Preisabsprachen Keine Gnade mit dem Aufzugs-Kartell

Richter zwingen die Kartellsünder mit hohen Strafen und harten Auflagen in die Knie. Das verbessert die Aussicht auf hohen Schadensersatz für die geschädigten Städte.

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Die spektakulärsten Kartellfälle
Verdacht verbotener Preisabsprachen im Großhandel mit Pflanzenschutzmitteln Quelle: dpa
Jemand fährt Fahrrad auf einem gepflasterten Weg Quelle: dpa/dpaweb
Magna Quelle: AP
Anna Kurnikova Quelle: dpa
U-Bahn Quelle: AP
Schriftzug von Villeroy und Boch Quelle: dpa
Bratwürste Quelle: dpa

Wolfgang Hinze staunte nicht schlecht, als Mitte Januar ein Anwaltsschreiben des Fahrstuhlherstellers Otis auf seinem Tisch lag. Der oberste Richter für Handelssachen am Landgericht (LG) Berlin behandelt einen schweren Fall von Wirtschaftskriminalität. Jahrelang hatten Hersteller die Preise für Aufzüge und Rolltreppen an Bahnhöfen abgesprochen, Geschäftsgebiete und Marktanteile untereinander aufgeteilt. Hinze sollte über die Höhe des Schadensersatzes urteilen. Doch das „Verhalten des Herrn Vorsitzenden“, so heißt es in dem Schreiben von Otis, gebe Anlass zur „Besorgnis der Befangenheit“. Richter Hinze, so der Vorwurf, habe sich auf die Seite der Kläger geschlagen. Daher die Forderung: „Der Herr Vorsitzende“ möge doch bitte vom Fall abgezogen werden.

Hinze dagegen meint, er habe nur seine Arbeit getan, um „Waffengleichheit“ herzustellen, wie er in seiner Erwiderung schreibt, die der WirtschaftsWoche vorliegt. Deswegen habe er im Sommer vergangenen Jahres Akten bei der Staatsanwaltschaft in Düsseldorf bestellt, die vor vielen Jahren Zeugen des Aufzugskartells befragt und Ermittlungen angestrengt hatte. Amtshilfe, nichts Ungewöhnliches. So sollten die geschädigten Städte und Nahverkehrsunternehmen erkennen können, in welchen Bahnhöfen überteuerte Rolltreppen und Fahrstühle eingebaut wurden. Für Otis ist das jedoch ein eindeutiger Beweis der Parteinahme.

Dass Otis das seit Jahren laufende Verfahren mit einem Befangenheitsantrag nun weiter in die Länge zieht, zeigt jedoch, wie verzweifelt die Unternehmen gegen die Übermacht der Gerichte inzwischen geworden sind. Seit Jahren setzen die Behörden bei Preisabsprachen und Marktmanipulationen nicht nur hohe Strafen gegen die Übeltäter fest. Sie ziehen auch bei der Ermittlung des Schadensersatzes die Daumenschrauben an. Immer dann, wenn die Unternehmen sich mit juristischen Kniffen aus der Affäre ziehen wollen, wird es für sie noch schlimmer.

Ein Beispiel dafür ist das Aufzugskartell, das von 1995 bis 2003 in Europa sein Unwesen trieb. Die Schuldfrage ist längst geklärt. Die Europäische Kommission hat die Hersteller Otis, ThyssenKrupp, Schindler und Kone bereits 2007 zu einer Strafe in Höhe von 831 Millionen Euro verdonnert, nachdem ein Tippgeber das Kartell 2003 auffliegen ließ. Nun fordern Städte wie Essen, Nürnberg, Dortmund, Bielefeld und Köln sowie die Deutsche Bahn, die Berliner Verkehrsbetriebe und die Hamburger Hochbahn Schadensersatz in Höhe von rund 90 Millionen Euro.

Kartellbehörden ködern Straftäter

Millionenbuße gegen Briefumschlag-Hersteller
BriefumschlägeVerbraucher in Europa haben jahrelang zu viel für Briefumschläge gezahlt. Wegen unerlaubter Zusammenarbeit mit Konkurrenten müssen der Heilbronner Briefumschlag-Hersteller Mayer-Kuvert und vier weitere Firmen ein Bußgeld von insgesamt fast 19,5 Millionen Euro zahlen, entschied die Brüsseler EU-Kommission am 11. Dezember 2014. Auf Mayer-Kuvert entfallen dabei knapp 5 Millionen Euro. Ebenfalls an dem Kartell beteiligt waren die schwedische Firma Bong, der spanische Hersteller Tompla sowie GPV und Hamelin aus Frankreich. Mayer-Kuvert hat inzwischen GPV übernommen. Die Firmen haben sich nach Erkenntnissen der EU-Kommission von Oktober 2003 bis April 2008 abgesprochen - Hamelin stieß allerdings erst im November 2003 dazu. „Mehr als vier Jahre lang haben diese Umschlaghersteller, anstatt in fairen Wettbewerb zu treten, künstliche Preiserhöhungen in einer Reihe von Mitgliedsstaaten vereinbart“, so EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. „Das Kartell wurde von Top-Managern betrieben.“ Quelle: dpa
LebensmittelkonservenVerbraucher in ganz Europa haben mehr als ein Jahr lang zu viel für Pilzkonserven bezahlt. Die Hersteller Bonduelle, Prochamp und Lutèce haben ab September 2010 Preise abgesprochen und den Markt untereinander aufgeteilt. Die EU-Kommission verhängte deshalb im Juni 2014 gegen die französische Firma Bonduelle eine Geldstrafe in Höhe von 30,2 Millionen Euro, auf Prochamp aus den Niederlanden entfallen zwei Millionen Euro - das Unternehmen profitiert von einer Minderung der Strafe um 30 Prozent, weil es mit der EU-Kommission kooperierte. Lutèce aus den Niederlanden kommt ungeschoren davon, da es die Wettbewerbshüter auf die unerlaubte Zusammenarbeit aufmerksam machte. Betroffen waren Pilze in Dosen und Gläsern, die als Eigenmarken des Handels verkauft wurden. Quelle: Screenshot
BiermarktDas Kartellamt hat im April 2014 entschieden: 231,2 Millionen Euro Bußgeld müssen die Brauereien zahlen. Mitte Januar 2013 hatte das Bundeskartellamt bereits Bußgelder in Höhe von 106,5 Millionen Euro verhängt. Kartellamtspräsident Andreas Mundt sagt, es sei sehr unwahrscheinlich, dass sich Brauereien nach diesem Verfahren noch einmal in Absprachen wagen würden. Es geht um Vorgänge aus den Jahren 2006 bis 2008. Betroffen sind unter anderem Bitburger, Krombacher, Veltins und Warsteiner. Die Branche soll Preiserhöhungen für Fass- und Flaschenbier abgesprochen haben. Bei Flaschenbier sei dabei der Preis für einen Kasten Bier 2008 um einen Euro gestiegen. Das Kartellverfahren geht auf Informationen des Beck's-Herstellers Anheuser-Busch InBev Germany zurück, der als Kronzeuge ohne Geldbuße bleibt. Mit dem neu verhängten Bußgeld addiert sich die Summe auf fast 340 Millionen Euro auf - eine der höchsten Strafe in der Geschichte des Kartellamtes. Die auf Ernährung spezialisierte Verbraucherschützerin Silke Schwartau von der Verbraucherzentrale Hamburg bezifferte den Schaden allein durch die Absprachen über das Flaschenbier in einem Jahr - grob geschätzt - auf über 400 Millionen Euro. Quelle: dpa
KugellagerDie EU-Kommission hat im März 2014 gegen den Autozulieferer Schaeffler und mehrere andere Firmen wegen verbotener Preisabsprachen bei Kugellagern ein Bußgeld von insgesamt fast einer Milliarde Euro verhängt. Die höchste Strafe entfalle auf Schaeffler mit 370,5 Millionen Euro, teilten die Wettbewerbshüter mit. Der schwedische Konzern SKF müsse 315,1 Millionen Euro zahlen. Zudem seien mehrere japanische Firmen verdonnert worden. Das Kartell habe von 2004 bis 2011 Preise abgesprochen. Quelle: dpa
Preisabsprachen bei TapetenHeimwerker haben nach Ermittlungen des Bundeskartellamtes von Ende Februar 2014 jahrelang zu viel Geld für Tapeten bezahlt. Die Bonner Wettbewerbsbehörde verhängte gegen vier Hersteller und ihren Verband wegen unerlaubter Preisabsprachen Bußgelder in Höhe von 17 Millionen Euro. Zwischen 2005 und 2008 hätten die in Deutschland führenden Unternehmen zu Lasten ihrer Kunden auf Verbandstagungen Preiserhöhungen abgesprochen, erklärte Kartellamtspräsident Andreas Mundt. Auf den Marktführer A.S. Création Tapeten AG entfällt allein eine Summe von 10,5 Millionen Euro. In einer Pflichtmitteilung an die Börse kündigte das Gummersbacher Unternehmen an, beim Oberlandesgericht in Düsseldorf Einspruch gegen den Bescheid des Kartellamtes einzulegen. Die Behörde habe die Argumente, die gegen kartellrechtliche Verstöße sprechen, nicht ausreichend gewürdigt. Außerdem sei die Höhe der Bußgelder unangemessen, hieß es zur Begründung. Die Tapetenfabrik Rasch, die den Fall als Kronzeuge ins Rollen gebracht hatte, kam in den Genuss der Bonusregelung und damit ohne Geldbuße davon. Neben A.S. Création wurden auch gegen die Marburger Tapetenfabrik Schaefer, Erismann (Breisach), Pickhardt + Siebert (Gummersbach) und den Verband Deutscher Tapetenfabriken Geldbußen verhängt. In dem Fall sei eine Funktion dazu missbraucht worden, die Absprache der Hersteller aktiv zu unterstützen, betonte Mundt. Quelle: dpa
Preisabsprachen bei Haushalts- und Industriezucker Das Bundeskartellamt hat im Februar 2014 gegen drei große deutsche Zuckerhersteller wegen verbotener Absprachen Bußgelder in Höhe von rund 280 Millionen Euro verhängt. Die Wettbewerbsbehörde wirft den Unternehmen Pfeifer & Langen, Südzucker und Nordzucker vor, sich über viele Jahre hinweg über Verkaufsgebiete, Quoten und Preise abgesprochen zu haben. Ziel sei es gewesen, möglichst hohe Preise für Haushalts- und Industriezucker zu erzielen. Teilweise sei es durch die Kartellrechtsverstöße nach Aussagen von Industriekunden zu erheblichen Preissteigerungen und sogar zu Versorgungsengpässen gekommen. Quelle: dpa
Preisabsprachen bei GummiteilenWegen jahrelanger Preisabsprachen bei Gummiteilen muss der Autozulieferer Bridgestone eine Strafe von 425 Millionen Dollar (311 Millionen Euro) zahlen. Das Justizministerium geht seit einiger Zeit scharf gegen Kartelle in der Autozulieferbranche vor. Insgesamt 26 Firmen haben sich schuldig bekannt oder angekündigt, dies zu tun. Die Strafen summieren sich mittlerweile auf mehr als zwei Milliarden Dollar. Bridgestone trifft es nun besonders hart, weil das Unternehmen vor zweieinhalb Jahren schon einmal für Absprachen belangt wurde und damals mit 28 Millionen Dollar büßte. Bridgestone verdient sein Geld zwar weiterhin überwiegend mit Reifen, produziert jedoch unter anderem auch Fahrwerkskomponenten. Im Fall von Februar 2014 ging es um Gummiteile, die zur Schwingungsdämpfung im Auto eingesetzt werden. Die Absprachen zwischen verschiedenen Herstellern haben nach Erkenntnissen der US-Justiz von Anfang 2001 bis Ende 2008 gedauert. Zu den Geschädigten gehörten demnach unter anderem die Autobauer Toyota und Nissan. Sie haben auch Werke in den USA. Bridgestone kündigte an, dass die beteiligten Mitarbeiter zur Rechenschaft gezogen würden. Zugleich versicherte das Unternehmen, dass das Management nichts gewusst habe. Führungskräfte würden auf einen Teil ihres Gehalts verzichten, „um das aufrichtige Bedauern für diesen Vorfall zu unterstreichen“, wie Bridgestone erklärte. Quelle: dapd

Anfangs noch ködern die Kartellbehörden die beteiligten Kartellstraftäter mit aussichtsreichen Versprechen. So kann ein Unternehmen, das ein Verfahren ins Rollen bringt, straffrei ausgehen. Den anderen Übeltätern gewähren die Behörden zumindest Strafminderung, wenn sie umfänglich kooperieren. Einzige Voraussetzung: Die Unternehmen müssen sich blank machen, Interna ausplaudern und die Preismanipulationen detailliert schildern. Das Kartellrecht sichert den Unternehmen zu, dass die Geschäftsgeheimnisse vertraulich bleiben und die Ermittlungsakten für Außenstehende verschlossen bleiben. Im Falle des Aufzugskartells hat die EU-Kommission auf Dutzenden Seiten Marktanteile, Einzelumsätze, Lieferantenstruktur und konkrete Vertragskonditionen umfangreich dokumentiert – hochsensible Daten.

Doch der Schutz des Kartellrechts erweist sich inzwischen als brüchig. Richter des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm entschieden Ende 2013, dass die vier Unternehmen Otis, ThyssenKrupp, Schindler und Kone die Aufarbeitung des Falls so lange hinausgezögert hätten, dass sich der Schutz der Geschäftsgeheimnisse erübrigt habe. „Im Hinblick auf das mittlerweile eingetretene Alter der diesen Dokumenten zugrunde liegenden Informationen von mindesten knapp zehn Jahren“, heißt es in der Entscheidung, sei „der Grad der Vertraulichkeit dieser Informationen eher gering“. Einblick in die Akten für Geschädigte sei also berechtigt.

Die höchsten Kartellstrafen der EU-Kommission Quelle: EU-Kommission

Um noch eins draufzusetzen, beantwortete das OLG auch jene Frage: Sind Absprachen über Preismanipulationen Betriebsgeheimnisse? Nein, so das Urteil. Es könne sich dabei nur um „die detaillierte Darstellung ordnungswidrigen Handelns“ handeln – und das ist wenig schützenswert.

Die Richter treiben die Unternehmen mit ihren Entscheidungen immer mehr in die Enge. Selbst indirekt Benachteiligte statten sie mit hohen Klagerechten aus.

Die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) beispielsweise kauften die Aufzüge für ihre Bahnhöfe weder von Otis, ThyssenKrupp, Schindler noch Kone. Doch im „Windschatten der Machenschaften dieses Kartells“ waren auch sie betroffen, argumentiert die Generalanwältin des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), Juliane Kokott, in ihrem Schlussantrag vor drei Wochen. Der Oberste Gerichtshof in Wien hatte den Fall an den EuGH verwiesen, der in der Regel den Schlussanträgen der Generalanwälte folgt. Die Kartellsünder sehen sich nun weiteren Klagen gegenüber.

Auch bei der Frage, ob die Europäische Kommission als Kartellbehörde gleichzeitig Schadensersatz fordern kann, wenn diese im Strudel von Preismanipulationen benachteiligt wurde, wählte der EuGH die härtere Gangart. Dummerweise hatten die vier Aufzughersteller nämlich der Kommission Aufzüge zu teuer verkauft. Der EuGH entschied 2012: Die Kommission darf Richter und Kläger in einem sein.

Keine Verteidigungsstrategie zu peinlich

Bei der Gemengelage erstaunt es umso mehr, dass Otis bei seiner Verteidigungsstrategie kein Mittel zu peinlich ist. Nun setzen die Verteidiger also auf die zweifelhafte Nummer der Befangenheit. Der Richter gilt Otis zufolge als Komplize von Deutsche Bahn, Nahverkehrsbetrieben und Stadtverwaltungen. Deren Vertreter schütteln den Kopf über die „juristischen Winkelzüge“, sagt ein Beteiligter. Man sei auf das „Schlammschlacht-Niveau“ abgesunken. Bei Otis wollte man „laufende Verfahren grundsätzlich nicht kommentieren“.

Die Kartellunternehmen tun sich mit ihrer Taktik so oder so keinen Gefallen. Denn den eigentlichen Schaden schätzen die betroffenen Städte und Bahnen auf nur rund 46 Millionen Euro. Jeden Tag wird der Betrag aber mit einem hohen einstelligen Prozentsatz verzinst – eine „gute Geldanlage“, heißt es aus Kreisen der Geschädigten. Inzwischen übersteigt die Zinsbelastung den Schaden. Hinzu kommen Forderungen aus Österreich, Belgien und den Niederlanden. Europaweit könnten die vier gezwungen werden, Schadensersatz von bis zu 200 Millionen Euro zu zahlen.

Vielleicht greifen die Unternehmen dann auch dort noch zu bemerkenswerten Argumenten. Der Nachweis, ob „der Herr Vorsitzende“ am Landgericht Berlin „tatsächlich befangen“ sei, sei ohnehin „nicht erforderlich“, heißt es in dem Antrag von Otis. Bereits der „böse Schein“ reiche aus. „Es ist allein entscheidend, ob eine vernünftig denkende Partei Anlass zu Zweifeln an der Unvoreingenommenheit des Richters hätte.“

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