Preisbindung für Arzneimittel Was verdient ein Apotheker?

Der Europäische Gerichtshof hat die Preisbindung für Arzneimittel in Deutschland gekippt. Das ist ein Frontalangriff auf das Geschäftsmodell der Apotheken. Doch wie stark trifft das Urteil ihre Inhaber tatsächlich?

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Werden die Apotheken durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zu sehr benachteiligt? Quelle: dpa

Frankfurt/Berlin Stephanie Röhm, Inhaberin der Ilsen-Apotheke in Köln, kann es kaum fassen. „Wir rechnen damit, dass ein erheblicher Teil unseres Umsatzes jetzt ins Ausland abfließt“, klagt die Chefin von 15 Mitarbeitern. Was ihr große Sorge bereitet: Am Mittwoch hatte der Europäische Gerichtshof in Luxemburg entschieden, dass ausländische Versandapotheken wie DocMorris die in Deutschland geltenden Festpreise für verschreibungspflichtige Arzneimittel unterbieten dürfen.

Bestellungen im Ausland werden damit billiger als der Apothekenbesuch. „Viele Apotheker müssen damit rechnen, dass ihnen am Jahresende nur noch 50.000 Euro Verdienst übrig bleiben“,  fürchtet Röhm. „Als Angestellter in der Industrie würde ich dann am Ende mehr verdienen“, sagt sie, „und das ohne Geschäftsrisiko und Personalverantwortung.“

Wie es mit den Verdienstmöglichkeiten der 20.249 Apotheken in Deutschland tatsächlich aussieht, hat das Institut für Handelsforschung (IFH) ermittelt – mit einem auf den ersten Blick ernüchternden Ergebnis: Vom Umsatz blieb den Arzneimittel-Läden, die im Durchschnitt 2,11 Millionen Euro erlösten, zuletzt gerade einmal 1,5 Prozent Betriebsgewinn – also knapp 32.000 Euro.

Doch die Zahl ist trügerisch. Denn hinzu kommt stets das Geschäftsführer-Gehalt, das sich der Apotheker aus dem laufenden Betrieb auszahlt. „Betriebsgewinn und Geschäftsführer-Gehalt summierten sich im Durchschnitt auf 118.000 Euro“, ermittelte IFH-Experte Nicolaus Sondermann. Davon aber, schränkt er ein, seien kalkulatorische Zinsen oder Mieten abzuziehen, falls eigene Geschäftsräume genutzt werden.

Die Spanne zwischen armen und reichen Apothekern ist beachtlich. Arzneimittelhändler mit weniger als einer Million Euro Jahresumsatz – nach Berechnungen des Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) ist dies jeder Zehnte – schrieben laut IFH fast ausnahmslos rote Zahlen. Bei Jahreserlösen von über drei Millionen Euro lagen die Gewinne anderseits weit über dem Durchschnitt.

Allerdings sind Großapotheken in Deutschland eher die Seltenheit. Während 60 Prozent der Arzneimittelhändler weniger umsetzen als den Durchschnittswert von 2,11 Millionen Euro, schafften nicht einmal drei von hundert einen Jahreserlös von mehr als fünf Millionen Euro.

Schuld daran ist das Verbot, mehr als drei Filialen zu unterhalten – wobei laut ABDA gerade einmal jede fünfte Apotheke überhaupt eine weitere Geschäftsstelle besitzt.

Hinzu kommt, dass die Verdienstmöglichkeiten der Apotheken streng reglementiert sind – durch die gesetzlichen Vorgaben der Arzneimittel-Preisverordnung. Danach schlägt der Apotheker beim Verkauf von Arzneimittelpackungen drei Prozent auf seinen eigenen Einkaufspreis drauf, zuzüglich eines Fixzuschlags von 8,35 Euro pro Packung. Die gesetzlichen Krankenkassen erhalten von dem Apothekenhonorar jedoch pro Fertigarzneimittelpackung 1,77 Euro Rabatt, den „Apothekenabschlag“.

Für das Asthma-Spray Berodual N, das bundesweit jährlich über eine halbe Millionen Mal abgerechnet wird, zahlt der Apotheker beispielsweise 52,81 Euro im Einkauf. Nach der Formel der Arzneimittel-Preisverordnung bleibt ihm dabei effektiv eine Vergütung von 8,44 Euro. Eine schlechte Marge ist das nicht. Und die Vergütungen der Apotheken sind in den vergangenen Jahren dank der Gesundheitspolitiker auch tüchtig gestiegen. So stieg zwischen 2013 und 2015 das durchschnittliche steuerliche Betriebsergebnis einer Apotheke immerhin von 127.000 auf 136.000 Euro. Davon entfielen 80.000 Euro auf Zahlungen der gesetzlichen Krankenkassen für rezeptpflichtige Medikamente.

Gerade hat das Bundeskabinett den Entwurf des Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetzes beschlossen. Auch dieses Gesetz bringt den Apothekern mehr Geld. So legt der Entwurf unter anderem fest, dass sie ab 2017 mehr Geld für die Abgabe von Rezepturen und Betäubungsmitteln (BTM) erhalten. 8,35 Euro soll es für Rezepturen, 2,91 Euro für BTM-Rezepte geben. Doch wichtiger ist eine weitere Neuregelung.

Monopolkommission und Rechtexperten warnen

Nur rund 300 Apotheken haben in Deutschland die Berechtigung, aus Fertigarzneimitteln individuelle Rezepturen für die Krebstherapie herzustellen. Diese Zubereitungen werden nicht nur mit rund 80 Euro besonders gut vergütet. Die Hersteller der Zutaten haben den Apotheken in der Vergangenheit ihre Produkte auch im Ergebnis zu besonders günstigen Konditionen weit unter Listenpreis zur Verfügung gestellt. Viele dieser Apotheker sind dadurch zu Millionären geworden.

Am Ende hat das sogar die Gesundheitspolitik auf den Plan gerufen. Sie schrieb einen Paragraphen ins Gesetzbuch, der es Krankenkassen erlaubt, diese besondere Dienstleistung der Apotheken öffentlich auszuschreiben. Lange sind die Krankenkassen davor zurückgeschreckt, das in die Tat umzusetzen.

Seit einigen Wochen laufen die ersten Ausschreibungen. Doch auf Druck der Apotheker will die Politik die Ausschreibungen nun doch wieder verbieten. Ein entsprechender Paragraph wurde in letzter Minute in den Entwurf des Arzneimittelstärkungsgesetzes aufgenommen.

Noch ist nicht ausgeschlossen, dass es eine weitere Änderung am Entwurf geben wird. Nach dem Urteil des EuGH drängen die Apotheker darauf, den Versandhandel mit rezeptpflichtigen Medikamenten, der seit 2004 erlaubt ist, wieder zu verbieten. Ein solches Verbot würde das Urteil des Europäischen Gerichtshofs ins Leere laufen lassen. Dem holländischen Versandhändler, der vor dem EuGH erstritten hat, dass er deutschen Kunden Rabatte anbieten darf, dürfte gar nicht mehr nach Deutschland liefern. Damit aber könnten auch die starren Handelsspannen in den deutschen Präsenzapotheken unangetastet bleiben.

Die Monopolkommission und Rechtexperten warnen vor einer solchen Entwicklung. „Grundsätzlich stehen der Politik nach dem EuGH-Urteil zwei Wege offen. Die Koalition könnte sich entschließen, erst einmal gar nichts zu tun und das Urteil wirken zu lassen, im Vertrauen darauf, dass die inländischen Versandhändler in Kauf nehmen, dass sie im Wettbewerb mit ausländischen Händlern benachteiligt werden, weil sie keine Rabatte geben dürfen,“ erläutert Martin Bechtold, Kartellrechtsexperte bei der Kanzlei Eversheds in München.

Sollten die Versandhändler im Inland dazu nicht bereit sein und nun einfach Rabatte auf rezeptpflichtige Medikamente gewähren, um sich anschließend verklagen zu lassen, würde es einige Jahre dauern, bis das höchstrichterlich entschieden ist. Die Politik würde mithin Zeit gewinnen, innerhalb deren die Präsenzapotheken ihre Fixpreise behalten könnten. Die Alternative dazu wäre, dass sie in der Tat die Preisbindung auch bei rezeptpflichtigen Medikamenten lockert. Eine solche Liberalisierung wäre rechtstechnisch nicht banal, da das heutige Preisregime aus vorgegebenen Handelsspannen des Großhandels, der Spanne für die Apotheker und dem Zwangsrabatt, den die Apotheken den gesetzlichen Krankenkassen gewähren müssen, sehr komplex ist. Hinzu komme, dass es bereits heute für viele Medikamente Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Herstellern gibt, die die Preisbildung über die Herstellerabgabepreise beeinflussen.


Verbot des Versandhandels EU-rechtlich nicht haltbar

„Keine Option dürfte es meiner Ansicht nach sein, Forderungen der Apotheker zu folgen und den Versandhandel mit Medikamenten wieder generell zu verbieten“, sagt Bechtold. Mit einem solchen Verbot wäre zwar fürs erste die Konkurrenz durch ausländischen Versandapotheken und ihre Rabatte gebannt.

Doch der Kartellrechtsexperte glaubt nicht, dass ein solches Verbot vor dem Europäischen Gerichtshof Bestand haben würde. „Der EuGH hat zwar vor einigen Jahren ein solches Verbot in Bezug auf rezeptpflichtige Medikamente für mit dem EU-Recht vereinbar erklärt, aber nur weil er anerkannte, dass es Probleme geben könnte, die Abgabe von Medikamenten gegen ärztliche Verordnung auf dem Versandweg rechtssicher zu gestalten. Diese Bedenken dürfte das Gericht aber heute kaum noch gelten lassen, nachdem der Versandhandel in Deutschland seit 2004 erlaubt ist und offenbar funktioniert.“

Ähnlich sieht das auch die Monopolkommission der Bunderegierung. Ihr Chef Achim Wambach schlug im Gespräch mit dem Handelsblatt vor, die Apotheker in Zukunft selbst über ihre Handelsspanne in Form einer Servicegebühr entscheiden zu lassen. Die müsste, so der Plan der Kommission, jeder Versicherte aus eigener Tasche zahlen.

Dafür würde die Zuzahlung, von bis zu zehn Euro, die er heute zahlen muss, wegfallen. So entstünde für die Versicherten ein Anreiz, sich bei der Auswahl der Apotheke nach Preis und Servicequalität zu richten. Die Krankenkassen würden im Modell der Monopolkommission nur die Einkaufskosten der Apotheken für die Medikamente übernehmen.

Als die Monopolkommission diesen Vorschlag vor einigen Jahren zum ersten Mal machte, war der Aufschrei bei den Apotheken groß. Vielleicht dürfte er dieses Mal kleiner ausfallen. Die SPD hat nach den Worten ihres Gesundheitsexperten Karl Lauterbach Sympathien für den Vorschlag. Und die Union wird vielleicht bald schon merken, dass ihre Option, den Versandhandel zu verbieten, EU-rechtlich nicht haltbar ist.

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