Projekt „Sea Watch“ Ein Hamburger Fischkutter auf Rettungsmission

Hunderttausende verzweifelte Menschen wagen die lebensgefährliche Fahrt über das Mittelmeer nach Europa. Der Hamburger Kapitän des Hilfsschiffes „Sea Watch“ erzählt von einer Rettungsmission vor der Küste von Libyen.

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Das private Projekt „Sea Watch“ schickt einen fast 100 Jahre alten Fischkutter mit freiwilligen Helfern auf Patrouille ins Mittelmeer. Quelle: dpa

Hamburg Zwei Wochen hat er auf einem kleinen Schiff im Mittelmeer Ausschau nach Flüchtlingen in Seenot gehalten, jetzt ist er zurück. Aber immer noch verfolgen den Hamburger Ingo Werth die Bilder von verzweifelten Menschen in maroden, überfüllten Schlauchbooten, denen selbst eine 50:50-Chance reicht, um die lebensgefährliche Überfahrt nach Europa zu wagen.

Werth war der Kapitän, als die „Sea Watch“ im Juli zu ihrer ersten Rettungsfahrt vor die libysche Küste aufbrach. Seit ein paar Tagen ist er zurück in Hamburg. „Als ich vom privaten Projekt „Sea Watch“ gehört habe, war ich sofort begeistert.“

In den Wochen, in denen der fast 100 Jahre alte Fischkutter im Harburger Hafen umgebaut wurde, fuhr er hin und sprach mit den Initiatoren um Harald Höppner aus Brandenburg. Im April hatte Höppner als Gast der Talk-Show „Günther Jauch“ den Moderator, die Gäste und die Zuschauer dazu gebracht, eine Schweigeminute für die vielen Opfer im Mittelmeer einzulegen.

Werth ist überzeugt, dass sich viele europäische Staaten in Afrika bereichert haben. „Europa ist Afrika einiges schuldig“, sagt der 56-Jährige. Darum sieht er es auch als Verpflichtung an, etwas gegen das tägliche Sterben der Flüchtlinge auf dem Mittelmeer zu tun.

„Ich wusste sofort: Da will ich mitmachen, egal ob als Koch oder als Matrose. Denn das ist ein unglaubliches Projekt“, sagt Werth. Ärgerlich wird er, wenn er Vorwürfe hört, die Hilfsschiffe würden die Flüchtlinge nur noch ermutigen. „So ein Unsinn! Die sind oft seit Monaten unterwegs, wurden mehrfach ausgeplündert, vielleicht misshandelt. Die kehren doch dann am Mittelmeer nicht mehr um.“

„Einmal trafen wir vor der libyschen Küste auf ein Flüchtlingsboot. Die Stimmung war aggressiv, die wollten zuerst unsere Papiere sehen“, erzählt Werth. „Die hatten ungeheure Angst, dass wir Libyer sind und sie an die Küste zurückbringen.“ Die Menschen sagten: „Bevor ihr uns zurückbringt, sterben wir lieber hier auf dem Meer.“

Es gebe Schätzungen, wonach eine Million Menschen in Libyen auf eine Fluchtmöglichkeit nach Europa warteten, sagt Werth. Meist nutzen sie derzeit etwa zehn Meter lange Schlauchboote.

„Bis zu 120 Menschen sind da drauf. Die Männer sitzen auf dem Luftschlauch am Rand, Frauen und Kinder stehen in der Mitte, manchmal mehrere Tage lang. Im Boot schwimmt oft eine ätzende Brühe aus Salzwasser, Urin und ausgelaufenem Treibstoff“, erzählt Werth. Man sieht ihm an, wie sehr ihn die Bilder verfolgen.

Kritiker haben an dem Sinn der „Sea Watch“-Aktion gezweifelt. Was sollen ein paar Amateure in einem kleinen Kahn auf dem Mittelmeer schon ausrichten? „Für jeden einzelnen Flüchtling, den wir retten, hat sich der Einsatz gelohnt“, hält Werth dagegen. Am Ende der ersten Fahrt hatte die Besatzung der „Sea Watch“ knapp 600 Menschen in Sicherheit gebracht. Am Mittwoch ist sie wieder ausgelaufen.

Mindestens bis Mitte Oktober sollen die Rettungsfahrten mit wechselnden Crews weitergehen, falls noch genug Mittel aus Spenden und Eigenkapital der Initiatoren vorhanden sind. Und würde Werth wieder mitfahren? Er zögert keine Sekunde: „Natürlich, sofort.“

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