Unter der Woche verkauft sie Brötchen und Kaffee, am Wochenende steht sie auf dem Straßenstrich. Nadine Lank (Name von der Redaktion geändert) arbeitet hauptberuflich in einer Bäckerei in Hannover. Doch jeden Monat verdient sie ein paar Hundert Euro mit Sex hinzu. Heimlich. In Zukunft soll sie in einer Hurenkartei gespeichert werden.
Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig hat ein neues Gesetz auf den Weg gebracht. Alle Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter müssen eine Erlaubnis beantragen: Nur wer sich jährlich ärztlich beraten lässt und der Behörde seine Personalien mitteilt, bekommt den Schein.
"Viele haben Angst um ihr Privatleben"
„Datenschutzrechtlich ist das eine Katastrophe“, sagt Undine de Rivière vom Bundesverband erotische und sexuelle Dienstleistungen. „Viele haben Angst um ihren Hauptberuf oder das Privatleben. Außerdem befürchten sie Probleme in ihren Heimatländern“, so die Branchenvertreterin. In den meisten Ländern der Welt ist ihre Arbeit verboten, im Iran oder Saudi-Arabien droht sogar die Todesstrafe.
Das fordert die Union
Die Erlaubnispflicht meint die Zuverlässigkeitsüberprüfung des Bordellbetreibers, sowie weitere mögliche Auflagen zum Betrieb und zur Ausstattung. Sie soll in einem eigenen Prostitutionsstättengesetz geregelt werden.
Alle Behörden sollen auch ohne konkreten Verdacht jederzeit Zugang zum Bordell haben.
Ausübung der Prostitution erst ab 21 Jahren, um Heranwachsende zu schützen.
Die Anmeldepflicht soll die Unterscheidung zwischen legaler Prostitution und illegaler Zwangsprostitution erleichtern. Eine Anmeldekarte könnte die erfolgte Anmeldung belegen.
Die regelmäßigen Gesundheitsuntersuchungen durch einen Amtsarzt sollen zur medizinischen Versorgung dienen den Kontakt zu unterstützenden Behörden und Organisationen erleichtern.
Prostituierte sollen über Art und Umfang ihrer Sexualkontakte selbst entscheiden können. Dies gilt auch dann, wenn sie sich in einem Angestelltenverhältnis befinden.
Flatrate-Angebote, Gang Bang- und Rape Gang Bang-Veranstaltungen degradieren Prostituierte und sind mit der Menschenwürde unvereinbar.
In Deutschland ist die Prostitution so liberal geregelt wie kaum irgendwo sonst in Europa. Seit 2002 ist sie offiziell nicht mehr sittenwidrig, und der Staat verdient kräftig mit. Das Statistische Bundesamt schätzt den jährlichen Umsatz mit Prostitution auf etwa 14,6 Milliarden Euro, mehr als ein Drittel davon in Bordellen. Städte wie Köln oder Dortmund beispielsweise kassieren mehr als eine halbe Million Euro jährlich mit einer Sexsteuer, die Prostituierte und Bordellbetreiber abführen müssen.
Es sind Steuern aus einer Parallelwelt. Im Kölner Pascha, Europas größtem Laufhaus, säuselt sanfte Kaufhausmusik, in der Luft liegt süßes Parfum. Wie in einem Hotel erstrecken sich die weitläufigen, abgedunkelten Gänge mit vielen kleinen Zimmern auf sieben Etagen. Vor den Türen sitzen die Frauen auf Barhockern, bekleidet mit Dessous, die nur das Nötigste bedecken.
Gerade solche Großbordelle entwickelten sich mit der Liberalisierung zu unkontrollierten Profitmaschinen. Im Pascha etwa schaffen mehr als 100 Frauen zu jeder Nacht- und Tagzeit an. Daneben gibt es 80 Mitarbeiter, das Bordell ist längst zum effizienten Großbetrieb mit mehr als zehn Millionen Euro Jahresumsatz geworden.
Hier ist es heute schon gängige Praxis, dass die Daten der Frauen an die Ordnungshüter weitergegeben werden. Die für das Pascha zuständige Polizei Köln bestätigt das. Für den Betreiber eines großen Bordells ist das legitim: „Wer in der Prostitution arbeiten will, muss akzeptieren, dass es Spielregeln gibt. Und alles, was den Betrieb stört, ist schlecht für mein Geschäft.“
Lebensfremde Maßnahmen
Doch Schwesigs neue Spielregeln bedeuten für viele Prostituierte Angst und zusätzliche Stigmatisierung. „Ich gehe davon aus, dass sich die meisten ohnehin nicht registrieren werden. Und wenn sie einmal illegal sind, gehen sie mit ihren Problemen dann noch zur Polizei?“, so Branchenvertreterin de Rivière. Dabei wollte die Ministerin genau das mit ihrem Gesetz erreichen: mehr Schutz.
„Die Vorstellung, dass durch ein verordnetes Beratungsgespräch Opfer von Menschenhandel identifiziert werden, ist geradezu lebensfremd“, sagt Claudia Zimmermann-Schwartz. Sie leitete das Projekt „Runder Tisch Prostitution“ in Nordrhein-Westfalen. Über vier Jahre hinweg haben hier mehr als 70 Sachverständige einschließlich Sexarbeiterinnen Probleme der Branche diskutiert. „Ich sehe die Gefahr, dass Opfer von Menschenhandel sogar geschwächt werden, weil sie dann auch noch ganz legal bei der Behörde angemeldet sind“, so die Frauenschützerin.
Prostitution und Menschenhandel werden vermischt
Im Januar richteten sieben Verbände, darunter der deutsche Juristinnenbund, die Aids-Hilfe und der Frauenrat einen Appell an die Bundesregierung: Das geplante Gesetz solle in vielen Punkten überdacht werden, insbesondere in Sachen Datenschutz.
„Was wir wirklich brauchen, sind Anlaufstellen, die uns bei normalen Problemen helfen und uns nicht als Opfer sehen“, sagt Lank. Auch Zimmermann-Schwartz kritisiert: „Es ist fatal, dass Prostitution und Menschenhandel immer vermischt werden. Prostituierte sind dadurch gebrandmarkt, während das Leid im Menschenhandel bagatellisiert wird.“ Das neue Gesetz zementiere diese Stigmata und helfe nicht bei den tatsächlichen Problemen. Zimmermann-Schwartz rechnet fest damit, dass die NRW-Landesregierung Schwesigs Pläne im Bundesrat stoppen wird.
Für die nebenberufliche Sexarbeiterin Lank steht schon fest: Sie wird sich nicht registrieren. „Ich will nicht als Hure staatlich gespeichert werden und meinem Arzt von der Prostitution erzählen“, sagt sie. Für sie wäre das ein Zwangsouting: am Ende gar vor den Kunden in der Bäckerei.