Prostitution Zwangsouting im Sperrbezirk

Seit der Liberalisierung des Marktes hat sich ein unkontrollierter Sex-Kapitalismus entwickelt. Doch das geplante Gesetz von Manuela Schwesig verschlimmert die Situation der Frauen.

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Meldepflicht bei Prostitution Quelle: dpa Picture-Alliance

Unter der Woche verkauft sie Brötchen und Kaffee, am Wochenende steht sie auf dem Straßenstrich. Nadine Lank (Name von der Redaktion geändert) arbeitet hauptberuflich in einer Bäckerei in Hannover. Doch jeden Monat verdient sie ein paar Hundert Euro mit Sex hinzu. Heimlich. In Zukunft soll sie in einer Hurenkartei gespeichert werden.

Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig hat ein neues Gesetz auf den Weg gebracht. Alle Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter müssen eine Erlaubnis beantragen: Nur wer sich jährlich ärztlich beraten lässt und der Behörde seine Personalien mitteilt, bekommt den Schein.

"Viele haben Angst um ihr Privatleben"

„Datenschutzrechtlich ist das eine Katastrophe“, sagt Undine de Rivière vom Bundesverband erotische und sexuelle Dienstleistungen. „Viele haben Angst um ihren Hauptberuf oder das Privatleben. Außerdem befürchten sie Probleme in ihren Heimatländern“, so die Branchenvertreterin. In den meisten Ländern der Welt ist ihre Arbeit verboten, im Iran oder Saudi-Arabien droht sogar die Todesstrafe.

Das fordert die Union

In Deutschland ist die Prostitution so liberal geregelt wie kaum irgendwo sonst in Europa. Seit 2002 ist sie offiziell nicht mehr sittenwidrig, und der Staat verdient kräftig mit. Das Statistische Bundesamt schätzt den jährlichen Umsatz mit Prostitution auf etwa 14,6 Milliarden Euro, mehr als ein Drittel davon in Bordellen. Städte wie Köln oder Dortmund beispielsweise kassieren mehr als eine halbe Million Euro jährlich mit einer Sexsteuer, die Prostituierte und Bordellbetreiber abführen müssen.

Es sind Steuern aus einer Parallelwelt. Im Kölner Pascha, Europas größtem Laufhaus, säuselt sanfte Kaufhausmusik, in der Luft liegt süßes Parfum. Wie in einem Hotel erstrecken sich die weitläufigen, abgedunkelten Gänge mit vielen kleinen Zimmern auf sieben Etagen. Vor den Türen sitzen die Frauen auf Barhockern, bekleidet mit Dessous, die nur das Nötigste bedecken.

Gerade solche Großbordelle entwickelten sich mit der Liberalisierung zu unkontrollierten Profitmaschinen. Im Pascha etwa schaffen mehr als 100 Frauen zu jeder Nacht- und Tagzeit an. Daneben gibt es 80 Mitarbeiter, das Bordell ist längst zum effizienten Großbetrieb mit mehr als zehn Millionen Euro Jahresumsatz geworden.

Hier ist es heute schon gängige Praxis, dass die Daten der Frauen an die Ordnungshüter weitergegeben werden. Die für das Pascha zuständige Polizei Köln bestätigt das. Für den Betreiber eines großen Bordells ist das legitim: „Wer in der Prostitution arbeiten will, muss akzeptieren, dass es Spielregeln gibt. Und alles, was den Betrieb stört, ist schlecht für mein Geschäft.“

Lebensfremde Maßnahmen

Doch Schwesigs neue Spielregeln bedeuten für viele Prostituierte Angst und zusätzliche Stigmatisierung. „Ich gehe davon aus, dass sich die meisten ohnehin nicht registrieren werden. Und wenn sie einmal illegal sind, gehen sie mit ihren Problemen dann noch zur Polizei?“, so Branchenvertreterin de Rivière. Dabei wollte die Ministerin genau das mit ihrem Gesetz erreichen: mehr Schutz.

„Die Vorstellung, dass durch ein verordnetes Beratungsgespräch Opfer von Menschenhandel identifiziert werden, ist geradezu lebensfremd“, sagt Claudia Zimmermann-Schwartz. Sie leitete das Projekt „Runder Tisch Prostitution“ in Nordrhein-Westfalen. Über vier Jahre hinweg haben hier mehr als 70 Sachverständige einschließlich Sexarbeiterinnen Probleme der Branche diskutiert. „Ich sehe die Gefahr, dass Opfer von Menschenhandel sogar geschwächt werden, weil sie dann auch noch ganz legal bei der Behörde angemeldet sind“, so die Frauenschützerin.

Verbände fordern Kalorienbomben-Steuer
Mit Blick auf die steigende Zahl von Diabetes-Erkrankungen in Deutschland haben Fachgesellschaften erneut höhere Steuern für ungesunde Lebensmittel wie Fast Food, Chips und Süßes gefordert. Ein sinnvoller Weg könnte der volle Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent auf besonders kalorienreiche und ballaststoffarme Produkte sein, teilte die Deutsche Diabetes Gesellschaft in Berlin mit. Neben dieser Zucker-Fettsteuer sollten gesunde Lebensmittel wie Obst und Gemüse dagegen bewusst gering besteuert werden. Für viele Lebensmittel gilt bisher ein Steuersatz von sieben Prozent. Nach Angaben der Gesellschaft ist die Zahl der Diabetes-Erkrankungen in Deutschland von 1998 bis 2011 um 38 Prozent auf über sechs Millionen gestiegen. Zu den Hauptgründen zählen falsche Ernährung und Bewegungsmangel. Quelle: dpa
Seit Januar 2014 gilt in Berlin eine City-Tax. Pro Übernachtung sollen Besucher eine zusätzliche Steuer von fünf Prozent des Netto-Übernachtungspreises entrichten. Die Berliner Regierung erhofft sich Einnahmen in Höhe von 20 Millionen Euro. Quelle: dpa
Die Sexsteuer ist eine beliebte Einnahmequellen der Kommunen. Köln verlangt diese Vergnügungssteuer bereits seit 2003 von Bordell-Betreibern und Prostituierten. Seit Februar 2009 erhebt auch Oberhausen eine Vergnügungssteuer. Dort müssen Prostituierte pro Arbeitstag sechs Euro zahlen. Quelle: dpa
Eine kuriose Steuer haben sich die Kommunalpolitiker aus Fürth einfallen lassen: In der mittelfränkischen Stadt wird eine Luftsteuer erhoben. Die Politiker verlangen von den Betreibern von Zigaretten-, Kaugummi- oder Handykarten-Automaten Geld, wenn an Hausfassaden angebrachte Automaten mehr als 15 Zentimeter wegragen. Kritiker glauben nicht, dass sich der Aufwand lohnt. Ähnliches droht Bergisch Gladbacher Geschäftsleuten: Für Werbeanlagen und Leuchtreklamen vor Geschäften, die mehr als 30 Zentimeter in öffentlichen Verkehrsraum hineinragen, will die Stadt Sondernutzungsgebühren kassieren. Quelle: dpa
Reichlich umstritten, aber eine einträgliche Abgabe für den Staat: Die Kaffeesteuer spülte in den Jahren 2007 bis 2010 jeweils rund eine Milliarde Euro in die Bundeskasse. Für Röstkaffee beträgt die Steuer 2,19 Euro je Kilogramm für Kaffeepulver 4,78 das Kilogramm. Quelle: dpa
Dir Kuriosität der Mehrwertsteuer lässt sich besonders schön an der Curry-Wurst erläutern: Wer seine Curry-Wurst im Fast-Food-Restaurant ist, der zahlt den vollen Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent, wer sie einpacken lässt und zu Hause verspeist zahlt nur sieben Prozent, also den ermäßigten Satz. Quelle: dpa
Hamburg hat zum 1. Januar 2013 eine Kulturtaxe eingeführt. Die Einnahmen sollen zu 100 Prozent in touristische, kulturelle und sportliche Projekte investiert werden. Der Steuersatz ist je nach Übernachtungspreis gestaffelt. Bei einem Preis von 46 Euro ergibt sich etwa eine Kulturtaxe von 1 Euro, informiert "Hamburg Tourismus" auf seiner Webseite .Foto: Grand Elysée Hotel in Hamburg Quelle: Presse

Prostitution und Menschenhandel werden vermischt

Im Januar richteten sieben Verbände, darunter der deutsche Juristinnenbund, die Aids-Hilfe und der Frauenrat einen Appell an die Bundesregierung: Das geplante Gesetz solle in vielen Punkten überdacht werden, insbesondere in Sachen Datenschutz.

„Was wir wirklich brauchen, sind Anlaufstellen, die uns bei normalen Problemen helfen und uns nicht als Opfer sehen“, sagt Lank. Auch Zimmermann-Schwartz kritisiert: „Es ist fatal, dass Prostitution und Menschenhandel immer vermischt werden. Prostituierte sind dadurch gebrandmarkt, während das Leid im Menschenhandel bagatellisiert wird.“ Das neue Gesetz zementiere diese Stigmata und helfe nicht bei den tatsächlichen Problemen. Zimmermann-Schwartz rechnet fest damit, dass die NRW-Landesregierung Schwesigs Pläne im Bundesrat stoppen wird.

Für die nebenberufliche Sexarbeiterin Lank steht schon fest: Sie wird sich nicht registrieren. „Ich will nicht als Hure staatlich gespeichert werden und meinem Arzt von der Prostitution erzählen“, sagt sie. Für sie wäre das ein Zwangsouting: am Ende gar vor den Kunden in der Bäckerei.

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