Plagiat sticht Sexismus Schavan nimmt Brüderle aus der Schusslinie

Die Mechanik der Politik ist unerbittlich. Die Medien stürzen sich auf den Fall Schavan – andere Aufreger rücken aus dem Fokus. Wer spricht denn noch über Brüderle? Und er ist nicht der einzige, der profitiert.

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Noch-Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU). Quelle: dpa

Berlin Für Annette Schavan sind es schwierige Tage: Just als sie in Südafrika weilte, wurde ihr von der Universität Düsseldorf der Doktortitel aberkannt. Seitdem tobt eine Debatte darüber, welche Konsequenzen der Titel-Entzug noch haben muss – vor allem für die CDU-Politikerin und ihren Spitzenjob als Bundesbildungsministerin.

Der Rücktritt der Ministerin wäre „möglicherweise doch die richtige Konsequenz“, sagte der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, Prof. Bernhard Kempen. Erwartungsgemäß sieht das die Opposition nicht anders. Von Schavan ist überliefert, dass sie kämpfen will – für ihren Titel, für ihre Integrität und natürlich für ihr politisches Amt. Das provoziert nolens volens erst recht ihre Kritiker. Die Debatte köchelt damit weiter. Andere Aufreger-Themen rücken in den Hintergrund.

Der Fall Schavan hat dazu geführt, dass kaum noch über die Sexismus-Vorwürfe gegen FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle gesprochen wird. Das Thema ist regelrecht zum Erliegen gekommen. Allenfalls Schmonzetten wie diese, dass das Fremdgeh-Portal Ashley Madison Brüderle als Werbefigur für ein riesiges Plakat auserkoren hat, erregt noch die Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit.

Das mag vielleicht auch daran liegen, dass Brüderles angebliche anzügliche Bemerkungen gegenüber einer „Stern“-Journalistin wenig mit seinem politischen Alltagsgeschäft im Bundestag zu tun haben. Und vielleicht hat es auch damit zu tun, dass Brüderle in keiner Form auf die Kritik an ihm einsteigt. Seine Reaktion, sofern er darauf angesprochen wird, ist immer dieselbe: „Ich kommentiere das nicht“, „Dazu äußere ich mich nicht“.

Schavan kann sich hingegen nicht wegducken. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland dürfte sie mit Fragen bombardiert werden, wie es denn jetzt für sie weiter geht. Und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird wohl das Gespräch mit ihrer Vertrauten suchen. Ende offen. Damit ist der Fokus für die Berichterstattung der nächsten Tage gesetzt. Davon profitiert dann nicht nur Brüderle. Auch Peer Steinbrück könnte Glück im Unglück haben, wenn das Medieninteresse sich vor allem auf die Bildungsministerin beschränkt und ihn und sein „PeerBlog“ weitestgehend in Frieden lässt.


Belastung für Merkel

Allerdings wird Steinbrück die Debatte um sein Unterstützerblog nicht so schnell abschütteln können, zumal die Bundestagsverwaltung eine „Sachverhaltsprüfung“ vornehmen will. Irgendwann werden die Ergebnisse bekannt. Dann könnte der Ärger für ihn von neuem losgehen. Bis dahin bleibt seinen Kritikern nichts anderes übrig, als zum stumpfen Schwert von Forderungen zu greifen, das Steinbrück kaum beeindrucken dürfte. Dem Verlangen von Union und Grünen nach Preisgabe der Namen der Unternehmer, die das Projekt finanzieren, will er jedenfalls nicht nachkommen.

Die Schavan-Debatte nützt auch Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) und seinem umstrittenen Vorstoß für ein Einfrieren der Ökostrom-Umlage. Das Thema regt derzeit allenfalls noch die FDP und ihren Vorsitzenden und Wirtschaftsminister Philipp Rösler auf. Doch wenn der Vize-Kanzler lospoltert, hört ohnehin kaum noch jemand hin. Vor allem wenn er zum wiederholten Male Argumente gegen die Altmaier-Reform vorträgt, die man schon zig Mal gehört hat und die durch stete Wiederholung auch nicht an Relevanz gewinnen.

Rösler selbst ist auch kein Thema in der gegenwärtigen Polit-Gemengelage. Schavan ist es mit ihrem Titel-Kampf gelungen, selbst den umstrittenen FDP-Chef aus der Schusslinie zu nehmen. Röslers politisches Schicksal ist derzeit keine Debatte wert. Aber aufgehoben ist nicht aufgeschoben. Spätestens wenn die Liberalen Anfang März ihre Spitze neu wählen, wird auch Rösler von den Medien wieder entdeckt werden.

Bis dahin könnte auch der Fall Schavan entschieden sein. Denn ausgerechnet im Wahljahr könnte die Ministerin zu einer Belastung von Merkel und der CDU werden. Das wird schon daran deutlich, dass das Thema bereits jetzt andere Themen überlagert. Und das könnte so weitergehen. Der Berliner Politologe Gero Neugebauer weist darauf hin, dass Schavan den gesamten Wahlkampf über würde mit dem Plagiats-Vorwurf konfrontiert werden könnte. Für die Kanzlerin, die sich zusammen mit der CDU seit Wochen in einem Umfrage-Hoch befindet, kommt daher das Urteil der Düsseldorfer Uni auf jeden Fall zu einem ungünstigen Zeitpunkt.

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