Predigt zur Trauerfeier des Altkanzlers „Helmut Schmidt hat große Verantwortung getragen“

Er wählte den Pslam zu seiner Beerdigung selbst aus und gewährt Einsichten ins eigene Verständnis seines Schaffens. Das machte Helmut Schmidt aus – das und viel mehr, sagt Pastor Alexander Röder. Die Predigt im Wortlaut.

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Der Pastor hielt im Michel die Predigt auf der Totenmesser für den verstorbenen Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt. Quelle: ap

Hamburg Liebe Frau Loah, liebe Frau Schmidt-Kennedy, liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde, der Tod des großen Staatsmannes Helmut Schmidt hat Millionen Menschen in aller Welt tief berührt. Hier in Hamburg – seiner Stadt – wurden nicht nur vor dem Wohnhaus, sondern auch am Rathaus in großer Zahl Kerzen, Blumen, Bilder und Briefe niedergelegt, um Helmut Schmidt durch diese Zeichen die letzte Ehre zu erweisen. Geduldig haben viele Bürger gewartet, um ihren persönlichen Gruß in die ausliegenden Kondolenzbücher zu schreiben, als wäre ein guter Freund gegangen.

Es ist noch etwas anderes als ein ehrendes Andenken oder der Ausdruck hoher Wertschätzung. Es ist empfundene menschliche Nähe, die auf diese Weise ausgedrückt wird. Obwohl viele der Menschen, die ihre Trauer und ihren Respekt bezeugen, Helmut Schmidt wahrscheinlich niemals persönlich begegnet sind. Er ist für sie eine Autorität, ein Vorbild an Gradlinigkeit, Pflichtbewusstsein, Redlichkeit und Mut, Klugheit und Klarheit in seiner Haltung, manchmal auch Kantigkeit und zugleich Bodenständigkeit. So bleibt er in Erinnerung auch über seinen Tod hinaus.

Helmut Schmidt hat sich für seine Trauerfeier ein Wort aus den Psalmen gewählt, das von Mühe spricht, sogar von vergeblicher Mühe: Unser Leben währet 70 Jahre, und wenn's hoch kommt, so sind's 80 Jahre, und was daran köstlich scheint, ist doch nur vergebliche Mühe.

In diesen Worten ist nicht nur die Einsicht in die Begrenztheit und Endlichkeit des menschlichen Lebens ausgedrückt, sondern zugleich die Erkenntnis, bei allem Bemühen am Ende nicht wirklich viel bewegen zu können mit dem eigenen Tun.

Helmut Schmidt hat sich Zeit seines Lebens nicht von der skeptischen Einsicht leiten lassen, die aus den Worten des Psalms spricht, sondern große Verantwortung übernommen und getragen, um Richtiges zu tun und nicht Vergebliches – für Hamburg und als Minister und als Bundeskanzler für unser Land. Und er hat diese Verantwortung als eine Verpflichtung über seine aktive Zeit in der Politik hinaus verstanden, hat sich im Alter nicht zurückgezogen in die Privatheit, sondern als Publizist bis zuletzt aktiv und kritisch an der politischen Meinungsbildung mitgewirkt.

Bei aller Entschlossenheit und allem wortgewandten Streiten um Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit lässt die Wahl gerade dieses Bibelwortes für diese Trauerfeier eine große Stärke anklingen. Helmut Schmidt wusste, dass zur Stärke einer so großen Persönlichkeit, wie er es war, auch das Wissen um die Schwächen eines Menschen gehören: die Einsicht, Fehler zu machen, und niemals allen Menschen gerecht werden zu können, darum auch Schuld auf sich zu laden; vor allem aber: Nicht alles zu können und nicht Herr der Geschichte zu sein.

Den Psalmbeter lässt diese Erkenntnis am Ende die Hoffnung schenkende Nähe Gottes suchen, der ihm fremd geworden war.


„Ein langes und reiches Leben hat sich nun vollendet“

Helmut Schmidt ist bewusst einen anderen Weg gegangen. Er hat offen darüber gesprochen und zugleich Haltepunkte gefunden in Glaubensäußerungen anderer Menschen: Johann Sebastian Bach und sein Musik gewordener Glaube ist so ein Haltepunkt.

„Der Geist hilft unser Schwachheit auf“ – Bach hat die Worte des Apostels Paulus aus dem Römerbrief auf seine Weise interpretiert und in eine Weite geführt, die Räume öffnet für eigenes Empfinden, für Nachdenken und Weiterdenken und auch für Stützung und Halt und Trost in Stunden der Bedrängnis, von Gefahr oder großer Not. Helmut Schmidt hat solche Stunden durchlebt in seiner politischen Verantwortung als Bundeskanzler, als schon damals terroristische Verbrechen abgewehrt werden mussten und dafür schwere Entscheidungen zu treffen waren – nicht ohne Leid und nicht ohne das Empfinden, an die Grenze der eigenen Fähigkeiten gelangt zu sein.  

Haltepunkte: Auch das Vaterunser war ihm ein solcher und das Abendlied von Matthias Claudius. Er selbst hat sie sich gewünscht für seinen Abschied hier im Michel.

Matthias Claudius, der fromme Aufklärer und der „begnadete Naive“, wie Helmut Schmidt ihn genannt hat, hat in der letzten Strophe seines Abendliedes  zusammengefasst, was er für die Nacht erbittet, was er für die Welt erbittet:

„So legt euch denn, ihr Brüder/in Gottes Namen nieder/kalt ist der Abendhauch./Verschon uns, Gott, mit Strafen,/Und lass uns ruhig schlafen!/ Und unsern kranken Nachbarn auch.“ „Hier ist die Liebe“ hat Helmut Schmidt diese Worte interpretiert. Hier ist der Blick, der den Schwachen und Bedürftigen nicht übersieht und die eigene Angewiesenheit nicht leugnet.

Hier ist die Nähe, die so viele Menschen empfinden, wenn sie an Helmut Schmidt denken, den hochgeehrten Politiker und verantwortungsvollen Diener unseres Landes. Hier ist die Nähe, die den Menschen Helmut Schmidt ausmachte. Ein langes und reiches Leben hat sich nun vollendet, und wir nehmen Abschied von Helmut Schmidt. Wir wollen es – wie es sein Wunsch war – mit einem Vaterunser tun und darin bitten, dass Gottes Wille auch an Helmut Schmidt geschehe im Himmel wie auf Erden. Amen.

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