Die Woche fängt gut an für Hauptkommissar Rainer Wendt. Er sitzt im „Bundeszimmer“ des Hotels Adlon, der Blick fällt durch große Fensterfronten aufs Brandenburger Tor, es gibt Kaffee aus feinen Tässchen und Gesprächspartner, die der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) besonders schätzt: ranghohe Vertreter des deutschen Sicherheitsapparats. Im Vorfeld eines Polizeikongresses haben sich an diesem Montagmorgen Ende Februar Verfassungsschützer, BKA-Beamte und Innenpolitiker des Bundestags zum Plausch getroffen.
Später wird man auf dem Kongress über die Digitalisierung der Polizeiarbeit und Gewalt gegen Polizisten debattieren. Abends gibt es einen Empfang in der rumänischen Botschaft, dazwischen liegen ein Strategiegespräch mit Gewerkschaftsfunktionären und ein Fernsehauftritt bei RTL. An solchen Tagen ist Rainer Wendt zufrieden mit sich und der Welt.
So ähnlich dürfte sein Gemütszustand auch am heutigen Montag sein. Auf dem Bundeskongress seiner Gewerkschaft kandidiert Wendt zum dritten Mal für den Vorsitz, und die Frage ist allein, ob der 58-Jährige wieder über 98 Prozent der Stimmen bekommt wie bei der vergangenen Wahl.
Stammgast in Nachrichtensendungen und Talkshows
Kaum eine andere Gewerkschaft ist so auf ihren Chef zugeschnitten wie die DPolG – und kein anderer Arbeitnehmervertreter polarisiert innerhalb des Gewerkschaftslagers so stark wie der gebürtige Duisburger. Er hat es geschafft, sich in Fragen der inneren Sicherheit mit markigen Worten als Lautsprecher des deutschen Polizeibeamten zu etablieren, obwohl seine Truppe mit rund 94.000 Mitgliedern fast halb so klein ist wie die Konkurrenzorganisation der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Die bringt es auf 175.000 Mitglieder und ist unter dem Dach des Deutschen Gewerkschaftsbundes organisiert. Wendts DPolG gehört zum Beamtenbund.
Wendt ist eine gewerkschaftliche PR-Maschine, er redet so, wie es viele Journalisten lieben: klar, zugespitzt, ohne Gestotter und in der gebotenen Kürze. Damit ist er Stammgast in Nachrichtensendungen und Talkrunden geworden. Nach dem Attentat auf die Pariser „Charlie Hebdo“-Redaktion hatte er 42 TV-Auftritte an drei Tagen. Im RTL-Hauptstadtstudio kennt sogar die Dame an der Pforte seinen Namen.
Es sei seine Strategie, „durch proaktive Medienarbeit und hohe öffentliche Präsenz meine Gewerkschaft zu pushen“, sagt Wendt. Bei der Konkurrenz klingt das weniger freundlich. „Wendt agiert in seiner Organisation außerhalb jeder Kontrolle und liefert Thesen auf Bestellung“, ätzt ein hoher GdP-Funktionär.
Rechter Arbeitnehmerführer
Den Vorwurf des Populismus streitet Wendt nicht ab, er findet ihn auch im Prinzip nicht schlimm. Zumindest so lange nicht, wie man „fachlich keinen Quatsch erzählt“. Kostprobe gefällig? Als 2010 die Demonstration gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 blutig eskalierte, war er gerade im ICE von Mannheim nach München unterwegs. Wendt witterte die Chance, stieg in Stuttgart unplanmäßig aus und stand wenig später vor dem Bauzaun, um in Interviews den umstrittenen Polizeieinsatz zu verteidigen. Als ihn jüngst ein österreichischer TV-Sender um ein Statement bat und Wendt fragte, wie man auf ihn käme, sagte der Redakteur: „Sie sind doch so etwas wie der deutsche Polizeisprecher.“ In solchen Momenten mag Wendt nicht widersprechen.
Wie tickt dieser Mann? Wofür steht er? In jedem Fall haben wir es mit einer Person der Gegensätze zu tun. Wendt ist zwar Chef einer Gewerkschaft, aber kein anderer deutscher Arbeitnehmerführer steht so weit rechts wie CDU-Mitglied Wendt. Dass er sogar dem Rechtsaußen-Blatt „Junge Freiheit“ 2014 ein Interview gab, hat ihm viel Kritik eingebracht.
"Waffen, die wirken sollen, müssen wehtun"
Als kompromissloser Verfechter von Law and Order fordert er leidenschaftlich „Elektroimpulswaffen“ für Streifenpolizisten, die bei Gegnern kurzzeitige Muskellähmungen hervorrufen. Begründung: „Waffen, die wirken sollen, müssen wehtun.“ Die Polizei dürfe „bei der technischen Ausstattung den Kriminellen nicht hinterherhinken“. Wem das zu sehr nach Rambo-Filmen klingt, den weist Wendt gern darauf hin, dass 80 Prozent aller Übergriffe auf Polizisten im Alltagsdienst geschehen.
Wendt ist von kleiner Statur und großer Eloquenz; ein umgänglicher Herr mit Hut, der Elefantenfigürchen sammelt und gern mit dem Faltfahrrad zu Terminen fährt. Der mit seinem Anzug, der hohen Stirn und randlosen Brille auf den ersten Blick wie ein schüchterner Buchhalter wirkt, der aber zum dritten Mal verheiratet ist und mit drei weiteren Frauen fünf Kinder hat.
Gegen das Prostitutionsgesetz und für die NSA
Es gibt kaum einen Bereich der öffentlichen Sicherheit, zu dem Wendt nichts zu sagen einfiele. Er fordert mehr Staatseinfluss auf die Luftsicherheit, die „wie ein Pizzadienst organisiert“ sei, und schlägt speziell gesicherte „Knallzonen“ in Großstädten für das Silvesterfeuerwerk vor. Er ist gegen strafbefreiende Selbstanzeigen für Steuersünder, denn „die Art und Weise, wie Steuerkriminelle bei uns hofiert werden, grenzt an Staatswillkür“. Wendt würde aus der Sicherungsverwahrung entlassene Sexualstraftäter gern mit Adresse im Internet veröffentlicht sehen, befürwortet die Vorratsdatenspeicherung und bekennt: „Ich glaube der NSA mehr als Edward Snowden.“ Für die „Bild am Sonntag“ lässt er sich mit einer Bordellchefin auf dem Bett fotografieren und kommentiert das geplante Prostitutionsgesetz der Bundesregierung mit den Worten, „für eine Lümmeltütenpolizei haben wir nicht genügend Personal“.
Nach den Krawallen beim Blockupy-Protest in Frankfurt preschte er mit der Forderung nach einer Neudefinition des Landfriedensbruchs vor: Bei gewalttätigen Demos sollte künftig auch bestraft werden, wer sich nach Aufforderung nicht aus einer gewalttätigen Menge entfernt. Und vor dem G7-Gipfel im Juni in Elmau würde er am liebsten das Schengen-Abkommen aussetzen und Grenzkontrollen einführen. Begründung: „Wir haben genug deutsche Krawallmacher, da brauchen wir nicht noch welche aus anderen Ländern.“
Ein besondere Reizfigur ist Wendt für viele Fußballfans, seitdem der Anhänger von Borussia Mönchengladbach nach Stadionkrawallen ein Verbot von Stehplätzen forderte. Die Facebook-Seite „Rainer Wendt – Rücktritt jetzt!“ hat 3000 Likes.
Wendt kennt sich auf der Straße aus
Trotzdem macht es sich zu leicht, wer ihn als reinen Dampfplauderer abqualifiziert. Beim einflussreichen Beamtenbund sitzt er im Bundesvorstand und leitet die Fachkommission Innere Sicherheit. Im Verband hoffen einige sogar, der scharfzüngige Redner werde 2017 den biederen Vorsitzenden Klaus Dauderstädt beerben (was Wendt bislang ausschließt). Vor allem aber kennt sich der Kommissar auf der Straße aus. Er war gut 25 Jahre im Schichtdienst bei der Schutzpolizei Duisburg, unter anderem im Schimanski-Bezirk Ruhrort, wo das Klima besonders rau ist. Selbst ärgste Kritiker werfen ihm daher nicht vor, er habe keine Ahnung vom Polizeialltag.
Seinen Kampf für effizienteren Personaleinsatz, mit dem er den Landesinnenministern derzeit auf die Nerven geht, führt er ungewohnt dezent im Hintergrund, etwa in Gesprächen mit Bundesjustizminister Heiko Maas. Jüngst war auch Sachsens Innenminister Markus Ulbig zu Besuch bei ihm in Berlin. „Die Polizei arbeitet am Limit, die Einsatzverdichtung ist dramatisch. Das liegt auch an vielen fragwürdigen Aufgaben, die uns der Gesetzgeber aufdrückt“, schimpft Wendt. So müssten Heerscharen von Polizisten Schwertransporte auf Autobahnen begleiten, obwohl das auch Privatfirmen erledigen könnten – wenn die Regierung eine Verwaltungsvorschrift änderte. Nach Radarkontrollen müssten zudem jeden Monat Tausende von Polizisten ihre Zeit damit verplempern, die Fahrer zu ermitteln – wenn der Autobesitzer es nicht war und keine Angaben zum Fahrer macht. „In vielen anderen Ländern gilt die Halterhaftung: Der Besitzer muss zahlen oder sagen, wer gefahren ist“, sagt Wendt.
Steiler Aufstieg
Wendt ist ein Kind des Ruhrgebiets. Er wächst mit sieben Geschwistern unter schwierigen Verhältnissen in Duisburg auf. Der Vater verlässt die Familie und nimmt sich später das Leben, die Mutter bringt die Familie irgendwie durch. Nach Haupt- und Handelsschule bewirbt sich Wendt erfolgreich bei der Polizei, muss die schulterlangen Haare abschneiden und ist mit 19 Jahren Hauptwachtmeister. Er macht das Abitur nach, will plötzlich Lehrer werden, studiert Deutsch, Geschichte und Erziehungswissenschaft, bricht wieder ab und lässt sich an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung zum Diplom-Verwaltungswirt ausbilden. Bei der Duisburger Polizei wird er Dienstgruppenleiter von rund 20 Leuten. Dann beginnt seine Gewerkschaftskarriere. 1997: Landesvorsitzender in NRW, 2007: Bundesvorsitzender.
Kleine Gewerkschaften mit großer Macht
Der „Verband der Verkehrsflugzeugführer und Flugingenieure in Deutschland“ setzt sich für die Interessen von rund 9300 Cockpit-Besatzungsmitgliedern aus allen deutschen Airlines und von Verkehrshubschrauberführern ein.
Zu den etwa 3900 Mitgliedern gehören Lotsen in den Towern, bei der militärischen Flugsicherung und bei den Vorfeldkontrollen.
Nach eigenen Angaben ist sie die einzige deutsche Gewerkschaft, die sich ausschließlich für das fliegende Kabinenpersonal einsetzt. Die Ufo hat gut 10 000 Mitglieder.
Die erst Ende 2012 gegründete Gruppierung gilt als neuer Machtfaktor im Lufthansa-Konzern. Nach eigenen Angaben vertritt sie alle Beschäftigten von Fluggesellschaften, Airportbetreibergesellschaften und Dienstleistungsunternehmen mit Bezug zur Luftfahrtbranche.
Sie hat rund 34.000 Mitglieder und ist Tarifpartner der Deutschen Bahn und mehrerer Privatbahnen. Nach eigenen Angaben organisiert sie mehr als 80 Prozent der Lokomotivführer und zahlreiche Zugbegleiter.
Die nach eigenen Angaben einzige tariffähige Ärztegewerkschaft in Deutschland kämpft unter anderem für bessere Arbeitsbedingungen ihrer rund 115 000 Mitglieder in Kliniken.
Seinen Kampf gegen die GdP um Macht und Mitglieder führt er beinhart. Der Organisationsgrad bei der Polizei liegt traditionell bei über 70 Prozent. Hier gibt es für Gewerkschaften also einiges zu holen – zumal viele Bundesländer geplante Stellenstreichungen auf Eis gelegt haben oder wie NRW sogar zusätzliche Polizisten einstellen. Wendt gibt zu, dass seine Truppe gezielt Mitglieder von der GdP abwirbt. Die DPolG hat derzeit das Sagen in den Personalräten in Bayern, Baden-Württemberg und Hamburg.
Wettkampf auch im "Tatort"
Mit GdP-Chef Oliver Malchow, einem bedächtigen Norddeutschen, versteht sich Wendt gut. Doch auf den unteren Ebenen gibt es „unglaublich viel böses Blut“, berichtet ein hoher GdP-Funktionär, der die Wendt-Truppe für eine „Billigheimer-Gewerkschaft“ hält, die mit Dumpingbeiträgen arbeite. Die DPolG kontert mit dem Vorwurf, in vielen Dienststellen verhinderten der GdP nahestehende Vorgesetzte die Karriere von Polizisten aus der DPolG.
Den gewerkschaftlichen Bruderkampf führt Wendt bis in den ARD-Tatort hinein. Wenn er den TV-Kollegen beim Ermitteln zuschaut, ärgert er sich „über jede Tasse mit GdP-Logo, die ins Bild kommt“. Ehefrau Anita, stellvertretende DPolG-Geschäftsführerin in Bayern, hat daher den Auftrag bekommen, TV-Produktionsfirmen mit Devotionalien der Wendt-Gewerkschaft auszustatten.
Wendts Ziel für die nächste Amtsperiode ist es, „in drei weiteren Bundesländern stärkste Polizeigewerkschaft zu werden“. Und wenn es mit der Wiederwahl wider Erwarten nicht klappt? Dann könnte er wieder auf Streife gehen. Seine Dienstwaffe lagert noch in der Duisburger Polizeiwache – und auch als Gewerkschaftsboss ist er regelmäßig zur Schießübung erschienen.