Politische Beratung Frauen sind auf dem Vormarsch

Die wirtschaftspolitische Beratung der Regierung galt lange Zeit als Männerdomäne. Doch jetzt sind die Frauen auf dem Vormarsch.

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Die Schweizerin Beatrice Weder Quelle: AP

Dass sie in wenigen Tagen den Vorsitz des wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium und damit einen der einflussreichsten Posten in der wirtschaftspolitischen Beratung in Deutschland übernimmt, ist Claudia Buch nicht anzumerken. Die Tübinger Professorin, 42, die sich derzeit in einem Forschungssemester befindet, pendelt durch die Republik und macht das, was ihr am meisten Spaß bereitet: forschen. Auf der Suche nach immer neuen Datensätzen für ihre empirischen Studien reist Buch kreuz und quer durch Deutschland, wühlt heute in den Zahlenbeständen der Deutschen Bundesbank in Frankfurt und morgen in den Datenbanken des ifo Instituts in München. „Ich suche Mikrodaten von Unternehmen, um Antworten auf makroökonomische Fragen zu erhalten, etwa warum Betriebe ihre Produktion ins Ausland verlagern“, umschreibt Buch eines ihrer spannendsten Forschungsprojekte.

Die Ergebnisse ihrer Recherchen kann sie demnächst direkt in die wirtschaftspolitische Beratung der Bundesregierung einmünden lassen. Am 1. Mai übernimmt die in Bonn und Wisconsin ausgebildete Volkswirtin den Vorsitz des wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium. Damit ist sie die erste Frau, die das Gremium mit insgesamt 36 Mitgliedern – allesamt profilierte Wirtschaftsprofessoren – leitet. Der Beirat wurde 1948 als erstes unabhängiges Gremium der wissenschaftlichen Politikberatung von so bedeutenden Ökonomen wie Walter Eucken, Franz Böhm, Alfred Müller-Armack und Karl Schiller gegründet.

Mit ihrem Schritt aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft in die Niederungen der wirtschaftspolitischen Beratung steht Buch nicht allein da. Auch andere junge Ökonominnen wie die Wirtschaftsweise Beatrice Weder di Mauro, 42, und die Umweltexpertin Claudia Kemfert, 39, vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin haben den Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis geschafft. Sie alle gehören einer neuen Generation von Ökonominnen an, die weniger ideologisch vorgeht als ihre älteren Kollegen. Statt von vorgefassten Meinungen und ordnungspolitischen Leitbildern lassen sie sich von den empirischen Ergebnissen ihrer Untersuchungen leiten. Auf diese Weise wollen sie die wirtschaftspolitische Durchschlagskraft ihrer Empfehlungen erhöhen.

Weder di Mauro, die 2004 als erste Frau und Nichtdeutsche (sie besitzt einen schweizerischen Pass) in den Rat der fünf Wirtschaftsweisen einzog, sieht in ordnungspolitischen Grundsatzdiskussionen ein Relikt längst vergangener Zeiten. „Moderne Ökonomen müssen ihre Empfehlungen mit Fakten belegen“, sagt di Weder Mauro.

Mit ihrer propagierten Abkehr von der Ordnungspolitik alter Schule stößt Weder di Mauro jedoch nicht bei allen Ökonomen auf Gegenliebe. Manche Kollegen werfen ihr vor, mit ihrer agnostischen Haltung wirtschaftspolitischer Beliebigkeit Tür und Tor zu öffnen. Im Sachverständigenrat, so sagen Insider, gilt Weder di Mauro wegen ihrer angepassten Positionen denn auch als wenig durchsetzungsstark.

Dass sie ideologische Grabenkämpfe ablehnt, hat auch mit ihrer Persönlichkeit zu tun. Weder di Mauro sucht nicht das Licht der Schweinwerfer. Während Bert Rürup als Vorsitzender der fünf Weisen mit einem ausgeprägten Sendungsbewusstsein zu allem und jedem etwas zu sagen weiß, hüllt sich Weder di Mauro – trotz ihres öffentlichen Amtes – lieber in Schweigen, wenn es nicht gerade um ihr ureigenes Forschungsgebiet, die Finanzmärkte und internationalen Kapitalbewegungen, geht. Wo Rürup die Medien professionell bedient, wirkt Weder di Mauro verschüchtert.

Dennoch: Aus der Ruhe bringen lässt sie sich nicht. Im Sachverständigenrat war es nicht zuletzt ihrem ausgleichenden Gemüt zu verdanken, dass der Streit zwischen den Wirtschaftsweisen Peter Bofinger und Wolfgang Wiegard, in dem es neben sachlichen auch um persönliche Differenzen ging, ohne große Kollateralschäden rasch beigelegt wurde.

Auch Claudia Buch mag es nicht, wenn viel Aufhebens um ihre Person gemacht wird. In der Presse liest sie lieber etwas über ihre Arbeit als über sich selbst. Sie weiß, dass Öffentlichkeitsarbeit in eigener Person viel Zeit kostet. Die steckt sie lieber in die Wissenschaft. „Claudia Buch ist mit der Forschung verheiratet“, sagt einer, der sie gut kennt. Ihre Kollegen aus ihrer Zeit als Forscherin am Kieler Institut für Weltwirtschaft, wo sie promoviert und habilitiert hat, haben sie als „extrem gut organisierte und effizient arbeitende Forscherin“ in Erinnerung.

Ohne diese Effizienz könnte Buch die hohe Arbeitsbelastung auch kaum stemmen, die nicht nur mit der Professur und dem Vorsitz beim wissenschaftlichen Beirat, sondern auch mit ihrem Job als Direktorin des Instituts für angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) in Tübingen verbunden ist. Das IAW, ein 1957 gegründeter unabhängiger Thinktank mit etwa 15 Wissenschaftlern, hat es sich zur Aufgabe gemacht, wirtschaftspolitische Beratung auf wissenschaftlich fundierter Basis anzubieten. So ist das IAW, dessen prominentester Ex-Mitarbeiter wohl Bundespräsident Horst Köhler ist, im Regierungsauftrag an der Evaluierung der Hartz-IV-Reformen beteiligt.

Während Buch und Weder di Mauro die politische Beratung hinter verschlossenen Türen bevorzugen, sucht Claudia Kemfert die Öffentlichkeit, wenn es darum geht, ihre Thesen und Vorschläge zu verbreiten. Die Professorin für Umweltökonomie an der Humboldt-Uni in Berlin, die auch die Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am DIW leitet, ist derzeit die gefragteste Expertin in Deutschland für Umwelt- und Klimafragen. Kaum eine TV-Sendung zu dem Thema, in der Kemfert nicht präsent ist. Denn die Umweltexpertin hat auf alle Fragen eine Antwort parat, meist garniert mit Zahlen und Fakten.

Kollegen werfen Kemfert jedoch vor, „öffentlichkeitssüchtig“ zu sein und mit Schnellschüssen die Grenzen der wissenschaftlichen Seriosität bisweilen zu überschreiten. So hat die Energie- und Klimaexpertin zuletzt mit einer Studie Aufmerksamkeit erregt, in der sie die Kosten des Klimawandels für die nächsten 50 Jahre bis hinter die Kommastelle heruntergebrochen hat. Nach Ansicht von Andreas Troge, Chef des Bundesumweltamtes, steht die Analyse jedoch wegen ihrer „trügerischen Präzision“ auf „tönernen Füßen“.

Kemferts Rolle als wirtschaftspolitische Beraterin hat ihre mediale Omnipräsenz bisher jedoch nicht geschadet. Sie berät nicht nur EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso in Sachen Energiepolitik, sondern arbeitet auch als Expertin für die Weltbank und die Vereinten Nationen.

Dass Frauen in der wirtschaftspolitischen Beratung auf dem Vormarsch sind, ist nicht nur darauf zurückzuführen, dass Politiker dem weiblichen Geschlecht im Zeichen der Gleichstellung mehr Bedeutung verschaffen wollen. Es ist auch eine Generationenfrage. Denn die Zahl der weiblichen Hochschulabsolventen im Bereich Wirtschaftswissenschaften hat sich in den letzten 30 Jahren deutlich erhöht. Da ist es nur logisch, wenn auch ihre Rolle in der Forschung und Beratung wächst.

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