Politikberater Michael Spreng "Die Union wird womöglich regierungsunfähig"

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"...aber die Probleme und Konflikte bleiben."

Die SPD hat weiterhin große strukturelle Probleme: ihre Schwäche im Osten, ihr Unbehagen mit der Agenda 2010, die Linkspartei. Jetzt kommt Schulz und die Probleme sind nicht mehr wichtig?
Die Stimmung hat sich massiv verbessert, aber die Probleme und Konflikte bleiben. Schulz überstrahlt sie lediglich. Die Frage ist nur, ob ihm das acht Monate gelingt und ob die Wähler das mitmachen.

Was muss Schulz machen, um die Euphorie im Herbst in Wählerstimmen zu übersetzen?
Kurzfristig sollte er weitermachen wie bisher. Erst nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai sollte er inhaltlich konkret werden. Im Moment sieht es so aus, als würde Hannelore Kraft massiv von Schulz profitieren. Wenn sie Ministerpräsidentin bleibt, kann Schulz das als seinen ersten großen Sieg verkaufen. Danach kann die SPD dann ihr Programm vorlegen und die Union weiter unter Druck setzen.

von Konrad Fischer, Simon Book, Marc Etzold, Max Haerder, Katharina Matheis

Schulz sagt, in Deutschland gehe es nicht gerecht zu. Ist das das richtige Thema für ihn und die SPD?
Schulz orientiert sich am Wahlkampf von Bill Clinton aus den 90er Jahren. Es geht ihm um die hart arbeitenden Menschen, die sich an die Regeln halten, aber das Gefühl haben, es gehe nicht gerecht zu im Land. Er zielt also nicht auf die Abgehängten und Enttäuschten, sondern auf die arbeitende Mittelschicht.

Objektiv geht es den Deutschen aber sehr gut.
Stimmt – und trotzdem haben viele das Gefühl, es gehe ungerecht zu im Land. Es gibt zwei Stimmungen im Land. Und genau die probiert Schulz für sich zu nutzen. Das ist clever.

Aber reicht das inhaltlich?
Nein, er muss sich zu Fragen der inneren Sicherheit klar positionieren. Und er muss sagen, ob und wie seine Partei Steuern senken will oder nicht. Er muss zu allen Themen ein Profil entwickeln. Aber dieser Gerechtigkeitsansatz trifft den Nerv der Zeit – egal ob das objektiv stimmt oder nicht.

Die SPD und die K-Frage – ein Hang zur Sturzgeburt

Ist die Lage mit 1998 vergleichbar? Ist Schulz ein neuer Schröder?
Möglicherweise, ich bin noch nicht ganz sicher. Helmut Kohl hatte damals gehofft, Oskar Lafontaine werde Kanzlerkandidat, den er für den einfacheren Gegenkandidaten hielt. Und dann wurde es Schröder. Genauso hatte Merkel auf Gabriel als leichteren Gegner gehofft – und sie bekam Schulz. Wir haben noch keine so ausgeprägte Wechselstimmung wie 1998, aber einen Hauch davon. Damit hatte keiner gerechnet. Insofern gibt es erste Parallelen.

Während Union und SPD Kopf an Kopf liegen, sacken Grüne, Linke und FDP ab. Woran liegt das?
Es gibt zwei starke Kanzlerkandidaten, die polarisieren. Dann haben es die kleineren Parteien schwer. Für Rot-Rot-Grün könnte es ein Nullsummenspiel werden. Schulz jagt Grünen und Linken stimmen ab und reaktiviert Nichtwähler. Das reicht aber womöglich nicht für eine linke Mehrheit.

Ihre Prognose für diesen Wahlkampf?
Seit der Zeit von Helmut Kohl habe ich es nicht mehr erlebt, dass sich die Union so schwertut, Wähler zu begeistern. Das ist sehr gefährlich für Angela Merkel. Und deswegen hat Martin Schulz eine reelle Chance – trotz all der strukturellen Probleme der SPD.

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