteiangaben sitzen zu diesem Zeitpunkt in acht Bundesländern 153 „Kommunalpiraten“ in Kreistagen, Stadt- und Gemeinderäten sowie Bezirkversammlungen: 59 in Niedersachsen, 51 in Berlin, 31 in Hessen, 5 in Bremen, 3 in Hamburg, 2 in Nordrhein-Westfalen und je 1 in Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen. Quelle: dpa

Dass sich diese chaotische Zettelwirtschaft durch die gesamte Partei zieht, weiß kaum jemand besser als Parteichef und Ex-Schatzmeister Schlömer. Bei seiner ersten Wahl wurde ihm eine Pappkiste mit Belegen übergeben. „Ich sehe immer noch diesen Karton vor mir, der mal irgendwo unbeobachtet herumstand, aber oftmals liebevoll von Bernd durch die Gegend getragen wurde“, erinnert sich die aktuelle Schatzmeisterin Swanhild Goetze.

Doch die Liebe zur Laxheit wird nun zum ernsten Problem. So konnte selbst auf dem jüngsten Bundesparteitag im April kein abstimmungsfähiger Rechenschaftsbericht für 2011 vorgelegt werden. Schuld hatte Schlömer selbst: Er habe „einen Datencrash hingelegt“, erklärte er lapidar. Prompt verweigerten die Anwesenden die Entlastung. Konsequenzen hatte das nicht.

Um Zeit für die nötige Aufarbeitung zu gewinnen, werden die Piraten bei Bundestagspräsident Norbert Lammert um Aufschub bitten müssen. Eigentlich verlangt das Gesetz, dass alle Parteien ihren vollständigen Rechenschaftsbericht für 2011 bis zum 30. September bei der Bundestagsverwaltung abgeben – sonst gibt es nichts aus der staatlichen Parteienfinanzierung. Der Termin ist jedoch nicht zu halten. „Wir werden einen Antrag auf Verlängerung bis zum 31. Dezember 2012 stellen“, sagt Schatzmeisterin Goetze.

Die Piratenpartei feiert immer neue Erfolge, dabei ist ihre Programmatik teils diffus und vielen nicht bekannt. Ein Überblick über die wirtschaftspolitischen Forderungen.
von Max Haerder, Cornelia Schmergal, Cordula Tutt

Umstrittene Investition

In solchen Lieferungen auf den letzten Drücker ist die Partei geübt: Die Rechenschaftsberichte 2009 und 2010 übergab Schlömer erst am 29. und 30. Dezember. Persönlich, damit die Deadline nicht noch von der Post gefährdet würde.

„Wir sind so stark gewachsen, dass unsere alte Buchhaltung mit Tabellenkalkulation einfach nicht mehr machbar ist“, sagt der Schatzmeister der hessischen Piraten, Lothar Krauß. Statt in Dutzenden separaten Excel-Tabellen sollen Einnahmen und Ausgaben in Zukunft mit einer professionellen Software erfasst werden. 54 686,26 Euro kostete die Piraten das Programm namens Sage. Es ist die höchste Einzelinvestition in der Geschichte der Partei – und entsprechend umstritten.

Viele Mitglieder fragen, warum man denn nicht selbst eine Lösung programmierte? Andere schimpfen, dass Sage teils über Server des verhassten Softwareriesen Microsoft läuft. Das Programm sei zu komplex, warnt wiederum der Schatzmeister in Unterfranken, Albert Barth. „Wir haben nicht die Leute, diese Lösung zu bedienen“, warnt der Steuerberater.

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Kündigung wegen Sage

Seither nimmt das Verhängnis seinen Lauf: Statt die Probleme zu lösen, schafft Sage neue. Eigentlich sollte die Software im Januar einsatzbereit sein, doch viele Landesverbände konnten erst vor Kurzem loslegen. „Wir haben immer noch Schwierigkeiten“, räumt René Brosig ein, der bis zum Frühjahr Bundesschatzmeister war. Der bayrische Kollege Dominique Schramm hat wegen der Probleme sogar seinen Posten hingeworfen. Er erklärte zum Abschied: „Ich habe Angst, dass mir der ganze Landesverband um die Ohren fliegt.“

Und im nächsten Jahr droht neues Ungemach. Denn durch die Softwareprobleme staut sich auch die laufende Buchhaltung auf. „Es gibt einen Rückstand von vier bis fünf Monaten“, sagt Brosig.

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