Politische Debatte Die Asozialen - ganz unten und ganz oben

Die Gesellschaft zerfällt an ihren Rändern. Oben und Unten leben auf Kosten der Mittelschicht. Walter Wüllenweber hat ein befreiendes Buch geschrieben: "Die Asozialen".

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Sozialpolitiker sprechen gerne von Armut. Aber unser wirkliches Problem ist der wachsende Reichtum der Rentiers.
von Ferdinand Knauß

Die Existenz von Armut in Deutschland in Frage zu stellen, ist eine sichere Methode für Journalisten, wütende Leserreaktionen und persönliche Beleidigungen heraufzubeschwören. Da schaltet sich auch gerne mal der Bildblog ein, um den Autor zurechtzuweisen.

Wer bezweifelt, dass diejenigen, die am unteren Ende der Einkommensskala in Deutschland stehen, „arm“ genannt werden sollten, steht schnell als herzloser und zur Empathie unfähiger Mensch da. Erstaunlich ist aber, dass sich in der Regel nicht die betroffenen „Armen“ selbst empören. Vermutlich fühlt sich derjenige, der weniger als 848 Euro monatliches Einkommen zur Verfügung hat und damit für die Statistiker „arm“ ist, gar nicht verhöhnt, wenn ihm jemand sagt, dass er nicht arm ist. Angegriffen fühlen sich dadurch vielmehr jene, die die Existenz und das angebliche Wachstum der „Armut“ in Deutschland lauthals beklagen. Zur Empörung berufen fühlen sich vielmehr diejenigen, die sich für die moralischen Anwälte der „Armen“ halten. Und deren einziges und durch und durch wohlstandsbürgerliches Argument ist meist, man solle doch einmal versuchen, mit so wenig Geld auszukommen.

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"Arm" und "reich" sind politische Kampfbegriffe

„Arm“ und „reich“ sind keine neutralen Attribute. Niemand kann eindeutig sagen, wo die Armut aufhört und wo der Reichtum beginnt. Die Sozialstatistiker in den EU-Staaten tun so, als könnten sie es, und definieren Armut als eine relative Größe, die unterhalb von 40 Prozent des mittleren Einkommens liegt. Von dem, was der frühere Weltbank-Chef Robert McNamara als Armut auf absolutem Niveau bezeichnete, nämlich ein „Leben am äußersten Rand der Existenz“ sind diese 40 Prozent zumindest in Deutschland jedenfalls ziemlich weit entfernt. Und vor allem ist durch die Relativierung dafür gesorgt, dass die Zahl der „Armen“ auch dann nicht sinkt, wenn die sozialstaatlichen Leistungen noch so sehr ansteigen.

„Arm“ und „reich“ sind politische Kampfbegriffe. Diese Feststellung steht am Anfang eines Buches, das auf die soziale Frage in Deutschland einige kluge Antworten anbietet: „Die Asozialen“ ist das Ergebnis jahrelanger Recherchen und die Essenz zahlreicher Artikel, die der Stern-Journalist Walter Wüllenweber in den vergangenen Jahren verfasst hat.

Der Riss, der den inneren Frieden in unserer Gesellschaft gefährdet, verläuft nicht zwischen weniger Verdienenden und Besserverdienenden, zu denen oft schon Menschen ab 60 000 Euro Jahreseinkommen gezählt werden. Sondern zwischen denen, die von ihrer eigenen Arbeit leben und jenen, die nicht arbeiten. Reich sind für Wüllenweber nicht die Millionen von „Besserverdienenden“, sondern das „eine Prozent“ der Deutschen, das mehr als 1,5 Millionen Euro Vermögen hat. Und insbesondere hat er jene im Blick, die in erster Linie von ihren Kapitalerträgen leben.

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