Durch Größenwachstum, ist Rossol überzeugt, würde nicht nur die Qualität seiner Dienstleistungen leiden. Die Unternehmenskultur würde leiden, glaubt er. Das vertrauensvolle Miteinander im kleinen Team wäre gefährdet. Rossol selbst müsste sich aus dem operativen Geschäft zurückziehen und würde den direkten Kundenkontakt verlieren. Und das alles will er nicht.
Die Ökonomen des IÖW haben aus ihrem Projekt vor allem eine Erkenntnis gewonnen: Immer weiter wachsen zu müssen, ist kein Wesensbestandteil des Unternehmertums an sich. Von 697 kleinen und mittleren Unternehmen mit bis zu 499 Beschäftigten, die an einer nicht repräsentativen Umfrage im Rahmen des IÖW-Projekts teilnahmen, streben 34 Prozent kein oder kaum weiteres Wachstum an, 25 Prozent schließen es nicht aus, haben aber kein strategisches Wachstumsziel, nur 2 Prozent sind „auf starkes Wachstum ausgerichtet“.
Wer vom Boom bei den Öko-Lebensmitteln profitiert
Umsatz 2013: 7,55 Milliarden Euro
Umsatz 2014: 7,91 Milliarden Euro
Quelle: Arbeitskreis Biomarkt
Lebensmittelhandel einschließlich Drogeriemärkte
Anteil am Gesamtmarkt: 53 Prozent
Umsatz 2013: 4,06 Milliarden Euro
Umsatz 2014: 4,21 Milliarden Euro
Naturkostfachgeschäfte
Anteil am Gesamtmarkt: 33 Prozent
Umsatz 2013: 2,40 Milliarden Euro
Umsatz 2014: 2,62 Milliarden Euro
Sonstige
Bäckereien, Metzgereien, Obst/Gemüse-Fachgeschäfte, Wochenmärkte, Ab-Hof
Anteil am Gesamtmarkt: 14 Prozent
Umsatz 2013: 1,10 Milliarden Euro
Umsatz 2014: 1,09 Milliarden Euro
Jenseits der öffentlichen Wachstumsfixierung der Standard-Ökonomie, der Politik und des Wirtschaftsjournalismus gibt es also ein Wirtschaftsleben in selbstgewählter, bewusster Stagnation. So sehr stehen diese Unternehmen aber bislang im Schatten der Aufmerksamkeit, dass die betriebswirtschaftliche Frage, wie man ein solches Postwachstumsunternehmen führt, bei Hochschulen, ökonomischen Instituten und Industrie- und Handelskammern noch nicht einmal aufgekommen ist. Ein gigantisches Versäumnis, angesichts des auch von Ökonomen und Wirtschaftspolitikern nicht mehr zu ignorierenden Rückgangs der gesamtwirtschaftlichen Wachstumsmöglichkeiten. In die Lücke stoßen nur Außenseiter der Wirtschaftswissenschaft wie das IÖW.
Was haben die nicht wachsen wollenden und müssenden Unternehmen gemeinsam? Was unterscheidet sie von den im Fokus der Aufmerksamkeit sehr viel präsenteren Wachstumsunternehmen und jenen, für die Stagnation eine Katastrophe ist? Es sind kleine bis mittlere Unternehmen, in denen nicht nur Bilanzzahlen, sondern vor allem Qualitäten eine große Rolle spielen. Die Qualität der Produkte und die Qualität des Arbeitslebens der Angestellten.
IÖW-Unternehmensexpertin Jana Gebauer hat in der Projektstudie festgestellt, dass die „Postwachstumspioniere“ sich durch den Aufbau verlässlicher Partnerschaften zu anderen Unternehmen gegen Marktrisiken schützen können. Andere Unternehmen sehen sie oft eher als Mitstreiter oder „Kollegenfirmen“ denn als Konkurrenten.
Vor allem aber sind es durchwegs inhabergeführte Unternehmen. Die Entscheidung nicht oder zumindest nicht unbedingt wachsen zu wollen, liegt hier beim freien Unternehmer selbst, der sich nicht nur von inneren, sondern auch von äußeren Expansionszwängen frei gemacht hat.
Der Wachstumsdruck nämlich kommt – wenn er nicht in den Köpfen der Unternehmer steckt – vor allem von renditehungrigen Kapitalgebern. Zu den Postwachstumspionieren des IÖW gehört nicht zufällig kein Unternehmen, das nicht von den Unternehmern selbst geführt wird.
Alle betonen, wie die Autoren des IÖW feststellen, ihre Unabhängigkeit von Kapitaleignern und Finanzinstituten: „Mit ihrer Maxime, Geschäftstätigkeit und Investitionsbedarf aus eigenen Mitteln zu decken und Erträge im Wesentlichen zu reinvestieren, gelingt es den Unternehmer/innen, Kredite nur begrenzt aufnehmen zu müssen.“