Anfangs noch ködern die Kartellbehörden die beteiligten Kartellstraftäter mit aussichtsreichen Versprechen. So kann ein Unternehmen, das ein Verfahren ins Rollen bringt, straffrei ausgehen. Den anderen Übeltätern gewähren die Behörden zumindest Strafminderung, wenn sie umfänglich kooperieren. Einzige Voraussetzung: Die Unternehmen müssen sich blank machen, Interna ausplaudern und die Preismanipulationen detailliert schildern. Das Kartellrecht sichert den Unternehmen zu, dass die Geschäftsgeheimnisse vertraulich bleiben und die Ermittlungsakten für Außenstehende verschlossen bleiben. Im Falle des Aufzugskartells hat die EU-Kommission auf Dutzenden Seiten Marktanteile, Einzelumsätze, Lieferantenstruktur und konkrete Vertragskonditionen umfangreich dokumentiert – hochsensible Daten.
Doch der Schutz des Kartellrechts erweist sich inzwischen als brüchig. Richter des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm entschieden Ende 2013, dass die vier Unternehmen Otis, ThyssenKrupp, Schindler und Kone die Aufarbeitung des Falls so lange hinausgezögert hätten, dass sich der Schutz der Geschäftsgeheimnisse erübrigt habe. „Im Hinblick auf das mittlerweile eingetretene Alter der diesen Dokumenten zugrunde liegenden Informationen von mindesten knapp zehn Jahren“, heißt es in der Entscheidung, sei „der Grad der Vertraulichkeit dieser Informationen eher gering“. Einblick in die Akten für Geschädigte sei also berechtigt.
Um noch eins draufzusetzen, beantwortete das OLG auch jene Frage: Sind Absprachen über Preismanipulationen Betriebsgeheimnisse? Nein, so das Urteil. Es könne sich dabei nur um „die detaillierte Darstellung ordnungswidrigen Handelns“ handeln – und das ist wenig schützenswert.
Die Richter treiben die Unternehmen mit ihren Entscheidungen immer mehr in die Enge. Selbst indirekt Benachteiligte statten sie mit hohen Klagerechten aus.
Die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) beispielsweise kauften die Aufzüge für ihre Bahnhöfe weder von Otis, ThyssenKrupp, Schindler noch Kone. Doch im „Windschatten der Machenschaften dieses Kartells“ waren auch sie betroffen, argumentiert die Generalanwältin des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), Juliane Kokott, in ihrem Schlussantrag vor drei Wochen. Der Oberste Gerichtshof in Wien hatte den Fall an den EuGH verwiesen, der in der Regel den Schlussanträgen der Generalanwälte folgt. Die Kartellsünder sehen sich nun weiteren Klagen gegenüber.
Auch bei der Frage, ob die Europäische Kommission als Kartellbehörde gleichzeitig Schadensersatz fordern kann, wenn diese im Strudel von Preismanipulationen benachteiligt wurde, wählte der EuGH die härtere Gangart. Dummerweise hatten die vier Aufzughersteller nämlich der Kommission Aufzüge zu teuer verkauft. Der EuGH entschied 2012: Die Kommission darf Richter und Kläger in einem sein.