Probleme bei der Bundeswehr "Die reparieren nicht mehr, das ist schon restaurieren"

Die Truppe befindet sich im spätsozialistischen Endstadium. Ein Neuanfang muss Führung, Motivation und eine ordentliche Beschaffung umfassen, sagt Militärexperte und Unternehmensberater Michael Santo im Interview.

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Michael Santo Quelle: PR

WirtschaftsWoche: Ist die Lage der Bundeswehr so dramatisch, wie der marode Zustand von Kampfflugzeugen und Hubschraubern annehmen lässt?

Santo: Der Zustand der Bundeswehr ist in der Tat dramatisch. Wir haben eine Truppe, die nicht genau weiß, was ihr Auftrag ist, die Geräte sind in einem erbärmlichen Zustand, und der Führungsmannschaft fehlen Vision und Geld.

Wie konnte das passieren?

Die Bundeswehr kommt von über 500.000 Soldaten Ende der 80er Jahre. Wir haben eine Armee, die komplett auf Landesverteidigung eingestellt war. Die ganze Modernisierung und Umstellung von Truppe und Material auf die neuen Herausforderungen, insbesondere die weltweiten Kriseneinsätze, hat in weiten Teilen nicht funktioniert. Ähnlich wie in Frankreich hat man nach politischem Bedarf Inseln moderner Ausrüstung in einem Meer aus Altmaterial geschaffen. Seit langem wurde der Fokus auf den einsatzbedingten Sofortbedarf gerichtet. Hier wurde rein reaktiv beschafft ohne Blick auf folgende Nutzungsfähigkeit. Eine strategische Beschaffungssicht fehlt weitestgehend. Wenn wir uns die Transall-Transportmaschinen anschauen, dann ist es für mich ein Wunder, dass da überhaupt noch eine Maschine fliegt. Die Luftwaffe repariert die Flieger nicht mehr, das ist schon Restaurieren. Und es gibt noch keinen adäquaten Ersatz dafür. Das, was die Bundeswehr heute braucht – eine echte, eigenverantwortliche Lufttransportfähigkeit -, ist noch gar nicht vorhanden.

Zur Person

Und dann entstehen solche Peinlichkeiten, dass die Bundeswehr nicht einmal ein paar Panzerfäuste und Schutzwesten in den Irak fliegen kann.

Man nutzt dieses alte Material wirklich bis an die Grenzen dessen, was noch möglich ist.

Aber die Bundeswehr hat doch rechtzeitig neue Flieger bestellt, etwa den A400-M Transportflieger. Hat Ministerin Ursula von der Leyen nicht recht, wenn sie der Industrie hier die Verantwortung für die Transportmisere zuweist?

Da kann sich das Ministerium nicht aus der Verantwortung stehlen. Denn die Auftragsvergabe bei der Bundeswehr erfolgt nach einem fatalen Grundprinzip: Ich bestelle, und danach beginne ich an den Spezifikationen zu schrauben, nach und neu zu verhandeln. Die Komplexität wächst ins Unermessliche. Dazu zählt auch die Verteilung der Rüstungsproduktion auf mehrere Länder, was die Komplexität weiter steigert. Das verzögert die Beschaffung weiter. Es ist eine fatale Spirale der Kostenexplosion bei gleichzeitigem Lieferverzug. Ein einfaches Beispiel ist hier das Einsatzgebiet Afghanistan. Klimatisch und geographisch ein Einsatzraum, für den das Gerät der Bundeswehr nicht ausgelegt war und das zu beschaffende Gerät ebenfalls nicht. Hier musste vieles erst nachgerüstet werden. So zum Beispiel die Fähigkeit, unter Berücksichtigung extremer Temperaturschwankungen in den Höhenlagen des Hindukusch zu operieren.

Armee mit Schrott
Helme der Bundeswehr Quelle: dpa
Der Puma-Panzer ist nicht zu bremsen Quelle: dpa
Eine Rekrutin der Bundeswehr sichert auf einem Truppenübungsplatz eine Patrouille. Quelle: dpa
Mitte September 2014 sorgte diese Panne für Aufsehen und lenkte die öffentliche Aufmerksamkeit nach längerer Zeit wieder auf die Ausrüstungsmängel bei der deutschen Bundeswehr: Weil die Transall-Maschinen der Bundeswehr technische Defekte aufwiesen, konnten die Ausbilder, die kurdische Peschmerga-Kämpfer bei ihrer Arbeit gegen den radikal islamischen IS im Irak vorerst nicht zu ihrer Mission aufbrechen. Sie mussten die Maschinen auf dem Militärflugplatz Hohn wieder verlassen. Es ist die jüngste, aber bei weitem nicht die erste Blamage in Sachen Bundeswehrausrüstung. Quelle: AP
Wie jetzt durch einen Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ bekannt wurde, gab es auch bei den Bordhubschraubern vom Typ Sea Lynx der Marine erhebliche Ausfälle. Von 22 Maschinen sei keine einzige einsatzbereit, so das Blatt, was sich nach dem der „SZ“ vorliegenden internen Dokument 2014 auch nicht mehr ändern werde. Im Juni wurde demnach in einem Modell einer Fregatte ein 20 Zentimeter langer Riss entdeckt, woraufhin der komplette Betrieb mit dem Modell zunächst eingestellt wurde. Wohl zu Recht: Danach wurden an drei weiteren Hubschraubern ähnliche Schäden gefunden. Quelle: dpa
Bereits im August gab es Berichte über nur bedingt einsatzfähiges Bundeswehrmaterial. So meldete das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ unter Berufung auf ein internes Dokument des Verteidigungsministeriums, von den hier Schau fliegenden Kampfjets des Typs Eurofighter seien nur acht von 109 Maschinen voll einsatzbereit. Von 67 CH-53-Transporthubschraubern konnten demnach im August ebenfalls nur sieben in die Lüfte gehen. Quelle: dpa
Und auch die Bundeswehrhubschrauber vom Typ NH-90 glänzten nicht gerade mit Bereitschaft: Laut „Spiegel“ waren im Sommer nur fünf von 33 voll intakt, während unter den Transall-Maschinen des Typs C-160 auch damals nur 21 flugtüchtig waren. Quelle: dpa

In einem Unternehmen wären die Einkäufer wohl längst gefeuert worden. Wie sehen Sie die Leistungsfähigkeit des Verwaltungsapparates unter der Ministerin?

Die Effizienz der Verwaltung ist ein Riesenproblem. Wenn ich mir die Logistik für die Einsatzkräfte anschaue, frage ich mich, ob das noch in einem gesunden Verhältnis steht.

Offenbar nicht. Nach einem Bericht der WirtschaftsWoche aus dem Jahr 2011 ist die Bundeswehr die wohl ineffizienteste Armee der westlichen Welt. Hinter jedem Soldaten im Einsatz stehen 35 Kameraden und 15 zivile Mitarbeiter daheim im Grundbetrieb und zur Unterstützung. Bei den Franzosen sind es acht plus zwei, bei den Briten neun plus vier und EU-weit immerhin 16 plus vier. Dieses Missverhältnis hat der damalige Verteidigungsminister Thomas de Maziere grundsätzlich nicht in Abrede gestellt, aber geschehen scheint seither nicht viel.

Insgesamt ist diese Organisation in einen selbstverwaltenden Zustand gekommen. Hinzu kommt ein weiteres Problem: Die Bundeswehr bildet top aus, aber anschließend wird das Personal durch unendlich lange Entscheidungswege häufig frustriert. Spitzenleute brauchen also ein ungeheures Maß an Loyalität und Überzeugungskraft, um beim Militär zu bleiben und nicht in die Wirtschaft abzuwandern.

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