Privatisierung Mieter wollen gepflegt werden

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Sozialchartas als PR-Maßnahme

Wolfgang Schäuble Quelle: dapd

Fast so wichtig wie der Kaufpreis ist bei Privatisierungen für den Staat, dass der Investor die Wohnungen nach sozialen Kriterien bewirtschaftet. In Dresden schuf man dafür eine Sozialcharta. Höchstgrenzen für Mieterhöhungen, lebenslanges Wohnrecht für Alte und ein Mindestmaß an Instandhaltung waren vereinbart. Der ehemalige Gagfah-Manager Zohari kann über solche Klauseln nur schmunzeln. Lebenslanges Wohnrecht für Ältere? „Die leben schon so lange in den Wohnungen, dass sie unkündbar sind.“ Mindestsummen für die Instandhaltung? „Die Vereinbarung von Durchschnittswerten ist sinnlos.“ Auch Andreas Pfnür, Professor für Immobilienwirtschaft an der Technischen Universität Darmstadt, sagt: „Sozialchartas sind oft PR-Maßnahmen.“

An der Vereinbarung zwischen Gagfah und Dresden zeigt sich lehrbuchhaft, wie schwierig es für den Staat ist, nach dem Verkauf Einfluss auf die Wohnungsbestände zu behalten – und wie sehr die Politik sich vom Investor abhängig macht. Die Stadt hatte mit der Gagfah ausgehandelt, dass ein Vertreter der Stadt in den Aufsichtsrat des Unternehmens einziehen würde. Hartmut Vorjohann (CDU), Finanzbürgermeister der Stadt, übernahm den Job. Schon bald brachte Vorjohann diese merkwürdige Zwitterrolle als Interessenvertreter von Stadt und Gagfah in Nöte. Als die Gagfah einen Teil ihrer Wohnungen verkaufte, ohne die neuen Investoren wie vereinbart zu verpflichten, den Mietern bei einer Weiterveräußerung ein Vorkaufsrecht einzuräumen, verklagte die Stadt die Gagfah auf mehr als eine Milliarde Euro Schadensersatz. Die Gagfah antwortete mit zwei Gegenklagen, gerichtet an die Stadt – und Vorjohann persönlich: Er habe seine Verpflichtungen gegenüber dem Unternehmen verletzt.

Frühe Vertragsverstöße verschleiert

Die Eskalation kam überraschend: Bis dahin hatte Vorjohann das Unternehmen vor allem vor dem Stadtrat in Schutz genommen. Aus den vertraulichen Schriftsätzen, die Gagfah und Stadt im Zuge ihrer Klagen austauschten, geht hervor, dass die Verwaltung schon im April 2009 Vertragsverstöße geltend machte. Im zuständigen Beirat Wohnen behauptete Vorjohann aber im Oktober 2009, dass es keine Vertragsverstöße gebe, und bestätigte dies noch im Juli 2010 schriftlich gegenüber dem Stadtrat. „Kalkulierte Intransparenz“ nennt das André Schollbach, Fraktionsvorsitzender der Linken im Stadtrat.

Vorjohann hat selbst eingeräumt, er habe während der Diskussion mit der Gagfah ein hohes Interesse gehabt, zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen, um „die Woba-Privatisierung weiterhin als Erfolgsgeschichte fortzuschreiben“. Er habe bei der Kommunikation mit Beirat und Stadtrat darauf geachtet, „dass der tatsächlich vorhandene Konflikt nicht schon vorher einer öffentlichen politischen Diskussion zugeführt wurde“, schreibt der Finanzbürgermeister in einer vertraulichen Zeugenaussage im Prozess mit der Gagfah.

Im März 2012 stimmte der Stadtrat schließlich einem Vergleichsvorschlag zu, durch den die Gagfah bis 2020 insgesamt 36 Millionen Euro Strafe zahlen muss. Ein vergleichsweiser Klacks. Die Berufung des Finanzbürgermeisters in den Aufsichtsrat hat sich damit als Eigentor erwiesen, die es schwieriger und nicht leichter macht, die Interessen der Stadt zu wahren.

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