Drogendealer müsste man sein. Ibu handelt seit mehr als zehn Jahren mit Cannabis – „das Beste vom Besten“, sagt der 26-Jährige. In einem Café in Berlin-Wedding öffnet der Deutsch-Türke seine schwarze Lederjacke mit Dutzenden Plastiktütchen, jedes gefüllt mit zwei Gramm getrocknetem Marihuana-Gras. Ibu schaut nervös nach links an die Nachbartische, greift zur Cola. „Ich verkaufe am Tag im Schnitt so 100 Gramm“, sagt Ibu. Sein „Revier“ gehe von Moabit bis Wedding. „Das Geschäft läuft gut.“ Der Tagesumsatz liege „bei rund 1000 Euro“. Nach Abzug der Beschaffungskosten blieben ihm „unterm Strich 450 Euro“ – pro Tag, steuerfrei, versteht sich.
Als Ibu merkt, dass er im Gespräch mit der WirtschaftsWoche nichts zu befürchten hat, redet er noch offener. Sein Dealerkollege Balou sitzt ihm gegenüber und kriegt kaum ein Wort raus. Ibu ist hier der Chef. Dann holt er ein Geldbündel mit mehreren Hundertern heraus. „Dealen macht mir Spaß.“ Seine Kunden: „Leute wie du“, sagt Ibu – und lacht. „Ernsthaft. Alle möglichen Leute. Bei mir kaufen Journalisten, Ärzte, Lehrer, Arbeiter, Arbeitslose und Studenten – ganz normale Typen halt.“
Die Nachfrage nach Hanf ist stabil
Wie sich der Marktpreis von Marihuana zusammensetzt
Verkaufspreis: 10,00 Euro
Dealerzuschlag. 4,50 Euro
Herstellerzuschlag: 4,50 Euro
Produktion: 1,00 Euro
Quelle: eigene Recherchen (grobe Schätzung), die Grünen
Verkaufspreis: 8,87 Euro
Cannabissteuer: 4,00 Euro
Einzelhandelszuschlag: 1,95 Euro
Großhandelszuschlag. 0,50 Euro
Produktion: 1,00 Euro
Quelle: die Grünen
Ibu und Balou sind zwei von Hunderten Dealern in der Hauptstadt, die sich mit dem illegalen Verkauf von Cannabis eine goldene Nase verdienen. Der Schwarzmarkt boomt. Denn die Nachfrage ist stabil, obwohl Joints verboten sind. Auch der Nachschub kommt, obwohl die Polizei ihn unterdrücken will. Mehr als zwei Millionen Deutsche kiffen regelmäßig. Und Prominente entdecken das Geschäft: Der deutsche Silicon-Valley-Investor Peter Thiel investierte Anfang des Jahres in eine auf Cannabis-Geschäfte spezialisierte Private-Equity-Firma, vergangene Woche gab Platten-Millionär Snoop Dog bekannt, eine Cannabis-Handels-App zu finanzieren. Mit anderen Worten: Die rigorose Drogenpolitik löst sich in Sachen Hanf in einem Rauchwölkchen auf.
„Es ist schwierig, Argumente zu finden, die gegen die Liberalisierung von Cannabis sprechen“, sagt Justus Haucap. Der Wirtschaftswissenschaftler von der Universität Düsseldorf ist einer von vielen Ökonomen, die eine andere Drogenpolitik fordern. „Die Vorstellung, dass man durch Prohibition und Kriminalisierung die Leute vor sich selbst und anderen schützen kann, ist ziemlich naiv“, so Haucap. Wenn der Staat die Produktion, den Handel und den Konsum klug reguliere, profitiere die Gesellschaft. Zu den Unterstützern einer Freigabe gehören auch Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft („ökonomisch spricht mehr für eine Legalisierung“), Lars Feld vom Walter Eucken Institut („längst überfällig“) und Wirtschaftsethiker Ingo Pies („illegale Drogen entkriminalisieren“).
Sieben Argumente für einen neuen, souveränen Umgang mit Cannabis:
1. Mafia bekommt legale Konkurrenz
Was würde mit Ibu passieren, wenn der Staat den Hanf freigäbe? „Das wäre mir egal“, sagt Ibu. „Der Schrott-Staat würde nie gute Qualität produzieren.“ Ein Gramm Gras kostet bei Ibu zehn Euro. „Ich bin für meine Kunden immer erreichbar.“ So viel Service wünscht man sich von legalen Dienstleistern.
Wie Cannabis konsumiert wird
Tetrahydrocannabinol (THC). Je höher der THC-Gehalt, desto heftiger die Wirkung.
Getrocknete Blütenstände und Blätter. Wird als Joint oder in der Pfeife geraucht, meist zusammen mit Tabak.
THC-Gehalt: 14/20
Verbreitung: hoch
Harz der Blütenstände, meist zu Platten („Pieces“) gepresst. Wird als Joint und in der Pfeife geraucht oder vermischt mit Lebensmitteln: etwa verbacken als Keks.
THC-Gehalt: 10/30
Verbreitung: mittel
Dickflüssiges Extrakt aus Cannabisharz. Wird geraucht als Joint und in der Pfeife oder vermischt mit Lebensmitteln.
THC-Gehalt: 20/50
Verbreitung: niedrig
Quelle: eigene Recherche, LKA Düsseldorf
Doch ist das illegale Geschäftsmodell wirklich nicht zu toppen? Ökonomen sind da zuversichtlich. Die Großhandelspreise, die etwa Ibus marokkanischer Lieferant aus Holland aufruft, dürften „dramatisch fallen“, heißt es in einer Studie der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, USA. Die Nettoverkaufspreise, also ohne Steuern, lägen um 80 bis 90 Prozent unter den aktuellen Schwarzmarktpreisen. Experten wie der Buchautor Rainer Schmidt rechnen konservativer: Der Nettopreis werde sich bei etwa 3,45 Euro einpendeln – 60 bis 70 Prozent unterhalb des aktuellen Schwarzmarktpreises. Je nach Höhe der Cannabissteuer wetteifert der Schwarzmarkt dann mit einem legalen Markt. Ganz austrocknen wird der illegale Sumpf dadurch zwar nicht. Im US-Bundesstaat Colorado, das den Hanfkonsum 2014 freigegeben hat, liegt der Preis für eine Unze illegales Marihuana (entspricht 28 Gramm) bei rund 243 Dollar – und damit ein Viertel unter dem legalen Marktpreis.
Legale Möglichkeiten haben auch illegale Downloads verdrängt
Aber: Die meisten Kunden dürften zum teureren Angebot greifen, weil sie von Ärger mit der Staatsanwaltschaft verschont bleiben. Die Erfahrungen mit Musikdownloads haben gezeigt: Sobald legale Möglichkeiten bestehen, geht der illegale Konsum drastisch zurück. Zudem kann der Staat den Verkaufspreis des legalen Cannabis über die Höhe der Steuer flexibel gestalten und konkurrenzfähig halten. Klar ist: Eine Freigabe ginge nicht spurlos an der Mafia vorbei. In Mexiko brechen den Drogenkartellen die Einnahmen weg, seitdem neben Colorado auch die US-Bundesstaaten Washington, Oregon und Alaska das Kiffen erlauben. Laut US-Grenzpolizei ging der Handel mit Marihuana im Jahr 2014 im Vergleich zu 2011 um 24 Prozent zurück.
2. Polizei spart Zeit für Wichtigeres
Mehrere Dutzend Mal schwärmte die Berliner Polizei im Januar und Februar aus. Ziel: Drogendealer im Görlitzer Park in Kreuzberg, dem Schwarzmarkt-Hotspot der Hauptstadt. Rund 1600 Personen wurden kontrolliert, mehr als 650 Strafanzeigen aufgesetzt, die Mehrzahl davon Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz. Aufwand: 14.000 „Einsatzkräftestunden“. Geschätzte Kosten: eine halbe Million Euro. Für eine finanziell ramponierte Stadt ein echtes Vermögen. Wenn die Razzien doch wenigstens Wirkung auf den Drogenmarkt zeigen würden.
Cannabis-Gesetze weltweit
Uruguay hat seit 2013 weltweit die liberalsten Gesetze. Verkauf von Cannabis mit THC-Gehalt bis zu 15 Prozent ist legal. Die Umsetzung dauert noch bis Ende 2015. Statt selbst anzubauen, erteilt der Staat Produktionslizenzen an Unternehmen. Verkauf über Apotheken – und zwar billig: ein Dollar pro Gramm. Nur an Einheimische. Behörde kontrolliert. Käufer werden registriert.
Mindestalter: 18
Besitz: Unbegrenzt
Verkauf: Club, Apotheke, Eigenanbau
Der US-Bundesstaat erlaubt den privaten Besitz und Konsum von Cannabis. Verkauft wird Hanf in Fachgeschäften. Das Geschäft lockt Touristen in Scharen. Auch der kommerzielle Anbau ist erlaubt. Joints in der Öffentlichkeit sind tabu. Ähnliche Regelungen gibt es in Alaska, Washington, Oregon. Die Hauptstadt Washington DC erlaubt den Besitz, verbietet aber den Verkauf.
Mindestalter: 21
Besitz: 28 Gramm
Verkauf: Hanfshops
Die Niederlande sind Europas Kifferparadies. Doch der Konsum von Joints ist nur in Coffeeshops erlaubt – und zwar nur für Holländer und in Holland lebende Ausländer. Ansonsten bleibt der Hanfbesitz verboten. Bis fünf Gramm werden aber strafrechtlich nicht verfolgt. Kommerzieller Anbau ist verboten. Coffeeshop-Inhaber importieren Gras etwa aus Marokko.
Mindestalter: 18
Besitz: Nur Konsum in Coffeeshops
Verkauf: Coffeeshops
Portugal setzt zwar weiterhin auf Prohibition und verbietet den Besitz von Cannabis, behandelt Kiffer (und Konsumenten anderer Drogen) aber nicht mehr als Kriminelle. Wer mit bis zu 25 Gramm Cannabis erwischt wird, muss Sozialstunden ableisten oder wird zum Therapeuten geschickt. Die Stigmatisierung fällt somit weg.
Mindestalter: Grundsätzlich verboten
Besitz: Entkriminalisiert bis 25 Gramm
Verkauf: Verboten
Spanien entwickelt sich zum Kifferhotspot Europas. Der Staat erlaubt den Eigenanbau und privaten Konsum von Cannabis zu Hause. Auch Kifferclubs sind erlaubt. Landesweit gibt es rund 500 davon, allein 200 in Barcelona. Die Stadt gilt inzwischen als „New Amsterdam“. Kauf und Verkauf von Hanf sind verboten.
Mindestalter: 18
Besitz: Eigenanbau
Verkauf: Verboten
Cannabis-Produkte sind illegale Suchtmittel. Besitz, Anbau und Handel sind verboten. Das Betäubungsmittelgesetz sieht Geldstrafen oder bis zu fünf Jahre Haft vor. Beim Umgang mit „nicht geringen Mengen“ - bei Haschisch und Marihuana 500 Konsumeinheiten à 15 Milligramm Tetrahydrocannabinol (THC) - liegt die Höchststrafe bei 15 Jahren Haft. Für „Gelegenheitskiffer“ kennt das Gesetz die Untergrenze der „geringen Menge“ zum Eigenverbrauch. Bei wenigen Konsumeinheiten kann die Staatsanwaltschaft von einer Strafverfolgung absehen. Das ist in den Bundesländern unterschiedlich geregelt.
Ein Jahr nach der Legalisierung von Cannabis für medizinische Anwendungen hat die Substanz nach Medienberichten noch keinen Patienten erreicht. Zwar können Ärzte bei schweren Erkrankungen wie Krebs, Multipler Sklerose oder Parkinson Cannabis verschreiben, doch ist das Mittel noch nicht verfügbar. Kritiker werfen dem Gesundheitsministerium in Prag mutwillige Verzögerung bei der Vergabe von Züchterlizenzen vor.
Doch die Polizei rackert sich meist in Scheingefechten ab. Laut Rechtslage gilt „jeder noch so geringfügige Besitz als strafbar“, sagt André Schulz, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Die Polizei sei daher rechtlich verpflichtet, den Besitz von Cannabis zu ahnden. „Doch 95 Prozent der Verfahren werden schon heute als Bagatelldelikt wieder eingestellt.“ Im Klartext: Der Staat laviert zwischen Hü und Hott, die Polizei badet es aus.
Pro Jahr geben wir Steuerzahler dank der deutschen Repressionspolitik laut Experten ein bis zwei Milliarden Euro aus. So gab es bundesweit 2013 laut Bundeskriminalamt 145.000 geahndete Cannabisdelikte. Das sind fast drei Prozent aller in Deutschland erfassten Kriminalitätsfälle. Drei Viertel davon gehen auf den „allgemeinen Konsum“ zurück, sprich: auf Teenager und Erwachsene mit ein paar Gramm Gras in der Jeans. „Cannabis bleibt das am häufigsten konsumierte Rauschgift“, heißt es im Jahresbericht 2013 – mit jährlich steigenden Fallzahlen. Trotz Verbot wird also gekifft wie selten zuvor.
Jetzt machen sogar diejenigen Dampf, die für sich in Anspruch nehmen, Ahnung von Recht und Ordnung zu haben. Ein Netzwerk von 122 Strafrechtsprofessoren fordert, den Konsum von Cannabis endgültig von der Liste strafrechtlicher Tatbestände zu streichen. „Die Prohibition ist unverhältnismäßig kostspielig“, heißt es in einer Resolution des Schildower Kreises. Ein Blick nach Colorado stützt die liberale Haltung der Juristen. Dort ging die Kriminalität nach der Liberalisierung des Hanfkonsums 2014 um vier Prozent zurück. Die Zahl der Verkehrsunfälle blieb unverändert.
3. Der Steuerzahler profitiert
Wie wäre es mit einer Pauschalreise auf Dope? Veranstalter in Colorado verkaufen vierstündige Busfahrten zu Hanfshops und -bauern für 90 Dollar pro Person. Gekifft wird im Bus – Knabbereien gegen den Fressflash inklusive. Der „Stoney Saturday“ sei „die beliebteste Tour“, schreibt ein Anbieter.
Die Trips auf Trip boomen. Eine solche Art zu reisen ist vielleicht nicht jedermann geheuer. Aber Ökonomen wie Haucap fordern sogar, die Freigabe „nicht auf ein lokales Gebiet zu beschränken. Das hätte unweigerlich einen unangenehmen Drogentourismus zur Folge.“ Je breiter das Angebot, desto sanfter der Effekt. „Von der Größe her wäre Deutschland prädestiniert für eine Freigabe.“
Hohe Einnahmen durch Lizenzen
Der Staat könnte Steuern und Abgaben erheben sowie Anbau und Handel lizenzieren. Colorado nahm so 2014 umgerechnet knapp 50 Millionen Euro ein – drei Viertel davon aus dem Verkauf an Privatleute, der Rest geht auf medizinische Zwecke zurück. Auf Deutschland hochgerechnet, könnte der Staat jährlich rund 800 Millionen Euro einnehmen, wenn nicht mehr. Denn allein in Colorado stiegen die Einnahmen im März dieses Jahres um berauschende 150 Prozent gegenüber Vorjahr. Es dürfte also für Deutschland eher mit Einnahmen um die zwei Milliarden Euro pro Jahr gerechnet werden. Ökonom Hüther erwartet Mehrwert- und Einkommensteuereinnahmen von 500 Millionen Euro bis zu 3,5 Milliarden Euro. Im Vergleich dazu: Durch die Einführung der Pkw-Maut kalkulieren Experten ein Steuerplus von 100 bis 300 Millionen Euro.
Die Grünen rechneten sogar schon ihr eigenes Kiff-Steuermodell durch und brachten das Cannabiskontrollgesetz Mitte März in den Bundestag ein, das den Erwerb und Besitz von bis zu 30 Gramm Cannabis erlaubt. Ihr Vorschlag: Je höher die Konzentration von Tetrahydrocannabinol (THC), also der Substanz, die psychoaktive Effekte auslöst, desto höher die Steuer – wie beim Alkohol. Der Staat würde für Marihuana vier Euro pro Gramm erheben, für Haschisch fünf und Haschischöl sechs Euro.
Die Einnahmen hingen letztlich davon ab, wie aggressiv der Staat gegen den Schwarzmarkt anpreist. Um ihn „möglichst vollständig auszutrocknen“, sollten die Steuersätze anfangs „nicht zu hoch gesetzt werden“, sagt die Grünen-Steuerexpertin Lisa Paus. Alternativ könnten Nutzer bis zu drei Hanfpflanzen zu Hause züchten – das entspricht rund 30 Gramm steuerfrei. Auch das drückt die Einnahmen.
4. Der Stoff wird gesünder
Bis zu 10.000 Proben illegaler Drogen bekommt Dirk Seinsche jedes Jahr auf seinen Labortisch – die Hälfte davon Cannabis. Der Analyse-Chef des Landeskriminalamts NRW in Düsseldorf ermittelt dann den THC-Anteil sichergestellter Hanfproben. „In den vergangenen fünf Jahren ist der THC-Gehalt deutlich gestiegen.“ Er liege bei Marihuana im Schnitt bei 14 Prozent – ein Plus von drei bis vier Prozentpunkten. Manchmal entdeckt Seinsche aber noch mehr: „In Einzelfällen finden wir in den Proben auch Dünger, Glassplitterchen und Haarspray.“
Denn um das Gewicht der Ware zu erhöhen, strecken Produzenten ihr Cannabis oft mit versteckten Substanzen. Der Schwarzmarkt kennt keine Qualitätsvorgaben. Die Nebenwirkungen der Verunreinigungen seien „wissenschaftlich nicht untersucht“, so Seinsche, doch Gefahren für die Gesundheit „sind wahrscheinlich“. So verkauften Dealer in Leipzig 2007 Cannabis, das mit Blei gestreckt war. Die Folge: Dutzende Fälle schwerer Vergiftungen. Bis vor Kurzem tauchten illegale Produzenten Cannabis gerne in Flüssigkeit aus Zucker, Hormonen und flüssigem Kunststoff. Das Brix gilt als gefährlich.
Die Kosten für den Dreck im Joint sind nicht zu beziffern. Aber wenn der Staat Cannabis legalisiert, könnte er knallharte Qualitätsvorgaben machen. Laut einer Studie der Carnegie-Mellon-Universität im amerikanischen Pittsburgh würden obligatorische Qualitätstests den Produktionspreis eines Gramms Cannabis um umgerechnet 10 bis 55 Cent erhöhen.
Es sei „unwahrscheinlich, dass die Tests auf Potenz und Verunreinigungen den Handelspreis maßgeblich nach oben treiben“, schlussfolgern die Autoren. Wirtschaftsethiker Ingo Pies von der Universität Halle fordert, man solle „die faktische Deregulierung, die auf Schwarzmärkten stattfindet, durch eine wohldurchdachte Regulierung ersetzen“. In Uruguay prüft etwa eine Aufsichtsbehörde die Qualität der Hanfproduktion. Apotheken übernehmen den Verkauf von Cannabis.
Politiker überbewerten die Risiken
Deutschland hingegen verbietet es Privatpersonen und Bürgerinitiativen sogar, Cannabisproben in Labors auf Verunreinigungen prüfen zu lassen. In Nachbarländern wie Österreich, Holland und der Schweiz ist Drug-Checking erlaubt. Die Eidgenossen fahren sogar mit mobilen Labors auf Partys. Ihr Motto: Der Staat minimiert Gesundheitsgefahren – und schützt junge Konsumenten.
Pragmatische Lösungen sind dringend erforderlich. Stattdessen überbewerten Politiker die Risiken. Der Psychologe und wissenschaftliche Direktor des Schweizer Instituts für Sucht- und Gesundheitsforschung (ISGF), Michael Schaub, sagt: „Cannabis ist keine Einstiegsdroge. Das soziale Umfeld und die genetische Disposition erklären viel mehr, warum ein Mensch zu härteren Drogen greift.“
Eine sachliche Kosten-Nutzen-Analyse wäre umso wichtiger. Das Risiko, eine Psychose zu entwickeln, steige zwar bei exzessivem Konsum von Cannabis „leicht an“, so Schaub. Eine Freigabe könnte Maßlosigkeit fördern. Doch „volkswirtschaftlich schlimmer“ sei es, wenn der Staat wie heute den wenigen Menschen, die zu viel Cannabis konsumieren, nicht helfe. Leute würden ihre Lehre nicht abschließen oder durchs Abi fallen. „Dann kommen diese jungen Menschen irgendwann als 35-jährige menschliche Wracks in die Klinik und versuchen, neu anzufangen – ohne Abschluss und Perspektive“, sagt Schaub. Unterm Strich sei Prohibition teurer.
5. Kiffer sind keine Kriminellen mehr
Den eigenen Bruder verlor Andreas Müller 2013. Mit 15 hatte dieser in den Siebzigerjahren angefangen zu kiffen. Er dealte, flog von der Schule, es folgten Haftbefehle und Knast. Nach vielen Jahren Alkohol-, Medikamenten- und Cannabiskonsum begann er mit Heroin. „Statt zu helfen, hat der Staat meinen Bruder kriminalisiert und ins Abseits gedrängt“, sagt Müller. „Mein Bruder hatte keine Chance.“
Müller ist Richter in Bernau bei Berlin. Er urteilt über Jugendliche und will verhindern, dass junge Erwachsene das gleiche Schicksal ereilt. „Kiffer sind keine Kriminellen“, sagt Müller. „Wer andere Menschen zusammenschlägt oder in fremde Wohnungen einbricht, der ist kriminell.“ Aber einen Joint zu rauchen tue anderen nicht weh. „Ich schäme mich dafür, dass ich Leute für ein paar Gramm Cannabis verurteilen muss.“
Portugal schlug deshalb einen anderen, menschenfreundlicheren Weg ein. Auch dort ist der Konsum von Cannabis offiziell verboten, aber der Staat hält sich mit Strafe zurück. Wer mit bis zu 25 Gramm Gras erwischt wird, muss sich stattdessen vor einem Sozialarbeiter verantworten. Das gilt übrigens auch bei härteren Drogen.
Was beim Cannabiskonsum droht
Wer (fast) täglich kifft, verliert den Führerschein – egal, ob er je bekifft Auto fuhr. Ihm fehle die grundsätzliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen (BVerwG 3C 1.08).
Wer Alkohol und Cannabis im Blut hat, verliert den Führerschein – selbst der Beifahrer, der bewusst aufs Fahren verzichtete. Grund: Beide Wirkstoffe potenzieren sich, Betroffene stellten besondere Gefahr im Straßenverkehr dar (VGH Mannheim 10 S 133/06).
Der Nachweis von THC im Blut allein reicht für Führerscheinentzug nicht aus. THC-Konzentrationen im Blut von unter 1,0 ng/ml werden nicht geahndet (BVerfG 2005).
Ein einzelner Joint rechtfertigt den Entzug des Führerscheins, wenn der Betroffene unter erheblichem Cannabiseinfluss Auto fährt (VG Gelsenkirchen 9 L 592/12).
Deutschland hingegen schwingt unkoordiniert die Keule des Strafrechts. 1994 forderte das Bundesverfassungsgericht die Länder in seinem Cannabisbeschluss auf, einheitliche Freigrenzen einzuführen, bei denen von einer strafrechtlichen Verfolgung abgesehen würde. Doch nach wie vor definiert jedes Land eigene Toleranzgrenzen. Als wenn einem Berliner mehr THC zustünde als einem Menschen aus Mecklenburg.
Das landläufige Gefühl der Menschen, ein paar Gramm Eigenkonsum seien ja nicht mehr schlimm, kann sich bitter rächen. Müller berichtet von einer allein erziehenden Musiklehrerin, die mit drei Gramm Cannabis erwischt wurde und einen Strafbefehl von ein paar Hundert Euro akzeptierte. Ein halbes Jahr später verlor sie ihren Job. „Der Staat zerstört so ganze Leben“, sagt Müller.
Kiffer verlieren schnell den Führerschein
Auch der Führerschein kann wegen Cannabiskonsums schneller weg sein, als viele denken. Dies gilt kurioserweise auch dann, wenn man als Beifahrer gekifft hat.
Im sonst so aufgeschlossenen Berlin ist es noch chaotischer. Der Senat führte im April drogenfreie Zonen in der Nähe von Kitas und Schulen ein, in denen der Besitz schon geringster Hanfmengen bestraft wird. „Der Vorstoß ist eindeutig verfassungswidrig“, sagt Müller. „Der 18-jährige Junge, der gerade vor dem Abitur steht und durch die Gegend feiert, weiß doch gar nicht, wo er sich genau befindet.“ Er werde dann in einer Zone für zwei Gramm bestraft. „Das ist lächerlich, Politikaktionismus und dumm.“
6. Drogenprävention spart Geld
Kerstin Jüngling ist Chefin der Berliner Fachstelle für Suchtprävention und spricht viel über die Gefahren von Cannabis. Und sie würde es an Schulen gerne häufiger tun. „Doch viele Schulleiter und Lehrer fürchten eine Rufschädigung“, sagt sie. „Sie haben Angst, dass die Eltern ihre Kinder woanders anmelden könnten, sobald sie das Kiffen zum Thema im Unterricht oder in Präventionskursen machen.“
Cannabisprävention wird ignoriert und tabuisiert – eine Folge der Prohibition. „Darüber zu sprechen sollte so normal sein wie die Verkehrserziehung im Kindergarten“, sagt Jüngling. „Sobald wir mit Jugendlichen über ein Problem offen reden, nehmen sie es ernsthaft wahr und verändern ihr Verhalten.“ Ihr Credo: Konsumenten müssen „Rauschkompetenz“ erlernen.
Das sehen auch Volkswirte so. Mit den Steuereinnahmen „ließen sich viele Anti-Drogen-Kampagnen finanzieren“, sagt Ökonom Haucap. „Aufklärung ist effektiver als sinnlose Repression.“
Eine Freigabe führt zudem nicht zwangsläufig zu höherem Konsum. Das zeigt das Beispiel Holland: Der Staat erlaubt den Joint in Coffeeshops seit Jahren. Doch die Zahl der Kiffer ist kaum höher als anderswo. 16 Prozent der 15- bis 34-Jährigen haben dort 2014 Cannabis konsumiert. In Deutschland lag die Quote bei 15 Prozent. In Ländern mit strengen Anti-Cannabis-Gesetzen wie Polen, Großbritannien und Frankreich erreichte sie sogar mehr als 20 Prozent.
Verbote allein halten junge Erwachsene nicht davon ab, Cannabis zu konsumieren. Im Gegenteil: „Sobald etwas legal ist, verschwindet sogar der Reiz des Illegalen“, sagt Psychologe Schaub.
7. Auch Kiffer sind mündige Bürger
Bier, Wein und Schnaps verbieten – warum eigentlich nicht? „Alkohol ist deutlich gefährlicher, denn Alkohol macht schneller abhängig“, sagt der Schweizer Suchtforscher Schaub. „Wer harten Alkohol trinkt und davon zu viel, kann im Extremfall sogar an toxischer Vergiftung sterben.“ Das sei bei Cannabis „nicht möglich“.
Kein vernünftiger Mensch käme jedoch auf die Idee, Alkohol und das Milliardengeschäft drumherum zu verbieten – oder womöglich sogar die zu bestrafen, die sich einen Rausch antrinken. „Solange andere Suchtmittel wie Alkohol frei verkäuflich sind, erscheint es nur logisch, dass auch Cannabis freigegeben wird“, sagt die Hamburger Ökonomin und Expertin für Familienpolitik, Miriam Beblo. „Der Konsum könnte auf andere Art reguliert werden.“
Das Recht auf den Rausch
Die Bewertung der Droge Cannabis wird vor allem ideologisch begründet. Grüne, Linke und einige Freidemokraten fordern seit Längerem ein Recht auf Rausch. Die Volksparteien CDU/CSU und SPD hingegen blockieren. In Hintergrundgesprächen zeigen sich Sozialdemokraten zwar offen, aber aus Angst, Wählerstimmen zu verlieren, verbergen sie ihre wahre Meinung vor der Bevölkerung. Immerhin: Die Bundesregierung will nun wenigstens den medizinischen Einsatz von Cannabis fördern. Krankenkassen sollen Schmerzpatienten den Joint auf Rezept erstatten.
Wie man zur Freigabe von Hanf steht, hat auch mit dem eigenen Menschenbild zu tun. „Wer Drogen konsumiert, schädigt primär sich selbst“, sagt Ökonom Haucap. „Die meisten Menschen können sehr viel besser einschätzen, was gut und schlecht für sie ist, als viele denken.“ Es sei weltfremd, zu glauben, dass Verbote den Drogengebrauch verhindern. „Das funktioniert so einfach nicht.“
Wer von einer aufgeklärten, freiheitlichen Gesellschaft ausgeht, müsste die Liberalisierung von Cannabis daher konsequent vorantreiben.
Und so könnte ein Modell für Deutschland aussehen:
Regulierung: Der Staat bestimmt, was erlaubt ist und was nicht. Er vergibt Lizenzen für den Anbau, Transport und Verkauf von Cannabis über Fachgeschäfte mit geschultem Personal. Das sichert Qualität. Der Staat bestimmt die Höhe des erlaubten THC-Gehalts und erhebt Steuern.
Konsum: Die erlaubten Mengen an Cannabis können großzügig ausgelegt werden, wie in Colorado: Dort sind bis zu 28 Gramm legal. So, wie die Bürger ihren Wein bevorraten, sollten sie auch selbstbestimmt über ihre Cannabismenge entscheiden.
Jugendschutz: Die Steuereinnahmen fließen zu einem Großteil zurück in die Drogenprävention und -hilfe. Der Verkauf an Jugendliche unter 18 Jahre bleibt strafbar. Werbung und Rauchen von Joints im öffentlichen Raum bleiben verboten. Es muss klar sein: Cannabis ist eine Droge.
Die Angst vor einer durchweg bekifften Gesellschaft kann Psychologe Schaub nehmen. Kifferkarrieren verlaufen nämlich nach einem Muster. „Der typische Kiffer ist männlich und jung“, so Schaub, doch „nach der Heirat und Familiengründung hören die Leute in der Regel wieder auf zu kiffen.“