Politologe über den Armuts- und Reichtumsbericht „Die Bundesregierung verschleiert den Reichtum“

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Die soziale Spaltung verursacht politische Verwerfungen

Die ärmste Hälfte der Deutschen verfügt über 1 Prozent des gesamten Nettovermögens, während die vermögensstärksten zehn Prozent mehr als die Hälfte des Nettovermögens besitzen, heißt es im Bericht.

Das DIW hat da deutlich verlässlichere Zahlen, an denen man erkennt, dass der Reichtum im Bericht statistisch systematisch unterschätzt wird. Das reichste Prozent besitzt demnach 37 Prozent des Nettovermögens. Das reichste Promille immer noch 21 Prozent – die Vermögenskonzentration liegt in der Spitze. Wenn ich fast jeden in der Mittelschicht für reich erkläre, verschwindet der wirkliche Reichtum aus der Statistik. So verharmlost man das Problem der wachsenden sozialen Ungleichheit, die sich vertiefende Kluft zwischen Arm und Reich. Nehmen Sie etwa Deutschlands reichstes Geschwisterpaar, Susanne Klatten und Stefan Quandt. Für das Jahr 2012 haben sie zusammen mit ihrer damals noch lebenden Mutter 700 Millionen Euro als damalige Rekorddividende aus ihren BMW-Aktien erhalten – in diesem Jahr wird ihre Dividende erstmals die Milliardengrenze übersteigen. Gleichzeitig stagnieren die Reallöhne seit der Jahrtausendwende, wenngleich es zuletzt moderate Steigerungsraten gab. Aber kein Gehalt ist in den vergangenen vier Jahren um fast die Hälfte erhöht worden, es sei denn das von Managern.

Die zehn reichsten Selfmade-Deutschen
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Welche politischen und gesellschaftlichen Konsequenzen befürchten Sie aus der zunehmenden sozialen Spaltung?

Die wachsende soziale Ungleichheit ist in zweierlei Hinsicht eine Gefahr für die Demokratie. Im ersten Entwurf des Armuts- und Reichtumsberichts war noch von einer „Krise der politischen Repräsentation“ die Rede. Die sozial Benachteiligten gehen nicht mehr wählen und nehmen keinen Einfluss mehr auf die politische Willensbildung. In den Nobelvierteln deutscher Großstädte liegt die Wahlbeteiligung bei mehr als 90 Prozent – in den sozialen Brennpunkten ist eine Beteiligung von 40 Prozent schon hoch. Unsere repräsentative Demokratie wird so im Grunde ausgehebelt.

Der zweite Punkt betrifft die Mittelschicht. Dort geht die Angst vor dem sozialen Abstieg um, was manche Menschen veranlasst, sich politisch eher nach rechts zu orientieren, besonders Angehörige des Kleinbürgertums. Der Aufstieg der NSDAP Ende der 1920er- und Anfang der 1930er-Jahre, der Aufschwung der NPD gegen Ende der 1960er Jahre, als sie es fast in den Bundestag geschafft hätte, und auch der Höhenflug der AfD heute haben mit der Angst von Mittelschichtangehörigen zu tun, zwischen der Ober- und der Unterschicht zerrieben zu werden. Eine Regierungspolitik, welche die soziale Spaltung befördert, verursacht auch politische Verwerfungen. Ich sehe große Gefahren für die Demokratie, wenn diese soziale Polarisierung anhält und politisch nichts dagegen getan wird.

Nun hat Martin Schulz den Höhenflug der AfD fürs Erste ausgebremst. Mit ihm als Kanzlerkandidat schreibt sich die SPD, deren Mitglied Sie bis 2005 waren, wieder das Thema „soziale Gerechtigkeit“ auf die Fahne. Überzeugt er Sie?

Das Programm von Martin Schulz ist bisher zwar noch sehr vage, es lässt aber deutlich erkennen, dass Armutsbekämpfung nicht zu den Schwerpunkten seiner Agenda gehört. Er will etwas für diejenigen tun, die „hart arbeiten und sich an die Regeln halten“. Das ist gut und notwendig. Krankenschwestern, Erzieherinnen, Altenpfleger leisten viel und verdienen zu wenig. Wer es aber wirklich ernst meint mit der sozialen Gerechtigkeit, muss sich zuerst um diejenigen kümmern, denen es am schlechtesten geht – das tut Schulz aber nicht. Er wendet sich vor allem an Angehörige der Mittelschicht.

Woran machen Sie das fest?

Schulz räumt zwar ein, dass Fehler bei der Agenda 2010 gemacht worden sind, geht aber ihren Kern, Hartz IV, überhaupt nicht an. Er hat bisher nur eine Forderung erhoben, die Hartz IV betrifft, nämlich die Verdoppelung des Schonvermögens von 150 auf 300 Euro pro Lebensjahr. Das hilft aber nur denjenigen, die Vermögen haben – unter den Beziehern des ALG II sind das relativ wenige. Alle anderen Schulz-Forderungen betreffen das ALG I, was den Armen kaum hilft. Arm sind nämlich eher die, die als Langzeitarbeitslose oder „Aufstocker“ das ALG II beziehen.

Was würden Sie sich von einem Kandidaten Schulz wünschen?

Dass er nicht bloß die Leistungsgerechtigkeit in den Blick nimmt, sondern auch die Bedarfs- und die Verteilungsgerechtigkeit. Eine Steuerpolitik, die Reiche und ganz Reiche aus Gründen der Umverteilung von oben nach unten stärker belastet – das wäre eine Forderung, die sich aus der zunehmenden sozialen Spaltung ergäbe. Davon ist bei Schulz aber bisher nicht die Rede.

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