Potentielle Grünen-Chefin Anja Piel „Ich habe nicht vor, gegen Robert Habeck zu kandidieren“

Die Fraktionsvorsitzende im niedersächsischen Landtag will Parteichefin der Bundesgrünen werden – allerdings nicht um jeden Preis. Gegen den Kieler Umweltminister Robert Habeck scheut sie eine Kandidatur.

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Die Grünen-Fraktionsvorsitzende in Niedersachsen tritt für den Parteivorsitz an – will aber nicht gegen Robert Habeck kandidieren. Quelle: dpa

Berlin Die Bundesgrünen wählen am Samstag auf ihrem Bundesparteitag in Hannover eine neue Parteispitze. Es gibt drei Kandidaten für die Doppelspitze, die nach den Statuten der Grünen mit zumindest einer Frau besetzt werden muss: Robert Habeck, Umweltminister und Vize-Regierungschef in Schleswig-Holstein, Annalena Baerbock, brandenburgische Bundestagsabgeordnete, sowie Anja Piel, seit Februar 2013 Fraktionschefin in Niedersachsen. Da der Frauenplatz zuerst besetzt wird, treten zunächst Annalena Baerbock und Anja Piel gegeneinander an.

Die 52-jährige gebürtige Lübeckerin hatte Anfang Januar angekündigt, für den Parteivorsitz zu kandidieren. Voraussetzung für Habecks Kandidatur ist eine Satzungsänderung: der Parteitag müsste dem Wunsch Habecks nach einer Übergangszeit, in der er weiterhin Minister in Kiel sein kann, stattgeben. Die Grünen-Satzung lässt derzeit keine solche Frist zu, so dass ein frisch gewählter Vorsitzender eigentlich am Tag nach seiner Wahl aus seinem Ministeramt scheiden müsste. Habeck pocht aber darauf, seine Aufgaben in Kiel geordnet an einen Nachfolger übergeben zu können. Wie eine Satzungsänderung im Detail aussehen könnte, darüber diskutiert der Parteitag am Freitag. Die bisherigen Parteichefs Cem Özdemir und Simone Peter treten nicht mehr als Kandidaten für den Vorsitz an.

Frau Piel, für Sie ist die Fortsetzung der Großen Koalition keine Lösung für Zukunftsfragen. „Wir bleiben gesprächsbereit“, haben Sie getwittert. Glauben Sie, dass es doch noch einen neuen Anlauf für Jamaika geben könnte, wenn Union und SPD scheitern? Oder einen Anlauf für eine Minderheitsregierung von CDU und Grünen?
Ich glaube, dass alles noch sehr offen ist. Der SPD ist es zwar am Sonntag gelungen, eine Mehrheit für Koalitionsverhandlungen zu organisieren, aber gleichzeitig erneut Nachverhandlungen angekündigt. Es bleibt also schwierig. Für den Fall, dass es am Ende, wenn die SPD-Mitglieder einer Großen Koalition zustimmen müssen, wieder knirscht, ist es nicht auszuschließen, dass es nochmal Gespräche geben wird.

Gespräche mit Union und FDP oder nur mit der Union?
So, wie ich FDP-Chef Christian Lindner verstanden haben, wird es mit den Liberalen keinen zweiten Anlauf geben.

Sie selbst haben gesagt, die Grünen „können mehr als Klima, Luft und Wälder“ – finden Sie, dass sich die Grünen zu sehr auf diese Themen konzentriert haben?
Auf keinen Fall. Ich glaube bloß, wir wären erfolgreicher bei der Umsetzung der Klimaziele, wenn wir uns thematisch breiter aufstellen und uns mehr Verbündete suchen würden. Wir müssen viel mehr den Schulterschluss mit gesellschaftlich wichtigen Gruppen suchen, um beim Schutz der Umwelt voranzukommen. Ich denke da zum Beispiel an die Gewerkschaften, denn es geht ja auch um Arbeitsplätze. Keinesfalls gehört aber dazu, die Automobilindustrie zu verteufeln oder die Autofahrer zu schikanieren. Vielmehr müssen wir uns gemeinsam in die Zukunft aufmachen. Das müssen wir in Zukunft noch viel deutlicher machen.

Und welche Themen sollten die Grünen mehr in den Fokus nehmen?
Vor allem die soziale Gerechtigkeit. Menschen, die Existenzängste haben, die haben den Kopf nicht frei für den dringend notwendigen ökologischen Aufbruch. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen diesen Freiraum bekommen.

Die Grünen haben sich im Bundestagswahlkampf ja sehr schwer getan – warum?
Das ist eine Frage, die wir noch gar nicht bis in Detail beantwortet haben. Warum wir trotz Klimawandel, trotz zunehmender Unwetter nicht in der Lage waren, ein zweistelliges Ergebnis einzufahren, das ist eine ungeklärte Frage. Ich möchte, dass wir uns während der Debatte über ein neues Grundsatzprogramm stärker mit dieser Frage beschäftigen.


„Ich hoffe, dass Robert Habeck kandidieren kann“

Das bisherige Grundsatzprogramm stammt aus dem Jahr 2002 – wann soll das neue stehen?
Es dauert so lange, wie es dauert. Das hört sich flapsiger an, als es gemeint ist. So etwas braucht einfach Zeit. Aber natürlich wissen wir gar nicht, wie die nächsten Monate aussehen werden, ob es Union und SPD gelingt, eine neue Bundesregierung zu bilden. Denn natürlich beeinflusst das die Frage, wie die nächsten Monate aussehen, auch die Arbeit an einem neuen Grundsatzprogramm.

Unabhängig davon, wie die Parteispitze sich am Ende aufstellt – sie wird jedenfalls neu besetzt. Hätte es nicht auch einen Neuanfang in der Fraktion geben müssen? Das wäre doch erst eine Aufbruchstimmung gewesen, wie sie Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt auch von SPD und Union fordert.
In der neuen Fraktion gibt es eine Mischung aus erfahrenen Kräften und jüngeren Köpfen. Ich finde, dass es gerade in instabilen Zeiten wie diesen, in denen wir noch nicht wissen, ob es möglicherweise doch zu Neuwahlen kommt, Sinn macht, an der Spitze der Fraktion an Katrin Göring-Eckardt und Toni Hofreiter festzuhalten.

Sie kandidieren für den Grünen-Vorsitz und weil der Frauenplatz als erstes besetzt wird, treten Sie zuerst gegen Annalena Baerbock an. Was ist, wenn Sie verlieren? Kandidieren Sie dann gegen Robert Habeck?
Erst einmal hoffe ich, dass der Parteitag am Freitagabend einen klugen Beschluss zur Satzung trifft, damit Robert Habeck kandidieren kann. Und dann versuche ich erst einmal, auf den Frauenplatz gewählt zu werden. Aus jetziger Perspektive habe ich nicht vor, gegen Robert Habeck zu kandidieren. Aber endgültig entscheidet sich das am Samstag.

Und von einer Satzungsänderung gehen Sie aus?
Es ist immer unglücklich, wenn man eine Änderung der Satzung mit einer Personalie verknüpft. Aber Robert Habeck ist ein so gutes Angebot an die Partei, dass ich davon ausgehe, dass es zu einer Einigung kommt.

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