Politik im Wandel Der neue Konservatismus und seine Folgen

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Politik ohne Reformeifer

Der Unterschied ist nur, dass durch die konservative Wende der Staat heute positiver bewertet wird als noch vor dem Jahr 2008. Der Staat ist aber nur rhetorisch zurückgekommen, nicht faktisch wenn man vom Mindestlohn einmal absieht. Die neue Staatsrhetorik bedeutet, dass viele Bürgerliche heute zu leisen Kapitalismuskritikern geworden sind. Und trotzdem wollen sie hauptsächlich Stabilität. Das ist paradox.

Für die politischen Verhältnisse bedeutet dies eine Verschiebung zu einer Politik ohne viel Reformeifer, eine Politik ohne viele Zumutungen. Dies führt zu einer Gesellschaft der Ich-Fokussierten und Besitzstandswahrern. Dieser Trend begünstigt konservative Parteien.

Großer Ausverkauf bei der FDP
Nach dem Scheitern an der Fünfprozenthürde und dem Rauswurf aus dem Bundestag im Herbst 2013 befindet sich die FDP-Bundestagsfraktion in Liquidation. Sämtliche Wertgegenstände müssen laut Gesetz verkauft werden – dies übernimmt das bundeseigene Verwertungsunternehmen Vebeg in Frankfurt. Dort wurden bis Dienstag, 13 Uhr, Gegenstände aus den Abgeordnetenbüros versteigert. Ein Blick in die (ehemaligen) Hinterzimmer der Macht. Das Bild zeigt die FDP in besseren Tagen: die Fraktion 2009 im Bundestag mit Fraktionschefin Homburger, Parteichef Westerwelle (vordere Reihe), Parteivize Brüderle, Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger und dem Finanzexperten Solms. Quelle: dpa
Symbolfigur: Unter den versteigerten Gegenständen war auch eine Büste des ersten FDP-Vorsitzenden Theodor Heuss. Nach „Bild“-Informationen hatte der Künstler Georg Dittmer die Büste 2008 für den damaligen Parteichef Guido Westerwelle angefertigt, für 7000 Euro. Über die Versteigerung zeigte sich Dittmer verärgert: „Ein Unding, dass sie die Büste einfach so verscherbeln“, zitierte „Bild“ den Künstler. Gebotspreise werden auf der Vebeg-Homepage nicht genannt. Quelle: PR
Sitzgruppe ohne Abgeordnete: „Designer-Mobiliar Le Corbusier Cassina“. Quelle: PR
Ein Stück Zeitgeschichte: Sessel mit Pult aus dem alten Bonner Plenarsaal. „Der grüne Lederbezug weist starke Gebrauchsspuren auf“, heißt es in der Beschreibung. Quelle: PR
Der Deutsche Bundestag debattierte im alten Plenarsaal in Bonn bis 1986. Quelle: PR
„2 historische Schulbänke, Breite 120 cm, Sitze klappbar bzw. mit durchgehender Sitzfläche“ Quelle: PR
Eins der Platz für schwere Akten: Hier verkaufte die FDP „je 1 Regalwand mit 30 Fächer, ca. 400 x 220 cm, Schreibtisch ca. 100 x 200 cm, Fernsehtisch, Rollcontainer und Sideboard (Gebrauchsspuren)“ Quelle: PR

Angela Merkel ist mit ihrem zurückhaltenden Regierungsstil für die konservative Wende die logische Wahl und ihre Beliebtheit sinnbildlich, weil sie niemanden verprellen will, niemanden etwas zumuten will. Für die Sozialdemokratie, aber auch für Freidemokraten bedeutet das ein Dilemma.

Die neoliberale Forderung nach weniger Staat ergibt wenig Sinn, wenn eine konservative Reformzurückhaltung dies de facto realisiert. Vor allem die FDP leidet daran, dass ihre Forderung nach mehr Freiheit für die Wirtschaft niemand mehr erreicht, weil die Parlamente mittlerweile von außen liberalisiert werden; weil politische Eliten sich dem Druck vermeintlich alternativloser ökonomischer Sachzwanglogik beugen; und weil die konservative Zurückhaltungspolitik genau das durch ihren Fokus auf das Sparen sogar noch partiell stützt.

Das Entstehen der AfD

Außerdem vermag die FDP es nicht, ihren gesellschaftspolitischen Liberalismus und ihre sozialliberalen Thesen wieder zu reaktivieren. So wird sie schlicht als überflüssig betrachtet. Denn die liberal-konservativen Wähler, die sie jahrelang bediente, sind nun längst zur AfD gewandert und fühlen sich da wohler, weil die AFD nicht die Kälte des Neoliberalismus vertritt, sondern ihn netter erscheinen lässt.

Der Neoliberalismus wird bei der AfD in ein konservatives Weltbild integriert, in dem die Menschen nicht in ihrem ganzen Dasein zum Risiko und Egoismus gezwungen werden, sondern nur als Wirtschaftssubjekte so handeln sollen. Der homo oeconomicus hat bei der AfD Grenzen. Der Privatmensch ist bei ihnen einer, der als Familienmensch enge soziale Bindungen eingeht und als Vereinsmensch sich sozial in die Gemeinschaft einfügt und dort dieser Gemeinschaft dient. Bei der AfD ist der Mensch auch geborgen, was er im Neoliberalismus nie war.

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