Rassismus-Vorwurf gegen Leipziger Professor „Das sind geschichtsfälschende Fakenews“

Ein Jura-Professor an der Uni Leipzig hetzt gegen Ausländer. Die Landesregierung ist alarmiert, Kollegen entsetzt, Studierende protestieren. Die Uni prüft nun dienstrechtliche Schritte. Das ruft die AfD auf den Plan.

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Auf dem Campus der Universität Leipzig protestieren Studierende gegen Rassismus. Anlass sind umstrittene Tweets des Leipziger Jura-Professors Thomas Rauscher. Quelle: dpa

Berlin In der Universität Leipzig hängt der Haussegen mächtig schief. Grund sind ausländerfeindliche Äußerungen des Jura-Professors Thomas Rauscher. Über seinen inzwischen gelöschten Twitter-Account veröffentlichte er Kommentare, die von Experten als „offene rassistische Diskriminierung“ eingestuft werden.

Die Landesregierung reagierte mit scharfer Kritik, die Universität mit der Prüfung dienstrechtlicher Schritte, was vielen Studierenden aber nicht weit genug geht; sie fordern seine Entlassung. Unterstützung erhält Rauscher von der AfD, die die „Freiheit der Wissenschaft“ bedroht sieht.

Dass der Fall so große Wellen schlägt, dürfte an der Qualität der von Rauscher gemachten Aussagen liegen. Denn umstritten ist der Wissenschaftler in der Universität schon länger. Doch man ließ ihn bislang gewähren und verbuchte seine Verlautbarungen unter dem Recht auf Meinungsfreiheit. Jetzt aber scheint Rauscher den Bogen überspannt zu haben.

Tim Drygala, der als Dekan die Juristenfakultät an der Universität, sieht nunmehr „dienstrechtliche Belange berührt“. „Es ist natürlich sehr problematisch, wenn der Professor Studenten aus Ländern unterrichtet, die er bezichtigt, nichts auf die Reihe zu bekommen und unseren Wohlstand zu stehlen“, sagte Drygala dem „Stern“. Zudem seien Rauschers Veranstaltungen Pflichtveranstaltungen. „Die Studenten müssen sie belegen, sonst können sie kein Staatsexamen machen, man kann Professor Rauscher nicht ausweichen.“

Dass Rauscher seine Aussagen als Privatsache verstehe, lässt Drygala nicht gelten. Natürlich habe dies Rückwirkungen auf das Amt und die Fakultät. „Privat ist zuhause am Kaffeetisch - aber nicht auf Twitter mit 1300 Followern.“ Und selbst wenn der Professor in Vorlesungen nichts gegen eine gewisse Gruppe sage: „Der Eindruck „Ich will dich hier nicht haben“ ist trotzdem in der Welt.“

Rauscher, der seit vielen Jahren Direktor des Instituts für ausländisches und europäisches Privat- und Verfahrensrecht der Uni ist, schrieb etwa in einem Tweet: „Wir schulden den Afrikanern und Arabern nichts. Sie haben ihre Kontinente durch Korruption, Schlendrian, ungehemmte Vermehrung und Stammes- und Religionskriege zerstört und nehmen uns nun weg, was wir mit Fleiß aufgebaut haben.“ In einem anderen Kommentar gab er ein „weißes Europa“ als „wunderbares Ziel“ aus.

Hinterher stellte er klar, dass er sich mit dem Satz „Ein weißes Europa brüderlicher Nationen. Für mich ist das ein wunderbares Ziel!“ auf eine Demonstration zum polnischen Unabhängigkeitstag in Warschau bezogen habe, bei der der Satz auf Transparenten zu sehen war. Dem Portal „Bento“ sagte er, das „weiße Europa“ sei eine „Chiffre für das Christentum, europäische Kultur und Tradition und, ja, auch dies, Menschen weißer Hautfarbe geprägte europäische Identität“.

Im Mitteldeutschen Rundfunk sprach er zudem von einer „klar böswilligen Neigung, Dinge misszuverstehen“. Den Rassismusvorwurf weist er von sich: „Es steht völlig außer Frage, dass der europäische Kontinent seit 2.000 Jahren weiß besiedelt ist. Das hat nichts mit Rassismus zu tun. Das ist schlicht eine historische Tatsache, genauso wie der afrikanische Kontinent schwarz besiedelt ist. Das ist weder eine Abstufung noch eine Benachteiligung noch eine Diskriminierung.“

Für Matthias Quent, Direktor des Jenaer Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft,  sind die Tweets von Rauscher dagegen „nicht nur rassistische, sondern auch geschichtsfälschende Fakenews, welche die Geschichte von Kolonialismus, Ausbeutung und Völkermord negieren und umdeuten“. Das seien „keine kontroversen wissenschaftlichen Thesen, sondern offene rassistische Diskriminierung“, sagte Quent dem Handelsblatt. „In dieser Deutlichkeit ist Rassismus an Hochschulen eher selten zu hören.“ Die Rauscher-Tweets seien eine „völlig andere Qualität als ebenfalls streitbare Thesen und Einschätzungen von prominenten Vertretern der Wissenschaft, in denen Rassismus und Rechtspopulismus bisweilen aus meiner Sicht relativiert werden“.

Aber eine aufgeklärte, kontroverse Debatte ende dort, wo „offensichtliche Geschichtsfälschung und eine Reproduktion der Rassenlehre“ stattfinde, sagte Quent weiter. Er äußerte zugleich sein Unverständnis darüber, dass jemand wie Rauscher als Hochschullehrer gleichsam eine große Verantwortung innehabe. „Ich halte es für einen Bärendienst an Demokratie und Wissenschaft, wenn jemand, der die antirassistischen Rechtsnormen der Verfassung negiert, Studierenden die Rechtslehre und den demokratischen Rechtsstaat beibringen soll“, sagte der Rechtspopulismus-Forscher.  Gleichwohl ist Quent überzeugt, dass an der demokratischen und weltoffenen Haltung der Hochschulen in Deutschland kein Zweifel besteht. Deswegen sorge der Fall Rauscher zu Recht für eine große Debatte.

Die Leitung der Universität sprach mit Blick auf den Professor von „intolerantem und fremdenfeindlichem Gedankengut“ und kündigte die Prüfung „dienstrechtlicher Schritte“ gegen Rauscher an. Zudem solle ein externes Gutachten klären, „inwieweit die Aussagen die dienstlichen Belange als Hochschulprofessor berühren“. Die Freiheit der Lehre entbinde nicht von der Treue zur Verfassung, sagte eine Uni-Sprecherin.

Auch die Landesregierung schaltete sich ein. „Sachsens Hochschulen sind weltoffen und international. Die ausländerfeindliche Meinung von Rauscher kritisiere ich scharf“, schrieb die sächsische Wissenschafts-Staatsministerin Eva-Maria Stange (SPD) auf Twitter.


„Er hat sich sozusagen selbst radikalisiert“

Die AfD stellte sich derweil hinter den Professor. „Die Stimmung in Leipzig erinnert an dunkelste Zeiten deutscher Geschichte“, schrieb der AfD-Bundestagsabgeordnete Jens Maier auf Twitter. Andersdenkende wie Rauscher würden „mies und lächerlich gemacht“. Ihnen werden mit beruflichen Konsequenzen gedroht. „Die Freiheit der Wissenschaft ist ade“, so Maier.

Rauschers Kollegen sehen das anders. „Das durch diese Äußerungen gezeichnete menschenfeindliche Weltbild widerspricht dem Leitbild und dem Selbstverständnis der Universität als weltoffenem und tolerantem Ort der Wissenschaft“, heißt es in einer einstimmig verabschiedeten Stellungnahme des akademischen Senats. „Es ist nicht auszuschließen, dass diese Einstellungen auch in der Forschung und Lehre Prof. Rauschers Ausdruck finden.“ Der Senat ist ein zentrales Gremium der Universität und unter anderem zuständig für die akademischen Angelegenheiten der Hochschule.

Der Dekan der Juristenfakultät, Drygala, sorgt sich schon um den Ruf der Uni im Ausland: „Man wird dauernd darauf angesprochen. Das Thema ist sehr präsent, auch auswärtige Kollegen sprechen uns an, man wird gefragt: Was ist da bei euch los? Was beschäftigt ihr für komische Leute?“, sagte Drygala.

Dabei habe sich Rauscher laut Drygala bis 2014/15 „völlig vernünftig“ verhalten. „Er war Mitglied der FDP, für die Partei im Kreistag seines Wohnortes, konservativ-liberal eingestellt.“ Sein Twitter-Kanal sei „tot“ gewesen und er habe gerade mal neun Follower gehabt. „Und dann, Ende 2015, fing er mit der Flüchtlingsthematik an“, sagte Drygala. „Er hat sich sozusagen selbst radikalisiert.“ Jetzt sei Rauscher „der festen Meinung, dass er Deutschland vor dem Weltuntergang retten muss“. Dass die Zuwanderung Deutschland zerstöre. Und das sage er auch jedem. „Es ist wie bei einem Geisterfahrer, der links auf die Autobahn eingebogen ist, jetzt gegen die Fahrtrichtung fährt und sagt: Mir kommen ja lauter Geisterfahrer entgegen.“

Verbindungen zur AfD hat Rauscher wohl nicht, aber eine gewisse Sympathie für die Thesen der vom Bundesverfassungsschutz unter Beobachtung stehenden Identitären Bewegung. Im Wahlkampf habe sich Rauscher auf Twitter von der AfD distanziert, sagte der Juristen-Dekan Drygala. „Die Partei sei nicht wählbar, meinte er, er würde CSU wählen.“ Auch das habe er öffentlich mitgeteilt. Aber: „In der Vergangenheit hatte er, um mich zu überzeugen, Schriften von der Identitären Bewegung namhaft gemacht“, so Drygala weiter. „Der Kern: Jeder soll in seinem Land bleiben. Besucher sind okay.“

Der Unmut unter den Studenten über Rauscher hat inzwischen deutlich zugenommen. Am Mittwoch demonstrierten sie zu Hunderten auf dem Campus der Leipziger Uni gegen den Jura-Professor. Unter dem Motto „Rauscher rausch ab!“ forderten sie ihn auf, die Universität zu verlassen. Zusätzlich starteten die Studenten eine Online-Petition. Es gebe „keine Meinungsfreiheit für Rassismus“, heißt es darin. „Aus diesem Grund fordern wir von der Universität Leipzig die Entlassung von Professor Rauscher.“ Die Resonanz ist groß. Zwei Tage nach Einstellen haben die Petition an die Universität schon knapp 14.000 User unterschrieben.

Der Rechtspopulismus-Forscher Quent sieht vor diesem Hintergrund einen grundsätzlichen Bedarf, rechte Umtriebe an Universitäten stärker in den Blick zu nehmen. „Generell sollten sich alle Milieus und Institutionen auch selbstkritisch mit Ungleichwertigkeitsvorstellungen auseinandersetzen – auch die Hochschulen“, sagte er. „Denn im Kontext der gesellschaftspolitischen Polarisierung der letzten Jahre sind auch vermehrt rechtsextreme Aktivitäten an Hochschulen zu verzeichnen.“ In der #metoo-Debatte sei zudem von sexistischen Äußerungen und Übergriffen, auch durch Professoren berichtet worden.

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